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Panorama: Mit Tamtam nach Europa

Feurige Volksmusik wie von Ruslana – eine Band aus Moldawien trommelt sich in die Hitlisten

Das versiffte Kulturhaus am Stadtrand von Chisinau atmet aus allen Poren realsozialistische Tristesse. Die Wände brauchen dringend einen neuen Anstrich. Die Bohlen zum Probenraum, der so eng ist, dass der Kameramann kaum Bewegungsfreiheit hat, geben unter jedem Schritt bedenklich nach. Aufnahmen des österreichischen Fernsehens wären ohnehin fast geplatzt: Walerij, der Saxofonist, wäre bei dem schönen Wetter lieber mit Tochter Alissja zum Angeln gefahren.

„Männer, reißt euch zusammen“, blafft Manager Igor Dînga seine Band an. „Gewöhnt euch endlich daran, dass ihr Personen von öffentlichem Interesse seid.“ Das sind die sechs Männer zwischen 28 und 30 seit gut einem Monat in der Tat. Zdob si zdub – die No-Name-Band aus dem bisher ebenso wenig bekannten Moldawien schaffte es beim Grand-Prix-Wettbewerb der Eurovision Mitte Mai in Kiew auf Anhieb auf Platz sechs. Obwohl Manager Igor und seine Jungs sich nicht einmal Hoffnungen auf eine Teilnahme an der Endrunde machten. Doch Zdob si zdub – der Name bedeutet in etwa Bingbong oder Tamtam – hatten offenbar die Zeichen der Zeit richtig erkannt und setzte bei dem Wettbewerb auf eine Kombination aus Hardrock und verfremdeten Elementen heimischer Volksmusik – eben jenen explosiven Mix, mit dem eine Sängerin aus der benachbarten Ukraine schon beim Sängerwettstreit in Istanbul im letzten Jahr die heiligen Kühe der Eurovision schlachtete und siegte: Ruslana, die statt seichtem Softpop die feurigen Klänge ihrer Heimatregion präsentierte, wo sich die Musiken von Balkan und Karpaten berühren. Eine für mitteleuropäische Ohren bis dato fremde Kost, daher ein Hoch-Risiko-Unternehmen. Ruslana nahm die Hürden dennoch souverän, weil sie sich kompromisslos und von Kopf bis Fuß durchgestylt als wilde Räuberbraut inszenierte: knappe Lederbekleidung, viel nacktes Fleisch, wallendes Haar und Glitzersteine.

Auf den Zug sind inzwischen auch Bands aus Ungarn oder Georgien aufgesprungen. Auch Altstars der Szene wollen von dem Trend profitieren. So hat sich Bijelo dugme, die Ethno-Rock-Gruppe aus Sarajevo um Goranj Bregovic, der die Filme von Emir Kusturica mit Zigeunermusik unterfüttert, kurzzeitig wieder zusammengerauft und tourt momentan erfolgreich durch ganz Ex-Jugoslawien. Auch die Troubaduri aus dem kroatischen Dubrovnik – alle vier sind inzwischen über sechzig – denken laut über ein Comeback nach.

Und Zdob si zdub – die Jungs sehen sich und ihre Musik irgendwo zwischen Bregovic und Red Hot Chili Peppers – haben ebenfalls schon eine Reihe neuer Projekte angeleiert. Inspirationen holt sich die schon vor zehn Jahren gegründete Band vor allem auf Reisen durch Moldawien und Rumänien. Beide Staaten verbindet eine lange, gemeinsame Geschichte. Sprache und Kultur sind weitgehend identisch. Oft treffen sie dabei auf bühnenreife Amateure, die für konkrete Projekte zeitweilig in die Band integriert werden. Beim Song Contest in Kiew war es Bunica Lidia – Oma Lidia, deren Trommelwirbel den Jungs ein Gutteil der Punkte einbrachte. Die 58-Jährige wohnt in einem Dorf im Süden und wurde von Zdob si zdub vom Fleck weg engagiert. So, wie zuvor ein Zigeunerjunge aus Rumänien, ein fiedelndes Naturtalent, das keine Note lesen kann, oder ein Hirte, der seinen 450 Schafen auf der Panflöte aufspielt.

„450 Schafe“ heißt denn auch das bisher erfolgreichste Album der Band – Songs, in denen die Glocken der Tiere bimmeln und die Wildbäche in den Karpaten rauschen, wo Manager Igor sein Traumhaus bauen will, wenn er mal zu Geld kommt. Träume, die nach dem Erfolg in Kiew durchaus real sind.

„Wir wissen, dass wir nur ein knappes Zeitfenster haben und das müssen wir ausnutzen“, sagt Manager Dînga und blättert in seinem Terminkalender. Vorerst ist die Band nur für Konzerte in der Ukraine und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion gebucht, wo sie bisher rund eine Million CDs verkauft hat. Obwohl sie nur ganze zehn Prozent ihres Repertoires in russisch absingt. Ein Luxus, den sich ungestraft bisher nur die Popikone der späten Sowjetzeit, Zofia Rotaru, leisten konnte. Auch sie ist in Bessarabien geboren, jener historischen Landschaft, die heute weitgehend identisch mit der Republik Moldawien ist.

Das Ziel, das die Band eigentlich anpeilt, ist ohnehin nicht der postsowjetische Raum, sondern Europa. „Wir verstehen uns als Botschafter des neuen Moldawiens“, sagt Dînga selbstbewusst. „Wir gehören zu einer neuen Generation, die neue Werte transportieren kann und muss.“

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