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Alles nur gespielt. Diane Arbus fotografierte nicht nur Model und Säule sondern gleich den ganzen Kulissenzauber mit.

© Diane Arbus, Glamour, May 1948 Condé Nast

Modefotos aus 100 Jahren Vogue: Zu schön, um Kunst zu sein

Ob manieriert oder natürlich: In der Modefotografie wird nichts dem Zufall überlassen. Das kann man sich jetzt in der Ausstellung "Zeitlos schön" in der Fotogalerie C/O Berlin anschauen.

Als Nathalie Herschdorfer ins Archiv der Vogue ging, war sie auf Überraschungen gefasst. Die Kunsthistorikerin und Kuratorin der Modefoto-Ausstellung „Zeitlos schön“ hoffte auf Arbeiten von längst vergessenen Fotografen. Was sie fand, waren Bilder von Helmut Newton, Edward Steichen, Cecil Beaton, Mario Testino und Irving Penn, denn genau das ist es, was Modefotografie vom Rest des Genres unterscheidet: Der Zufall wird ausgeblendet, alles ist geplant. Das hat gute Gründe: Wenn die Redaktion der amerikanischen Vogue eine Modestrecke fotografiert, könnte mit dem Aufwand und Geld ebenso gut ein Film gedreht werden. Oft arbeiten mehr als 50 Leute Wochen und Monate daran, dass am Ende vielleicht acht Seiten erscheinen. Auf denen sind fast nur schöne Frauen in schönen Kleidern zu sehen. Was also unterscheidet ein Modefoto vom anderen? Genau das fragt man sich im ersten Raum der Ausstellung in der Fotogalerie „C/O Berlin“, wo man umgeben ist von historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Edward Steichen, auf denen Damen der New Yorker Gesellschaft in langen Kleidern und großen Hüten zu sehen sind. Im ehemaligen Postfuhramt hängen ausschließlich Fotografien, die von 1911 bis 2011 in der Vogue abgedruckt wurden. Die meisten Bilder stammen aus der amerikanischen, britischen und französischen Ausgabe. Es ist so, als würde man durch ein ganzes Jahrhundert Vogue blättern – ohne dabei von effektheischender Werbung und Horoskopen von der eigentlichen Essenz dieses Magazins abgelenkt zu werden, der Modefotografie. Es war keineswegs so, dass die Fotografie aus dem Stand alle anderen Darstellungsformen aus den Modemagazinen verdrängte. Immerhin gab es die ersten schon im 18. Jahrhundert. In denen wurde Kleidung illustriert und ausführlich beschrieben. Erst der amerikanische Werbekaufmann Condé Montrose Nast machte das Foto zum Mittelpunkt des Modemagazins. Im Jahr 1906 kaufte er die Vogue und wurde drei Jahre später ihr Verleger. Immer wieder wies er darauf hin, wie wichtig die Präsentation sei, um ein Kleid zu verkaufen. Für Condé Nast war nicht entscheidend, dass seine Fotografen sich für Mode interessierten, sondern dass sie gute Bilder machten. Für die Mode waren die Redakteure zuständig: Sie kümmerten sich um die Mannequins, die Kleider, die passenden Orte. Der allmächtige Art Director der amerikanischen Vogue, Alexander Liberman, den Condé Nast 1942, kurz vor seinem Tod einstellte, predigte immer wieder, dass die Fotografie keine Kunst sei. Auch einer seiner besten Fotografen, Irving Penn, hielt die gedruckte Seite für das Endprodukt eines modernen Fotografen. Was all die berühmten Vogue-Fotografen eint: Vom ersten Bild an haben sie einen erkennbaren Stil, mit dem sie Jahrzehnte später noch arbeiten – ähnlich wie ein Designer, der mit seiner Mode von der ersten Kollektion an eine zuordnende Begehrlichkeit schafft. Trotz all der Einschränkungen ist die Modefotografie weit mehr als eine Produktinformation, sie fängt oft – ähnlich wie die Mode selbst – die sich anbahnenden Veränderungen in der Gesellschaft ein. Spätestens im Raum mit den ersten Farbfotos von 1940 fragt man sich, was Fotografen heute noch zu tun übrig bleibt. Ein Bild, wie durch ein Guckloch aufgenommen, von Frances McLaughlin-Gill im Jahr 1946 ist von so klassischer Schönheit und gleichzeitig von so moderner Intimität, dass es den Titel der Ausstellung genau an dieser Stelle rechtfertigt – und gleichzeitig an Jan Vermeers „Die Briefleserin am offenen Fenster“ denken lässt. Das Gemälde zog Alexander Liberman als Vergleich heran, um die Arbeit seiner Fotografen zu erklären: „Wäre es ein Schnappschuss gewesen, es wäre nie ein Meisterwerk geworden.“ Wie gut, dass man in dieser Ausstellung all die Modebilder anschauen kann, um zu entdecken, wie die Fotografen trotz der strengen Vorgaben eine eigene Vision von ihrem Bild der Frau entwickelten. Welchen Stand die Frauen gerade in der Gesellschaft hatten, ist schon an der Kleidung zu erkennen und wird durch die Art der Fotografie noch potenziert. In den sechziger Jahren geraten die manierierten Posen in Bewegung. Models springen hoch in die Luft, balancieren auf Bordsteinkanten, stehen in einer Gruppe rauchender Männer herum und schauen auffordernd in die Kamera. In den siebziger Jahren werden Körper geölt und verspiegelt, bei Helmut Newton ist die Frau ganz aggressive Körperlichkeit. Im Extrem dazu zeichnet Sarah Moon ihre Models weich und lässt sie wie abwesend in eine andere Welt schauen. Die Hypernatürlichkeit der achtziger Jahre überstrahlt alles: Die Supermodels Linda Evangelista, Cindy Crawford und Naomi Campbell scheinen auf den Bildern von Peter Lindbergh und Bruce Webber selbst mit vom Wind zersaustem Haar und übergeworfenem Mantel völlig unerreichbar. Sie sind Heldinnen eines materialistischen Lebensgefühls. Diese Vorherrschaft wird erst durch die Ankunft eines anderen Supermodels Anfang der neunziger Jahre gebrochen. 1991 fotografiert Corinne Day zum ersten Mal Kate Moss für die britische Vogue. Die 17-Jährige lehnt in Hemdchen und kleinem Slip an einer Wand, um sie herum ist eine elektrische Lichterkette mit Klebeband befestigt. Improvisierte, scheinbar zufällige und unter Freunden aufgenommene Modefotos werden ab jetzt nicht nur in unabhängigen Magazinen wie „The Face“ gedruckt, sondern sind mit Massenmedien und somit auch mit der Vogue kompatibel. Es scheint, dass die Modefotografie ähnlichen Wellenbewegungen unterliegt wie die Mode selbst. Immer wieder wird mit den Sehgewohnheiten gebrochen: Auf Natürlichkeit folgen lackierte Oberflächen, auf Realismus surreale Inszenierungen. Die aktuellsten Bilder der Ausstellung strahlen geradezu vor Künstlichkeit. Doch es sieht so aus, als ob die durch Retusche perfektionierte Oberfläche bald von etwas anderem abgelöst wird: In der Ausgabe der deutschen Vogue vom vergangenen Juli fotografierte Peter Lindbergh Frauen zwischen 19 und 60 ungeschminkt, manche nackt. Die Fotos wurden unretuschiert abgedruckt.<NO1>Und das mit einem nicht gerade abwechslungsreichen Slot: Schöne Frauen tragen schöne Kleider. Eine Kunst ist es, dazwischen auszuloten, was möglich ist, wie weit man sich von der gerade vorherrschenden Realität entfernen kann. Heute oft mit so aufwändiger Retusche, die das Fotografieren fast auf eine Vorbereitung des eigentlichen Bildes reduziert.

Zeitlos schön, C/O Berlin, bis 28.10.

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