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Interview zur Bread & Butter: Messechef Müller und Designer Michalsky: "Berlin soll nie wie Paris werden"

Messechef Karl-Heinz Müller und Designer Michael Michalsky setzen sich seit Jahren für den Modestandort ein. Hier verraten sie, warum man auch noch mit über 40 neue Trends setzen kann. Und was Klamottenkaufen mit Demokratie zu tun hat.

Sie sind aus Berlins Modebranche nicht wegzudenken: Karl-Heinz Müller, Chef der Bread & Butter und Inhaber des „14 oz.“ in der Neuen Schönhauser Straße, sowie Designer Michael Michalsky, der am Freitag im Tempodrom seine neue Kollektion vorstellt und um die Jahrtausendwende maßgeblich das Design von Adidas geprägt hat. Die zwei haben mehr gemeinsam, als man denkt.

Was verbindet Sie beide eigentlich?

KARL-HEINZ MÜLLER: Michael Michalsky ist eigentlich daran Schuld, dass die B & B überhaupt entstanden ist. Ich hatte in Köln 1999 den Laden „14 oz.“ eröffnet, und damals gab es Premium Denim überhaupt noch nicht. Im Frühjahr 2001, als Michael noch Global Creative Director bei Adidas war, hat er zu einem Event eingeladen, um Adidas Originals vorzustellen. Da waren 50 Wunschkunden, die kannte ich alle, weil ich vorher im Außendienst gearbeitet hatte. Abends gab es eine Party und Michael war mittendrin. Danach gingen wir ins Sporthotel in Herzogenaurach, saßen an der Bar und plötzlich kam das Thema Messe auf. Wir waren alle sehr unzufrieden. Dann habe ich nachts geträumt, eine Messe zu gründen. Und morgens bin ich aufgewacht und wusste: Ich mache eine Messe.

MICHAEL MICHALSKY: Es haben viele Träume in Herzogenaurach stattgefunden. Ich habe geträumt, dass ich mal mit Yohji Yamamoto eine Kollektion mache.

KHM: Und auf dem Heimweg habe ich meinen Freund Kristyan Geyr angerufen und gesagt: „Ich mache eine Messe, machst du mit?“ Im Juli 2001 fand dann im eckigen Rundbau neben dem Kölner Messegelände die erste B & B statt.

MM: Da waren die Leute total geflasht, weil sie so was noch nicht gesehen hatten. Es war die erste Messe, die Jeans, Sportswear und Workwear zeigte. Das wird von der Highfashion schief angeguckt, ist aber die Mode des 21. Jahrhunderts.

KHM: Viele fragen ja, wann Berlin endlich so wie Paris oder Mailand wird. Aber es gibt hier eine ganz neue Kultur. Jugendkultur wie früher gibt es nicht mehr. Früher stiegen die Leute irgendwann von Jeans auf Anzüge um, weil sie sich es leisten konnten. Heute kaufen sie sich stattdessen eine Jeans für 300 Euro. Früher wurden Trends von 20-Jährigen gemacht. Heute ist es nicht ungewöhnlich, wenn Trends von Leuten wie Michael gemacht werden, der ist 43. Ich bin 53, und wir bewegen uns in den angesagtesten Clubs. Mit dem Alter hat das heute nichts mehr zu tun, sondern eher mit Haltung.

MM: Ich glaube, unsere Generation wird auch in zehn Jahren genau das Gleiche machen, was sie jetzt tut. Ich dachte früher, wenn ich 30 werde, würde sich mein Leben komplett ändern. Inzwischen nenne ich uns die „ewige Zielgruppe“. Wir sind ja die erste Generation, für die Mode, Marketing, Musik, Internationalisierung, Trends zusammengekommen sind. Die nach uns haben das ja alles schon. Als ich ein Teenie war, musste ich ein Modemagazin aus London in der Bahnhofsbuchhandlung bestellen. Heute weiß ich fünf Minuten später, wenn etwas in Tokio passiert ist. Auch unser Erwerbsleben hat sich total verändert, hier in Berlin arbeiten viele Leute in Jobs, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab. Deshalb hasse ich die Frage, wann Berlin wie Paris wird. Das soll so nie werden. Hier wird gezeigt, was relevant ist, und dafür gibt es keinen anderen Platz als Berlin.

KHM: Mode ist viel demokratischer geworden, viel mehr Leute haben Zugriff auf Mode. Es ist ein riesiger Wirtschaftszweig geworden. Berlin steht für diese Industrie. Wenn die Unternehmen begriffen haben, dass die Bread & Butter, die Premium, die Mercedes-Benz Fashion Week bleiben, wird es bestimmt bald die ersten Firmenzentralen hier geben.

