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Interview: Warum die Premium in Berlin funktioniert

Richtiger Zeitpunkt, richtiger Ort, richtige Leute: Vor zehn Jahren organisierten Anita Tillmann und Norbert Tillmann die erste Modemesse Berlins. Aus 70 Marken sind heute 900 geworden.

Vor zehn Jahren haben Sie die erste Premium organisiert. Wie ging es 2003 los?

Anita Tillmann: Berlin war der einzige Ort, an dem man sich ausprobieren konnte. Aber wir hatten keine Zeit, uns über langfristige Strategien Gedanken zu machen. Es waren der richtige Zeitpunkt, der richtige Ort und die richtigen Leute, also probierten wir es. Wir kannten den Markt gut, doch es stand fifty-fifty: Entweder funktioniert Berlin – oder nicht.

Nobert Tillmann: Der U-Bahn-Tunnel am Potsdamer Platz war ein Betonkessel, den mussten wir dann einrichten. Dabei passierten auch viele Fehler, aber die gute Nachricht war: Am ersten Tag morgens um neun war alles fertig. Es war nur ein bisschen kalt, weil die Heizung ausgefallen war.

Als die Premium anfing, dachten viele: Was ist denn hier gelandet?
A. Tillmann: So haben wir uns auch gefühlt. Wie ein Ufo. Das war für alle hier total neu. Erstmals kamen internationale Marken nach Berlin. Hier hatte man gar keinen Bezug zum Markt und zur internationalen Mode. Dass es Zeit brauchen würde, bis das in Deutschland ankommt, war klar.

Warum war Berlin damals der richtige Ort zur richtigen Zeit?
A. Tillmann: Die Messen und die Mode stagnierten damals in Deutschland. Überall gab es das Gleiche zu sehen. Die großen, kommerziellen Anbieter hatten sich auf dem Markt breitgemacht. Es war Zeit für etwas Neues. Wir haben unser Konzept auch bei der Messe in Düsseldorf vorgestellt, aber die haben uns ausgelacht und weggeschickt.

Zu dem Zeitpunkt war die Düsseldorfer Messe CPD die größte der Welt. Heute gibt es sie nicht mehr – auch, weil es Berlin gibt. Sehen Sie das als Bestätigung?
A. Tillmann: Natürlich. Das liest sich wie im Lehrbuch. Wenn eine Generation sich ihrer so sicher ist, dann kommt irgendwo jemand mit etwas Neuem. Man darf sich einfach nie zu sicher sein.

N. Tillmann: ... und uns war klar: Das ist der Ort, auf den in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren die Augen gerichtet sein werden, weil hier am meisten passiert. Das ist die Mitte Europas. Und Mode kommt nun mal traditionell aus Europa.

A. Tillmann: Berlin war wie eine Insel in Deutschland. Wir kennen viele deutsche Kreative, die im Ausland arbeiten mussten. Wir wollten etwas gründen, womit man die Leute wieder nach Deutschland zurückholt. Das war ein Grund, dieses Risiko einzugehen.

Die Premium hatte zu Beginn 70 Aussteller, heute werden 900 Marken mit mehr als 1400 Kollektionen gezeigt. War es eine organische Entwicklung?
A. Tillmann: Organisches Wachstum hört sich so harmonisch an, ist aber natürlich mit sehr viel Arbeit verbunden. Wir haben von vornherein unsere Marken kuratiert. Es ist uns nicht leicht gefallen, Marken wegzuschicken. Wir hatten Anfragen von großen Freizeitmodefirmen, die für uns finanziell super gewesen wären. Aber das hätte unser Konzept verwässert. Wir haben nein gesagt. Und wir tun es immer noch.

Sie setzen auch Schwerpunkte wie grüne oder skandinavische Mode.
AT: Wir machen Trends und stellen sie vor. Skandinavien ist ein gutes Beispiel. Wir haben Kollektionen vorgestellt, die es auf dem europäischen Markt, in dem Fall außerhalb Skandinaviens, noch nicht gibt.

