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Mode: Fazit der Fashion Week: Jenseits der Jahreszeiten

Die Designer der Fashion Week hoben die Grenzen auf: zwischen Sommer und Winter, Mann und Frau, echt und unecht. Ein Überblick.

Buntes Fell

Nachdem er lange verpönt war, ist Pelz seit einigen Saisons zurück in den Kollektionen der Designer. Grellbunter Fake-Fur ist besonders angesagt. Meist handelt es sich dabei inzwischen um Kunstpelz. Selbst Modehäuser wie Chanel zeigten bereits die tierfreundliche Variante. Auch in Berlin steht Pelz, beziehungsweise Kunstpelz, hoch im Kurs: Bei Malaikaraiss erhielten zurückhaltende Look erst durch bunte Pelzstolen in Knallgelb oder Rosé den nötigen Wow-Effekt. Bei Dawid Tomaszewski waren klassisch-zurückhaltende Pelzkrägen an Jacken und Mänteln zu sehen. Dorothee Schumacher ging hingegen in die Vollen und zeigte opulent-fellige Mäntel in Weiß und Kunstpelze aus Merinowolle.

Vladimir Karaleev wählte neue Wege und präsentierte eine Weste (links) aus kleinen, zusammengenähten Pelzstücken in Camouflage-Optik. Einen ähnlichen Patchwork-Ansatz verfolgte das Label Benu Berlin, das für seine Kollektion neu verarbeitete Stücke aus Vintage-Pelzen aneinanderfügte. Die Frage ist, ob man damit das richtige Zeichen setzt. Denn im Schatten des Kunstpelz-Trends können auch echte Stücke wieder straßentauglich werden. Wer könnte den Unterschied schon erkennen?

Markante Gesichter
Welche Entwicklung die Berliner Fashion Week genommen hat, kann man sehr gut an den Models ablesen, die man diesmal auf den Laufstegen sehen konnte. Nur noch in seltenen Fällen hatte man den Eindruck, der noch vor ein paar Jahren vorherrschte: Dass hier nämlich mal eben ein paar Freundinnen und Freunde zusammengetrommelt worden waren, deren Bezahlung in freien Getränken auf der After-Show-Party bestand. Berlinerinnen gibt es unter den internationalen Topmodels wenige, gleich zwei konnte man bei Malaikaraiss sehen: Franzi Müller, fast schon das Gesicht des Hauses und die beeindruckende Newcomerin Ava Berlin. Die 17-jährige, die dieses Jahr Abitur machte, legte einen beeindruckenden Karrierestart hin: Im Herbst lief sie in Paris unter anderem für Marni, Dries van Noten und Givenchy. Bei Malaikaraiss beeindruckte sie im transparenten weißen Kleid mit gelber Kunstpelzstola. In der spektakulären Modeinszenierung von Esther Perbandt war nicht nur Berliner Schauspielprominenz zu sehen, sondern auch die inzwischen 78-jährige Veruschka von Lehndorf, Kult-Model der 60er und Star des Antonioni-Films Blow Up. Das Gesicht der Fashion Week aber ist eine junge Engländerin: Lily Lightbourn. Ihr schönes Gesicht mit den markanten Wangenknochen und dem kurzen Afro merkte sich, wer es einmal gesehen hatte, sei es im grünen Samtmantel bei Perret Schaad (drittes Foto von rechts), bei William Fan oder bei Hien Le. Gestylt mit Hornbrille, sportlicher Hose und Blouson war auf den ersten Blick nicht klar, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelte. Damit steht Lightbourn für eine Entwicklung, die man seit Jahren beobachten kann: die Grenzen zwischen Geschlechtern, Geschlechterrollen und entsprechenden Dresscodes verschwimmen.