MM: Mich wundert, warum hier noch keiner eine Designabteilung aufgemacht hat. Was mich nervt, ist die Ungeduld. Ich mache nun schon meine neunte Schau. Ich habe so viel Respekt vor meinen Berliner Kollegen, die auch eine Schau machen, weil ich weiß, wie schwierig das ist. Es bewegt sich in die richtige Richtung, wir können uns nicht vorstellen, wie es hier in fünf Jahren aussehen wird.

KHM: Wir sind halt das Volk der Grundpessimisten, aber wenn es hier was wird, dann heißt das ja was. Aber Berlin wird ja nicht mehr nur von den Deutschen getragen. Über zwei Drittel der Besucher kommen aus dem Ausland.

Welche Trends sehen Sie bei den Marken auf der Bread & Butter?

KHM: Im Moment gehen die Marken in Richtung Heritage. Die Leute wollen sich entschleunigen, sie haben eine Sehnsucht nach Nachhaltigkeit. Woolrich-Parkas siehst du hier überall auf der Straße, ein tolles konventionelles Produkt. Ich habe eine eigene Halle nur mit solchen Marken.

Bei solchen Produkten spielt es auch keine Rolle mehr, dass sie breit vertreten sind?

KHM: Obwohl die Produkte gleich sind, sehen die Leute darin immer anders aus. Dass ist die Individualität, die ich geil finde – das ist modern. Ich finde ja auch immer die Geschichten zu den Marken toll. Das wird immer wichtiger. Heute interessiert keinen mehr, wenn Leute mit Piercings und Tattoos versuchen, hardcore-individuell zu sein. Heute bist du viel individueller, wenn du ein Tweedjackett anhast und dazu eine abgeranzte Jeans, die du seit 20 Jahren hast – das ist viel extremer. Das ist auch mein ökologischer Ansatz: Konsumiert weniger und kauft euch was Gutes. Es ist doch abartig, wenn du dir bei Takko ein Hemd kaufen kannst, das so viel kostet wie die Reinigung meines Hemdes.

MM: Aber nur weil wir in dieser Welt leben und diese Dinge kaufen, heißt das nicht, das es für alle erreichbar ist. Die Produkte, mit denen Karl und ich handeln, sind schon für viele Leute Luxusprodukte. Da darf man nicht die Perspektive aus den Augen verlieren.

KHM: Du kaufst dir keinen ganzen Look mehr von Kopf bis Fuß. Zur Demokratie gehört auch, dass sich einer mehr leisten kann als der andere.

MM: So, um den Zirkel wieder zu schließen: Deshalb ist Berlin so cool. Es ist die Kombination von Bread & Butter, Premium am Gleisdreieck und den Modenschauen auf dem Bebelplatz. Ich glaube, das, was hier entsteht, wird in fünf Jahren richtig wichtig sein. Man muss endlich die Eigenständigkeit der Berliner Modewoche akzeptieren.

KHM: Die Gesamtindustrie hat erkannt, dass die Street- und Urbanwear ...

MM: Ich kann den Begriff nicht mehr hören, eigentlich ist es Streetwear, aber der Begriff ist so überstrapaziert.

KHM: Aber du musst einen Begriff kreieren. Wenn du Haute Couture sagst, weiß jeder, was gemeint ist. Wir sprechen von Kleidung für einen zeitgemäßen Menschen, der tagsüber zur Arbeit und abends in den Club geht, aber auch ins Theater und oder auf einen Empfang. Das Spektrum an Marken ist auch deshalb viel größer geworden. Ich muss immer wieder Marken auswechseln, weil ich nicht mehr Platz habe – weil wir auch eine Spielfläche für neue junge Firmen haben wollen. Es gibt viele gesetzte Marken. Auch Michael hat ja während der Fashion Week seinen festen Platz: Am Freitag zeigt Michalsky.

Wie nehmen Sie sich gegenseitig als Marke wahr? Sie sind für die Berliner Mode ja beide absolut erkennbar.

KHM: Mittlerweile führe ich Michalsky in meinem Laden. Eigentlich würde ich keinen Designer führen, aber die Hemden, die er bei Seidensticker produzieren lässt, ebenso seine Kooperation mit Maharishi, sind toll. Ich habe großen Respekt vor ihm, er ist sehr geerdet bei dem, was er macht. Und wir mögen uns auch als Personen. Außerdem ist Michael ein Pionier für Berlin. Genau wie wir und unsere Kollegen vom Gleisdreieck.

