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Panorama: Mit dem Rücken zur Wand

In Sachsen ist jetzt ein Gefangener geflüchtet. Nach den Pannen um Mario M. muss der Justizminister um sein Amt fürchten

In Sachsen lehren Häftlinge den Justizminister das Fürchten. Am Montag ist ein Gefangener seinen Bewachern entwischt. Und noch immer nicht gefunden. Letzte Woche konnte Stephanies Peiniger Mario M. seinen Bewachern aufs Gefängnisdach entwischen und dort 20 Stunden lang unbehelligt die Justiz verhöhnen. Der Prozess gegen ihn musste vertagt werden – wegen Übermüdung des einschlägig Vorbestraften. Und jetzt gibt es auch noch Gerede um die Frau des Justizministers.

Läuft das Fass über? Heute muss Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) im Landtag erklären, wie es zu der Panne mit Mario M. kommen konnte. Mackenroth wird am Vormittag auf Druck der Opposition eine Erklärung abgeben. Anschließend wird er sich wohl kritische Fragen gefallen lassen müssen. Von seinem Auftritt und der weiteren Prüfung wollen die Kritiker abhängig machen, wie sie weiter vorgehen werden. „Wir wollen wissen, wie es zu der Panne kommen konnte“, heißt es. Seinen Rücktritt fordert bislang noch niemand, aber selbst die regierende CDU will personelle Konsequenzen nicht ausschließen. „Wir wollen nicht so tun, als ob alles perfekt ist“, sagte Fraktionschef Fritz Hähle am Dienstag.

Klar ist, dass es für den Minister nicht einfach werden wird. Denn die Stimmung ist nicht gut, auch nicht beim kleinen Koalitionspartner SPD. „Die Flucht aufs Dach war kein Ruhmesblatt für Sachsen“, konstatierte SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss. „Das ist eine Schande.“ Die FDP spricht von einer einzigartigen Panne und davon, dass sich Sachsen bis auf die Knochen blamiert habe. Ähnlich unzufrieden mit dem Minister ist die Linkspartei. „Mackenroth hat sehr unglücklich agiert, um es mal vorsichtig auszudrücken.“ Die Grünen wollen erst entscheiden, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen.

Tatsächlich wirkte das Krisenmanagement des CDUPolitikers am Tag der Dachbesetzung wenig souverän. Zunächst reagierte er stundenlang gar nicht auf die unglaubliche Provokation, auf die Verhöhnung des Opfers und der Justiz und harrte bei einer Expertenrunde zum Thema Demografie aus. Erst am Nachmittag suchte er die Anstalt auf. Auch Parteifreunde rauften sich die Haare. In der Staatskanzlei von Regierungschef Georg Milbradt (CDU) sei man empört gewesen, hieß es. Rede und Antwort stehen muss Mackenroth nicht nur dem Landtag, sondern kommenden Montag auch dem Rechtsausschuss. Einfacher geworden ist die Aufgabe nicht, nachdem in Leipzig gerade wieder ein Gefangener das Weite suchen konnte.

Nach Polizeiangaben war der 25-Jährige seinen beiden Wärtern am Montag nach einem Zahnarztbesuch in der Uniklinik Leipzig davongelaufen, obwohl er in Handschellen war. Die Polizei fahndet nun nach ihm. Ein Sprecher Mackenroths mühte sich, die neuerliche Panne nur wenige Tage nach dem Zwischenfall in Dresden zu entschuldigen. „Jeder Fall ist ein Fall zu viel“, sagte er. Zugleich verwies er darauf, dass der Gefangene kein Schwerverbrecher ist. Bei ihm geht es um Fahren ohne Führerschein und Diebstahlsdelikte. Im Juli war er freiwillig zum Strafantritt erschienen, in einem halben Jahr wäre er schon wieder draußen gewesen. In Mackenroths Haus weist man auch darauf hin, dass es jedes Jahr mehr als 13 000 solche bewachte Ausführungen gibt. Nur in wenigen Einzelfällen nutzen Gefangene dies zur Flucht, in diesem Jahr gelang es mit dem aktuellen Fall erst zwei Gefangenen.

Auch wenn der Fall normalerweise kaum eine größere Rolle gespielt hätte: Unter den aktuellen Umständen könnte diese neue Panne das Fass möglicherweise zum Überlaufen bringen. Es ist nicht das erste Mal, dass Mackenroth in die Schlagzeilen geraten ist. In die Kritik geriet er unter anderem wegen einer so genannten Schnüffel-Attacke, die sich gegen einen Journalisten richtete. Zudem sah er sich mit dem Vorwurf konfrontiert, seiner Frau auf dubiose Weise einen gut dotierten Beamtenposten verschafft zu haben.

Lars Rischke[Dresden]

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