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Panorama: Mit dem Tod bezahlt

311 Menschen, unter ihnen zwei Deutsche, starben bei dem Brand im Kaufhaus in Asuncion – Kunden wurden an der Flucht gehindert

Francisco Barrios war mit seiner Frau und seinen drei Kindern gerade am Stand für Frischfleisch, als er plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall hörte. „Überall flogen Funken, wie bei einem Feuerwerk, der Rauch vernebelte die Sicht, und alle schrien und drängten zum Ausgang“, erzählte Barrios aufgelöst. „Ich weiss nicht, wie ich rauskam und wo meine Frau und die Kinder sind“, fügte er unter Tränen hinzu, bevor ihn Helfer in einem Rollstuhl in Sicherheit brachten.

Für 311 Menschen hat der Wochenendbummel in einem beliebten Einkaufszentrum der paraguayischen Hauptstadt Asuncion am Sonntag ein tödliches Ende gefunden: sie starben in Flammen, die offenbar durch die Explosion einer Gasflasche im Supermarkt der Shoppingmeile entstanden waren.

Unter den Toten sind zwei Deutsche, wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte. Es handelt sich um einen 40-Jährigen mit seinem Baby. Er ist in Paraguay ansässig.

Viele Flüchtende verloren durch den Rauch die Orientierung und fanden den Ausgang nicht; später entdeckten Retter die verkohlten Leichen von Menschen, die sich in irgendwelchen Ecken zusammengekauert hatten. Dutzende von Augenzeugen berichteten übereinstimmend, dass die Sicherheitskräfte die Ausgänge des Supermarkts nach dem Ausbruch des Brandes zunächst verbarrikadierten – offenbar um Plünderungen zu verhindern. „Ich kam zum Glück noch raus, bevor sie die Türen schlossen“, sagte der Student Juan Morinigo atemlos. Die Verwalter hätten gebrüllt: „Schließt, schließt! Hier kommt niemand raus ohne zu bezahlen!“, erzählte eine Frau tränenerstickt dem lokalen Fernsehen.

Erst als das Dach Feuer fing und einstürzte, und von draußen Menschen die Glastür einschlugen, sei der Fluchtweg für die Menschen frei gewesen. „Die meisten starben an Rauchvergiftung, die Verbrennungen kamen erst danach“, kritisierte der Chef der freiwilligen Feuerwehr, Hugo Onieva.

Der Supermarktbesitzer wurde umgehend wegen Totschlag und unterlassener Hilfeleistung festgenommen. Sein Anwalt bestritt jedoch die Vorwürfe. Zu keinem Zeitpunkt seien die Türen geschlossen worden. Im oberen Stockwerk, wo sich die Büros der Verwaltung befinden, fanden Feuerwehrleute zahlreiche Leichen vor einem verschlossenen Notausgang. Etwa 300 der Überlebenden erlitten schwere Verbrennungen und Rauchvergiftungen und wurden von herbeigeeilten Ärzten notdürftig versorgt und in Hospitäler und Krankenhäuser transportiert. „Das Feuer hat sich zuerst im Erdgeschoss ausgebreitet, dann gab der Boden nach und stürzte auf den daruntergelegenen Parkplatz; Autos explodierten, und zuletzt brannte der erste Stock aus“, schilderte der fliegende Händler Antonio Martinez, der nur wenige Meter vom Unglücksort entfernt seine Waren feilbot. Martinez und seine Kollegen waren die Ersten, die sich um die Opfer kümmerten. Noch Stunden nach dem Unglück stieg beißender Rauch aus den Trümmern auf.

Vor den Absperrgittern drängten sich verzweifelte Menschen, um nach ihren Angehörigen zu suchen. „Die Rettungsarbeiten gestalten sich schwierig, weil es innen stockfinster ist, die Trümmer glühen und noch immer Gas austritt“, sagte ein Polizeisprecher. Präsident Nicanor Duarte besuchte ebenfalls den Unglücksort und sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. „Noch nie habe ich so eine Katastrophe gesehen“, diktierte der entsetzte Gesundheitsminister Julio Cesar Velazquez den Reportern in die Mikrofone. Parlamentspräsident Miguel Carrizosa verkündete eine dreitägige Staatstrauer und sprach von der „größten Tragödie des Landes seit mehr als einem halben Jahrhundert“.

Pharmaziefirmen und Labors stellten gratis Medikamente zur Verfügung; das Nachbarland Argentinien schickte umgehend Ärzte und Arzneimittel.

In Deutschland übermittelten Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer der Regierung und der Bevölkerung Paraguays ihre Anteilnahme. Köhler schrieb, er habe die Vorfälle mit „großer Erschütterung“ vernommen. Auch Schröder äußerte seine tiefe Betroffenheit. Fischer erklärte, das Mitgefühl der Bundesregierung gelte in diesen schweren Stunden den Angehörigen und Freunden der Opfer.

Das Einkaufszentrum der Kette Ycas Bolanos, ein moderner Komplex aus Beton, Aluminium und Holz, steht im Arbeiterviertel Trinidad am Stadtrand von Asuncion. Neben dem Supermarkt beherbergt es mehrere Schnellrestaurants , die vor bei Familien sehr beliebt sind.

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