MM: Wir sind alle auf einer Wellenlänge.

KHM: Aber eigentlich muss man erst einmal fragen, was eine Marke ist. Ich komme ja aus der Lebensmittelindustrie: Früher war ein Bouillonwürfel ein Bouillonwürfel, irgendwann war er dann Maggi oder Knorr. So ist es auch in der Mode: Jeans wurde Levi’s. Wenn du ein Profil hast, dann bist du eine Marke. Das kannst du nur sein, wenn du etwas anders machst als die anderen.

MM: Und das musst du kommunizieren. Ich kann mir keine großen Anzeigenkampagnen leisten, also muss ich meine Botschaft eben anders heraustragen. Als unabhängiges Unternehmen groß zu werden, ist fast nicht mehr möglich, deshalb bewundere ich meine Kollegen wie Kaviar Gauche und Lala Berlin. Die sehen auch, dass die Dinge auf der Straße passieren.

KHM: Die Markenwelt der Bread & Butter hat eine riesige Wirtschaftskraft. Das sage ich auch immer unserem Bürgermeister. Da gibt es jede Menge Arbeitsplätze auf der Welt.

Fühlen Sie sich sehr als Missionare, weil Sie ständig was zur Entwicklung von Berlin als Modestadt sagen müssen?

MM: Es wird schon weniger. Ich bin hier nicht angetreten, weil ich ein Missionar sein will, sondern weil ich denke, dass ich mit Berlin richtig liege. Ich mache das aus fester Überzeugung und nicht, weil ich mit Karl-Heinz wie ein Kreuzritter durch Berlin-Mitte reiten will. Wir werden halt gefragt, weil wir da sind und uns artikulieren können. Ich werde ja nicht von der Stadt Berlin bezahlt und versuche, etwas schönzureden. Ich bin hier, weil ich das große Bild habe: von den Jeansmarken bis zu den Berliner Designern wie Mongrels in Common und Kaviar Gauche. Ich bin überzeugt, dass das die Mode des 21. Jahrhunderts ist.

KHM: Aber wir bitten hier niemanden her. Die kommen alle freiwillig. Die B & B ist die meistbesuchte Messe im textilen Bereich weltweit.

MM: Die Stadt ist schon seit drei Monaten ausgebucht – das war nicht immer so.

Im Sommer wird es dann auch die Bread & Butter Youngstars geben, eine eigene Messe nur für Kindermode. Warum?

KHM: Es ist so, dass viele Marken, die ohnehin bei uns sind, eigene Kidswear-Linien haben. Es ist eigentlich genau die Kultur, wie wir sie im Erwachsenenbereich haben. Street- and Urbanwear gibt es auch im Kidswear-Bereich. Wir haben das im Sommer zunächst mal an die Bread & Butter angehängt, aber gemerkt, dass das sehr schwierig ist, weil man keinen Fokus darauf hat. Da ist die Bewerbung sehr schwierig. Aber eigentlich fehlt in Deutschland eine Plattform. Eine internationale Kidswear-Messe gibt es in ganz Europa nicht, und ich glaube, dass Deutschland ein guter internationaler Messeort ist, nicht nur in der Textilbranche. Und wir haben sowieso die Verbindung zu vielen unserer Kunden, die auch Kindermode machen, und die echten Kidswear-Marken kommen dann noch dazu. Wir sind dabei, jetzt ein Team zu bilden, und im Sommer geht es dann los.

Da wird dann schon die nächste „ewige Zielgruppe“ herangezogen?

KHM: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich schon als Kleinkind meiner Mama gesagt hätte, was ich anziehen will. Mein Dreijähriger sagt mir ganz deutlich, welches T-Shirt er anziehen will. Die Erwachsenen legen da auch Wert drauf, bilden die Kinder heran. Das ist in Ländern wie Frankreich oder Italien schon viel früher der Fall gewesen. Es geht schon um eine gute Bekleidungskultur. Das ist ja auch eine gute Sachbildung.

MM: Ein Manko in Deutschland ist aber, dass Fashion noch nicht zum Kulturgut gehört. In Frankreich oder in England ist das anders. Da kann dir jeder Taxifahrer sagen, dass Stella McCartney oder damals Alexander McQueen den BFA gewonnen haben. Und wenn Yves Saint Laurent gestorben ist, ist das in den Hauptabendnachrichten. Beim Finale der Fußball-WM in Frankreich hat er eine Retrospektive im Stadion gezeigt. Ich bezweifle, dass so was mal in Deutschland stattfindet, und das hängt auch mit der Kulturgeschichte zusammen. Aber wir arbeiten daran ...