Gibt es aktuell so ein Thema?
A. Tillmann: Asien. Alle sagen: Wir müssen nach China. Wir sagen: Lasst doch erst mal die Asiaten zu uns kommen. Und Asien besteht nicht nur aus China. Südkorea oder Japan haben extrem viel kreatives Potenzial. Und wir holen nicht nur Marken von dort hierher, sondern auch Einkäufer, diesmal etwa 80.

N. Tillmann: Denen bieten wir dann ein Komplettprogramm und zeigen ihnen Berlin.

Sie zeigen ihnen also auch die Welt außerhalb der Premium?
A.Tillmann: Natürlich. Es wäre doch kleinkariert zu sagen: Wir wollen euch nur hier, ihr dürft hier nicht mehr raus. Die sollen auf die anderen Messen gehen, die Catwalks sehen, die sollen shoppen und Sightseeing machen. Und dann über Berlin erzählen.

N. Tillmann: Sicher sind andere Veranstaltungen auch Konkurrenz, aber den Einkäufer interessiert das nicht. Der will Berlin erleben.

War das auch ein Grund, warum Sie 2007 die Fashion Week gründeten?
A. Tillmann: Nachdem wir gesehen hatten, dass unser Konzept mit der Premium funktioniert, und sich parallel dazu in der Stadt viel entwickelt hatte, war uns klar: Wir sind eine Messe, und daran ist nichts Glamouröses. Die öffentliche Wahrnehmung einer Modehauptstadt funktioniert nun mal über Catwalks. Sie braucht Designer und Promis. Auch weil es das noch nie in Deutschland gegeben hatte, war unser Plan: Wir brauchen eine Fashion Week in Berlin. Wir sind in Deutschland gar nicht damit weitergekommen. Dann haben wir bei IMG in New York vorgesprochen und unsere Vision für Berlin als neue Modehauptstadt vorgestellt.

Worin bestand diese Vision?
A. Tillmann: Historisch gesehen gibt es eigene Messen für Damen-, Herren- und Kindermode, Schuhe und Taschen, alle zu verschiedenen Zeiten. Und dazu noch Damen- und Herrenshows wieder an anderen Terminen. Wir konnten uns nicht mit anderen Standorten vergleichen, die haben zu viel Tradition. Die Chance war, etwas ganz Neues dagegenzusetzen. Das hieß: Messen und Catwalks zur gleichen Zeit.

Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
A. Tillmann: Ja. Wir zeigen in Deutschland, was Deutschland ist. Man sollte nicht immer sagen: Woanders ist es aber schöner, sondern: Das sind wir. Wenn man sich jetzt nach zehn Jahren die zweite Generation von Designern anschaut, dann entwickelt sich das sehr gesund: Lala Berlin, Kaviar Gauche, Kilian Kerner und Michalsky haben sich auch international fest etabliert, und nun kommen Augustin Teboul und Michael Sontag und viele neue Kollektionen dazu. Der Unterschied zu Italien oder Frankreich ist: Unsere Spitze ist noch nicht so weltbekannt.

Wurde Berlin als Modestadt unterschätzt?
N. Tillmann: Viele hielten das für eine Eintagsfliege. Aber es hat sich entwickelt, auch als Wirtschaftsfaktor. Wir haben natürlich eine andere Kultur als in Frankreich oder Italien. Aber gerade die deutschen Tugenden, die Seriosität, sind in der Wirtschaftskrise wichtiger geworden. In den Ländern, in denen es schlechter läuft, wird nun etwas gesucht, woran man sich orientieren kann.

Wie wird es jetzt weitergehen?
A. Tillmann: Wir haben in Berlin langfristig für die nächsten zehn Jahre etwas geschaffen, das großes Potenzial hat. Es wird mehr Kapital in die Stadt kommen, dadurch werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln. Die großen kommerziellen Firmen, die nun auch kommen, brauchen kreativen Input, egal, ob es nun um Lookbooks, Webpages oder Design geht. Bisher gibt es ja kaum Investoren für unsere Kreativen. Jetzt ergeben sich neue Möglichkeiten. Gerade in unserer Branche folgt das Kapital immer den kreativen Impulsen. Aber man muss das Potenzial auch bündeln und präsentieren. Ich glaube, das ist hier in Berlin so weit ganz gut gelungen.

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