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Mode: Neuer Lebensstil im Porzellan: Jede Bühne braucht eine Erdbeere

Die Seele der Tafel: Teller und Schalen der Berliner Porzellandesignerin Stefanie Hering sind weltweit begehrt. Jetzt stellt das Haus am Waldsee ihre Arbeiten aus.

Am Anfang ist die irdene Masse, die durch Brennen bei höllischen 1400 Grad entstehende Keramik aus Kaolin, Feldspat und Quarz. Nur Diamanten sind härter als dieses Biskuitporzellan. Und die Masse hat eine Struktur: Löcher, 5000 an der Zahl. Von Hand in die noch feuchte Form gebohrt, in den Rand einer ausladenden, fast 50 Zentimeter breiten Schale, umkreisen sie den geschlossenen, vertieften Nukleus aus glattweißem Porzellan.

Oder Rillen. Die werden mit Schellack, einem aus Sekreten einer indischen Blattlaus gewonnenen Naturlack, von Hand auf den Tellerrand gemalt. Die Zwischenräume zwischen den Lacklinien lassen sich auswaschen, so entsteht Furche um Furche. So fertigt man mattweiße Schalen und Teller mit Löchern und Rillen – in 80, manchmal gar 90 Handgriffen pro Geschirrstück. Und wenn man die Porzellandesignerin Stefanie Hering fragt, warum sie die Rillen nicht einfach reinfräst, wie das jeder industrielle Hersteller tut, ohne mit der Wimper zu Zucken, atmet sie aus, als sei eine tragische Wahrheit zu verkünden, und sagt: „Dann ist es doch ein totes Stück“. Ihre zwar teils in Serie und mit Drehhilfen, aber immer von Hand geformten Unikate dagegen schafften es „das Handwerk sichtbar zu machen“, ja sogar „ein Gefühl am Tisch auszulösen“.

Dieser Effekt lässt sich jetzt im Haus am Waldsee überprüfen, das die erste Ausstellung von Arbeiten der Keramikkünstlerin zeigt. Nicht nur, um ihr gewissermaßen zu musealen Ehren zu verhelfen – vom Grassimuseum Leipzig bis zum Deutschen Historischen Museum Berlin sind ihre in aller Welt begehrten Stücke längst in diversen Sammlungen vertreten – sondern auch, um die im Advent spürbar mehr an Konsum denn an Kunstgenuss interessierten Besucher ins Haus zu locken. Deswegen lasse man die 1946 eingeführte Tradition vorweihnachtlicher Verkaufsausstellungen wiederauferstehen, sagt Leiterin Katja Blomberg. „Aber mit hochpreisiger Kunst, nicht als Weihnachtsmarkt!“

Auf so ein Missverständnis wird keiner kommen, der je von Hering Berlin gehört hat. Der allerkleinste Teller des ebenso feinen wie robusten Porzellans kostet bereits 56 Euro. Und die elegante Kumme, die gleich im zweiten Ausstellungsraum auf einer Säule thront, an die 500 Euro. Die Struktur der sich nach unten verjüngenden Schale besteht aus großen Löchern, in denen sich kunstvoll Licht und Schatten brechen. Ein Geschirrstück wie eine Skulptur: leider zur Verwahrung von Kirschen ungeeignet.

Den Gag reißt die 1967 in Stuttgart geborene Stefanie Hering bei einem Rundgang durch die Ausstellung selber. Und auf die Frage, ob es der breite, durchlöcherte Rand eines Tellers nicht in einem Missverhältnis zur kleinen funktionalen Mitte stehe, sagt sie: „Jede Erdbeere braucht ihre Bühne. Das hat mit dem Respekt vor jedem Lebensmittel zu tun.“ Diese Haltung sichert ihr seit Jahren die Zuneigung von Spitzenköchen. Die hätten schnell bemerkt, dass Speisen auf diesem Porzellan Kunst würden. Im Angesicht der prachtvoll eingedeckten, mit Blüten und Früchten geschmückten großen Festtafel, die das Herzstück der großzügig präsentierten Schau ist, leuchtet das ein.

Im Obergeschoss der Villa, wo anhand von Fotos, Werkstücken, Texten und Videos zu sehen ist, wie 55 Mitarbeiter im Thüringischen Reichenbach das Porzellan herstellen, läuft ein Film, der Sternekoch Michael Hoffmann in seinem ehemaligen Restaurant „Margaux“ mit der Pinzette beim Anrichten von Fisch und Gemüse auf Herings Tellern zeigt.

Was Porzellanmanufakturen wie die Berliner KPM vergeblich versuchen, nämlich das vor 300 Jahren in Dresden erfundene europäische Porzellan von seinem verstaubten Ruf zu befreien, das schafft Hering mit ihren Geschirren, die sie als in steter Entwicklung begriffene „Kollektion“ und nicht als abgeschlossenes „Service“ bezeichnet. Das puristische, unglasiert fast spröde Material ist seit 1992 gesetzt, als sie ihre Werkstatt in Prenzlauer Berg eröffnete. Das hat sich auch mit der Vergrößerung und Verlegung ihres Ateliers nach Wannsee nicht geändert.

Stefanie Hering ist Künstlerin, Handwerkerin und Managerin zugleich

Die klare, moderne Formgebung passt sich spielend auch internationalen Tischsitten an. 80 Prozent des Geschirrs gingen in den Export, sagt die vielfach preisgekrönte Hering, zu deren Kunden Nicole Kidman, Oprah Winfrey und Cindy Sherman gehören. In Asien oder im Orient essen die Menschen anders als in Europa. Keine individuellen Portionen vom Gedeckteller, der im Verein mit der Entstehung des Drei-Gang-Menüs im 17. Jahrhundert den Siegeszug des Porzellans einleitete. Sondern geteilte Portionen, die auf großen Vorlegeplatten oder in vielen Schüsselchen serviert werden. Beliebig kombinierbare Platten und Gefäße künden davon, ebenso die als Konzession an die Geschmäcker russischer und arabischer Kundschaft entwickelten farbigen und ornamentalen Dekore. Stefanie Hering ist Künstlerin, Handwerkerin und Managerin zugleich. Einerseits fasziniert vom reinen Scherben, andererseits polyglotte Kommunikatorin der Tafel.

Zu deren Wesen, zu deren Seele gehört neben Porzellan auch Besteck, Textil und Glas. Letzteres macht im Haus am Waldsee funkelnden Eindruck. „Raydance“ heißt ein 30-flammiger Kronleuchter, dessen Rauchglasoptik und Molekül-Look Retroschick versprühen. Preis: 36.000 Euro.

Rauchglas findet sich auch in Herings Gläsern wieder. Sie hat ein klassisches mitteleuropäisches Trinkglas neu interpretiert, das in der bayerischen Glashütte Theresienthal für sie geblasen wir – den guten alten Römer.

- Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf, bis 7. Februar, Di–So 11–18 Uhr, am Sa/So 11./13.12. zeigt Porzellanmalerin Doreen Klemm wie Dekore entstehen.

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