MM: Als ich bei den Banken war und mein Unternehmen gegründet habe, merkte ich: Die finden Fashion nicht so cool, wie wenn ich sage: Ich erfinde jetzt ein neues Facebook. In anderen Ländern denken die: Okay, das gehört zum Nationalkulturgut. Die sind stolz auf ihre Modemarken. Das ist hier noch anders.

Aber es hat sich schon etwas verändert?

MM: Was Berlin betrifft, muss man dem Wowi echt ein Kompliment machen. Der hat das wirklich früh erkannt. Der setzt sich wirklich ein, genau wie alle, die mit ihm zu tun haben.

KHM: Bei uns war es so, dass man uns in Köln alle möglichen Genehmigungen versagt hat. Da haben wir dann einen Brief an Herrn Wowereit geschrieben. Das war im Herbst 2002. Wir haben gesagt, wir sind eine kleine Veranstaltung in Köln, die machen uns hier das Leben schwer und wir glauben sowieso, dass Berlin die bessere Stadt ist. Wir würden gerne kommen, was müssen wir machen? Da hat er prompt geantwortet, das dauerte keine Woche. Wir haben einen Brief bekommen, von ihm unterschrieben, in dem stand: Wenden Sie sich doch an unsere Wirtschaftsförderung, ich habe da Bescheid gegeben, hier ist die Adresse, die können sich um Sie kümmern.

MM: Er hat erkannt, dass Berlin kreatives Potenzial hat, dass die Kreativbranche nicht nur Internetklitschen, Filmproduzenten oder irgendwelche Musikleute und Clubs sind, sondern dass das eine große, facettenreiche Landschaft ist. Und Mode ist ein ganz wichtiger Bestandteil.

KHM: Deswegen ist es mir auch wichtig, immer wieder den wirtschaftlichen Faktor zu unterstreichen. Mode ist eine ganz normale Industrie wie die Pharma- oder die Autoindustrie. Das muss man einfach sehen. Als wir in Barcelona waren, hat die Stadt mal Berechnungen angestellt, was jede Bread & Butter bringt. Dort gab es ja nur die Bread & Butter. Die haben damals gesagt: Jede Bread & Butter bringt uns ungefähr 100 Millionen Umsatz in die Stadt. Das sind 200 Millionen Euro im Jahr.

Um noch mal auf Herrn Wowereit zurückzukommen: Ist das hier auch ohne ihn als Person denkbar?

MM: Ich kenne die einzelnen Mechanismen nicht, aber auf alle Fälle zieht das Team, das er um sich geschart hat, an einem Strang. Die sind positiv und suchen Alternativen, wenn die Sachen nicht klappen. Geht nicht, gibt’s nicht. Ich bezweifele, dass das in München so ist.

KHM: Ich finde, Wowereit hat unheimlich viel geleistet. Für die Vergabe Tempelhofs an uns wurde er stark kritisiert. Ich kann auch ältere Berliner Mitbürger verstehen, die sagen: Hätte es Tempelhof nicht gegeben, dann wären wir damals während der Luftbrücke 1949 wahrscheinlich verhungert. Aber viele Leute sind dagegen und wissen gar nicht warum. Aber Wowereit hat da wirklich eine Pionierleistung vollbracht, und ich bin ihm sehr dankbar dafür.

MM: Und das hat er auch für die Mercedes-Benz Fashion Week gemacht. Er hat die Gesamtheit gesehen.

KHM: Er sieht, dass Berlin kein Industriestandort mehr sein kann. Und auch kein Finanzstandort. Wir können aber Kreativität und neue Industrien nach Berlin holen. Er hat nun wieder für unseren Eröffnungsabend zugesagt und ich freue mich, wenn er da ist. Er macht am Mittwoch einen Rundgang, begrüßt die Aussteller persönlich und fragt sie tatsächlich auch, wie es ihnen geht und wie ihnen Berlin gefällt.

MM: Er ist ja auch kein Chi-Chi-Typ. Er hat erkannt, dass Mode ein Wirtschaftsfaktor ist und dass sie der Stadt einen Coolness-Faktor gibt, der jedes Wochenende Hundertausende von trendy Kids in die Stadt spült. Die Entwicklung gibt ihm recht. Am Anfang waren die Leute miesepetrig, aber der Erfolg gibt ihm recht. Und ich freue mich auch für ihn, weil er viel dafür einstecken musste.

Das Interview führte Grit Thoennissen

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