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Mode: Die Klangfarbenvirtuosin

Die Textildesignerin Almut Warttinger verwandelt Musik in Farbkompositionen – und hat dafür nun einen Preis gewonnen

„Man muss das Konzept meiner Entwürfe nicht unbedingt kennen“, sagt die Textildesignerin Almut Warttinger. „Mir reicht es, wenn die Menschen sie einfach schön finden.“ Das ist natürlich ein ebenso simpler wie anspruchsvoller Wunsch. Doch der Wirkung der feinen Seidenstoffe, auf denen sich Reihen rhythmisch wiederkehrender, einander überlagernder Farbfelder zu einem schillernden Gesamtbild zusammenfügen, kann sich auch ein ahnungsloser Betrachter kaum entziehen. Und warum sollte ein bedruckter Stoff überhaupt eine Geschichte hinter den Mustern haben, ein Konzept, das über den schönen Schein hinausweist?

Bei Almut Warttingers Werken lässt sich beides letztlich doch nicht voneinander trennen. Die Muster, die so eigenständig wirken, verdanken ihre Wirkung nämlich gerade dem zugrunde liegenden Konzept. Man muss es kennen, um zu verstehen, wie sie zustande kommt. Und diesem Konzept verdankt die 28-jährige Designerin, die erst im Sommer mit der Stoffkollektion „Imago Sonus“ ihr Diplom an der Kunsthochschule Weißensee gemacht hat, schließlich auch ihren bislang größten Erfolg: Gerade wurde sie vom Gesamtverband Textil + Mode mit dem Innovationspreis für Textildesign ausgezeichnet. Seine Wahl begründete der Verband mit dem Thema der Kollektion: Musik sichtbar zu machen.

Es ist nicht irgendein Musikstück, das Almut Warttinger ihren Entwürfen zugrunde legte. Die 1976 vollendete Komposition „Music for 18 Musicians“ des amerikanischen Minimal-Music-Pioniers Steve Reich hatte sie schon zu Schulzeiten tief beeindruckt. Weiß man das, werden auch die Stoffmuster verständlicher: Das Musikstück baut auf einer pulsierenden Abfolge von Klängen auf, die sich minimal verändern, kaum hörbare Entwicklungen durchlaufen und in ihrem Zusammenwirken eine geradezu hypnotische Wirkung entfalten. Und so verhält es sich auch mit den Farbfeldern der Stoffe.

Früh im Studium malte sie eine Serie von abstrakten Aquarellen nach Motiven des Stücks, in denen sie ihr Erleben der Musik verarbeitete. Die kleinen Bilder verschwanden jedoch erst einmal wieder in der Schublade. Erst als das Diplom bevorstand, kam sie auf die Aquarelle zurück. Dann war ihr Ziel klar: „Ich wollte die Begeisterung, die ich bei dieser Musik empfinde, in die Gestaltung hinüberhieven.“

Und so bildeten sie schließlich den Ausgangspunkt der Kollektion – und den Schlüssel zu ihrem Verständnis. Denn wenn sich jemand ausgerechnet mit der streng rationalen, bis ins kleinste Detail durchkonstruierten Minimal Music beschäftigt, würde man erst einmal eine recht kopflastige Herangehensweise erwarten. Der nächstliegende Weg, diese Musik in Muster zu übertragen, ist vermutlich, ein Computerprogramm zu schreiben, das die Komposition systematisch in Farbfelder umrechnet. Genau das wollte Almut Warttinger nicht. Ihr ging es ja darum, die emotionale Wirkung einzufangen. Sie vergleicht das Problem mit Wissenschaftlern, die, in der Hoffnung, den Menschen zu verstehen, seine DNA analysieren: „Am Ende haben sie aber nur Zahlenreihen; die Seele haben sie damit nicht erfasst.“ Und ihr Ziel war, die Seele der Musik in Farben zu fassen. Zahlreiche Versuche, Musik systematisch zu visualisieren, hatte sie für ihre Diplomarbeit untersucht – aber keiner lieferte das, was ihr vorschwebte. So musste sie ein neues Konzept entwickeln, das beides konnte: die Struktur der Komposition und ihr eigenes Empfinden wiedergeben.

Daher spielten ihre Aquarelle, die sie intuitiv und ohne Gedanken an eine spätere Verwertbarkeit gemalt hatte, eine wichtige Rolle. Denn die Farbgebung der Stoffe geht auf diese frühen Versuche zurück. Natürlich musste sie sich auch ein Notationssystem für die verschiedenen Klänge überlegen, aber letztlich ist es das Zusammenspiel von rationalem Konzept und emotionalem Zugang, das den eigentümlichen Reiz der Kollektion ausmacht. Diese Elemente sind für sie bereits in Reichs Komposition angelegt. Die ist eben kein elektronisches Stück. So beeinflusst der Atemrhythmus der Musiker den Klang und gibt ihm einen „organischen“ Charakter. Solche menschlichen Nuancen prägen auch die Stoffe: Schließlich basieren die Muster eben auf handgemalten Aquarellen, deren kleine, kaum wahrnehmbare Unregelmäßigkeiten für die subtile Lebendigkeit sorgen.

Außergewöhnlich ist auch die Farbigkeit. Sie beruht nun aber tatsächlich auf einem digitalen Trick: Legt man mehrere Ebenen von Aquarellfarben übereinander, wie es das Konzept erfordert, dann werden die Farben dumpfer. Um den angestrebten leuchtenden Effekt zu erzielen, erzeugte Almut Warttinger daher am Rechner die Negative ihrer Entwürfe. Diese Umkehrung der Farbwerte sorgt für die fast unwirkliche Buntheit.

Natürlich erfordert ein Konzept, das so sehr auf Nuancen beruht, auch eine perfekte Umsetzung: Almut Warttinger vertraute ihre Entwürfe letztlich einer Spezialdruckerei in den Niederlanden an. Zeit für Probedrucke blieb nicht mehr, zu nah war der Examenstermin herangerückt. Der Moment der Wahrheit kam, als der Kurier sie an der Hochschule erreichte: „Ich wollte an dem Tag einfach nicht nach Hause gehen“, sagt sie. Zu groß hätte die Enttäuschung sein können. Umso größer war dann die Erleichterung, als sie sich dazu durchrang, das gelieferte Paket mit den fertigen Stoffballen zu öffnen: „Es sah wirklich genau so aus wie auf meinen Entwürfen.“

Wie es nun weitergehen wird, weiß die Designerin noch nicht genau. Das Konzept selbst will sie jedenfalls nicht verkaufen: „Das ist zu persönlich, wie ein Baby.“ Aber die fertigen Stoffe möchte sie schon vermarkten. Im Sommer stellte sie ihre Entwürfe bereits einer Kommilitonin, der Modedesignerin Magdalena Kiraga, zur Verfügung, die sie in ihrer Diplomkollektion zu Kleidern verarbeitete.

Einen besonderen Wunsch hat Almut Warttinger schon: „Ich könnte mir die Stoffe gut als Raumschmuck in einem Konzertsaal vorstellen. Dann würden sie schließlich wieder zu ihrem Ursprung zurückkehren.“

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