Breite Schultern
Liegt es daran, dass man angesichts der heutigen Weltlage in eine Art Kampfmontur schlüpfen möchte? Jedenfalls wollen uns viele Berliner Designer mit ihren Entwürfen den Rücken, beziehungsweise die Schultern stärken. Sophie Böhmert tut das bei Maisonnoée in klassischer Form durch dezente Polster. Sie wolle Frauen neben Eleganz dieses Mal vor allem Stärke mitgeben, sagte die Designerin über ihre Kollektion mit dem Titel „Courage“. Fashion Week-Newcomer-Label Antonia Goy erzeugt den Effekt durch einen besonders kantigen, spitz zulaufenden Schnitt. Auch von ihrer Seite war im Vorfeld zu hören, dass sie sich von der aktuellen Weltlage inspirieren ließ. Besonders häufig gesichtet: Überschnittene Schultern, deren Kante am Oberarm sitzt und dort in Keulenärmel übergehen. So gesehen etwa bei Mänteln und Bomberjacken des Männerlabels Ivanman, der den dominant wirkenden Look mit der Farbe Flieder aufbricht. Bei Michael Sonntag werden die ausladenden Arme in Kontrast zu mit Gürteln betonter Taille gesetzt (ganz rechts). Die Verschiebung der Proportionen führt dazu, dass einige der Models der Comikfigur Popeye ähneln, der harten Welt da draußen mit all ihren Widrigkeiten trotzend.

Ewiger Sommer
Schon seit Jahren halten sich die Jahreszeiten nicht mehr an den Kalender. Wenn der Juli mit 10 Grad und Regen vergeht, bleiben die Sommerkleider im Schrank - beziehungsweise im Laden hängen. Ebenso die Winterjacken, wenn der Februar schon Sommer spielt. Auch findet die Mode immer globaler statt und immer mehr Menschen wechseln zwischen den Klimazonen. Große Modehäuser reagieren darauf mit diversen Cruise-, Holiday- und sonstigen Zwischen-Kollektionen. Für kleinere Label, wie die meisten, die in Berlin zeigten, ist das nicht zu stemmen. Die Designer stellen sich darauf ein, indem sie die Grenzen zwischen den Kollektionen verwischen. In fast allen der gezeigten Winterkollektionen gab es zarte Kleidchen zu sehen, gestylt mit dicken Strickjacken oder drunter gezogenen Pullovern wie bei Dorothee Schuhmacher. Bei Odeeh gab es lange weite Chiffonkleider mit Tribalmuster zu sehen, unter denen die Models gegen die Kälte lange Hosen trugen (zweites von rechts). Lässt man die weg, sind die Kleider sommerabendtauglich. Auch Malaikaraiss zeigte Variationen eines Kleides – mit betonter Taille und langem plissierten Rock, wahlweise mit Mohnblumendruck, in Knallfarben Pink und Gelb oder zartem Rosé. Die funktionieren wie eine kleine Extra-Kollektion. „Wir liefern die auf Wunsch schon im Mai aus, damit die Händler flexibel sind“, sagt Raiss.

Romantischer Samt
Samt ist unbestritten der Stoff der Woche. Kaum ein Designer kam ohne ihn aus. Und das in einer schier endlosen Variationen, bei Danny Reinke ganz klassisch in Theatervorhangrot waren ganze Hosenanzüge aus dem Material inklusive großer Schleife zu sehen. Bei Perret Schaad (drittes Bild von rechts) trug das Model der Stunde, Lily Lightbourn, einen Mantel aus schimmernden Pannesamt in Flaschengrün. Bei den beiden Designerinnen gab es die schönsten Farbtöne: blau-silbrig changierte hier ein Oberteil mit hohem Kragen. Überhaupt schien es vor allem um diesen Schliereneffekt zu gehen, den Pannesamt so an sich hat. Noch nicht vor allzu langer Zeit war diese weiche Spielart des Samts Pädagogikstudentinnen vorbehalten, jetzt ist er genau richtig, um ein Outfit interessant zu machen. Gar nicht genug von Samt und Seide konnte Dawid Tomaszewski bekommen. Auch er verwendete es von Kopf bis Fuß und brachte darüber hinaus die Tendenz zum Glänzen in einem goldfarbenen tunikaartigen Kleid auf den Punkt (drittes Bild von links). Auch auf den grünen Messen Greenshowroom und Ethical Show zeigten de Aussteller das Material. Was hat also der Drang zu einem der romantischsten und weichsten Stoffe, den die Mode kennt, zu bedeuten? Man könnte fast eine Flucht aus der gerade allzu harten Realität dahinter vermuten. Und das funktioniert mit Samt ganz wunderbar!

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