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Bombastische Bonbonfarben - das Modehaus Adelle: Die Prinzessin vom Hermannplatz

Bei Adelle hat die Kundin ganz schön viel zu gucken. Sefiye Öztürk berät, betreut und heult mit.

Unaufgeregt, leger und informell – das ist Mode in Berlin. Aber es gibt da noch was anderes. Jeder Hauptstädter kennt die Schaufenster voller Pomp, die ganze Straßenzüge in Neukölln, Kreuzberg und Wedding säumen. Bombastische Kleider in allen Bonbonfarben – in ausladender Silhouette, manchmal mit körperbetonter Meerjungfrauenlinie, in jedem Fall mit ganz viel Glitzer.

Adelle, direkt am Hermannplatz gelegen, ist eines dieser Geschäfte. Wenn eine Kundin den Laden betritt, ist sie vor lauter Pailletten oft erstmal überfordert. Da bedarf es geduldiger Betreuung und guter Beratung, und damit kennt sich Sefiye Öztürk aus. „Wenn Sie dafür nicht begabt sind, können Sie auch nicht in den Verkauf gehen“, sagt sie. „Man muss ganz genau spüren, was die Kundin will. Wir müssen sie verzaubern.“

Das Zaubern hat die in Berlin geborene Modeberaterin am Oberstufenzentrum Bekleidung und Mode in der Kochstraße gelernt. „Nach meiner Ausbildung zur Schneiderin war ich längere Zeit Hausfrau und habe meine Kinder großgezogen. Da habe ich zu Hause als Hobby viel genäht“, erzählt sie. „In meiner Nachbarschaft hat sich schnell herumgesprochen, was ich so kann. Natürlich habe ich auch für meinen Mann und meine Kinder genäht.“ Viel Platz für Glitzer war da aber nicht: Sefiye Öztürk ist Mutter dreier Söhne.

Zurück im Berufsleben, hat sie kurz nach der Geschäftseröffnung 2013 bei Adelle angefangen. „Ich verkaufe hier nicht nur, ich schneidere und nähe auch“, erzählt sie. Die vielen Kleider, die aus ganz verschiedenen europäischen Ländern kommen und von ihrem Chef Sait Akbulut auf Braut- und Abendkleidermessen in Mailand oder Barcelona eingekauft werden, brauchen mindestens genauso viel Betreuung wie die Kundinnen selbst. Denn was nicht passt, wird passend gemacht: „Wenn einer Kundin ein Kleid gefällt, aber sie kann in die Kirche oder in die Moschee nicht mit nackten Armen gehen, dann nähen wir einfach Ärmel an das Kleid.“

Wie in der Neuköllner Nachbarschaft sowieso, spielen auch im Kleiderladen am Hermannplatz verschiedene Kulturen und Religionen eine große Rolle. „In unserem Geschäft treffen ganz unterschiedliche Mentalitäten aufeinander. Katholisch, evangelisch, Muslime, wir hatten auch schon Kunden aus Pakistan oder China“, erzählt Sefiye Öztürk, „da hat jeder seine Traditionen und Gesetze. Darüber lernen wir hier viel, wenn wir zusammen mit den Kunden die passende Garderobe aussuchen.“

Die Lust auf Glitzer ziehet die Kundinnen an

Die vielen unterschiedlichen Adelle-Kundinnen vereint eines: Lust auf Glitzer. Was in orientalischen Kulturkreisen schon lang an der geschmacklichen Tagesordnung ist, das findet mittlerweile auch in Deutschland immer mehr Anklang. „Da hat sich viel geändert“, bestätigt Sefiye Öztürk, „Bei meinen deutschen Freundinnen habe ich früher immer beobachtet, dass sie eher schlichte Hochzeitskleider wollten. Heute wollen alle Walla-Walla! Gerade Deutsche kaufen besonders gern Prinzessinenkleider.“

Auch viele Hochzeitsbräuche seien längst nicht mehr aktuell. Heute dürften die Zukünftigen oft ihre Frauen schon vor dem großen Tag bewundern: „Die Männer kommen mit den Bräuten mit und mischen sich ein.“ Für sich selbst wird der Bräutigam bei Adelle auch fündig, im Geschäft hängen einige Anzüge. Mit barocken Mustern und glänzenden Knöpfen sind auch sie recht prunkvoll, aber mit den Stickereien, Spitzen und Drapagen der Kleider können sie natürlich nicht mithalten. Erst recht nicht mit den Roben nach dem Vorbild osmanischer Königskleider, die sind besonders aufwendig mit feingliedrigen Stickereien versehen und unzähligen Schmucksteinen besetzt.

Wenn jemand so an der Quelle sitzt, sollte man meinen, dass bei der eigenen Hochzeit besonders viel geglitzert wurde. Aber Sefiye Öztürk sind die neunziger Jahre dazwischengekommen: „Damals musste alles schlicht sein.“ Ein einfaches Kleid aus Satin, das war’s. Aber sie holt jetzt nach: Zur Hochzeit der Nichte ihres Mannes in der Türkei trug sie ein lachsfarbenes Kleid mit passendem Kopftuch. Das Modell stammt natürlich aus einer Zweitfiliale von Adelle.

Auch die üppigen Roben aus dem Geschäft im Wedding landen meistens auf Tanzparketts von großen Hochzeiten, Verlobungsfeiern oder rauschenden Abifeten. Durchlebt man mit seinen Kundinnen die Vorbereitungen so wichtiger Lebensereignisse, dann wird der Kontakt schnell eng. „Das ist hier nicht wie bei Zara oder H&M“, sagt Sefiye Öztürk. „Manchmal treffe ich ehemalige Kundinnen auf der Straße und kriege einen Riesenkuss als Dankeschön für die schönen Erinnerungen.“

So viel Glanz und Gloria – da muss es bei so mancher Braut doch zu wahren Gefühlsausbrüchen kommen? „Aber wie!“, sagt Sefiye Öztürk. „Die heulen hier oft – und wir heulen mit!“

- „Adelle“, Kottbusser Damm 62, in Neukölln

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