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Modemetropole Berlin: Der Reiz der Maschennetze

Messen, Showrooms, Labels und Laufstege: Kreative Designer mit coolen Ideen prägen die neue Modemetropole.

Über die Berliner Modebranche lassen sich so einige Erfolgsgeschichten erzählen: zum Beispiel die ganz große vom Aufstieg der Fashion Week. „Berlin hat in wenigen Jahren geschafft, was keiner anderen Stadt weltweit in so kurzer Zeit gelungen ist – sich international als Modestadt einen Namen zu machen“, sagt Tanja Mühlhans, bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung für die Modebranche zuständig. Rund 270 000 Fachbesucher aus dem In- und Ausland besuchten im vergangenen Januar die zahlreichen Messen und Modenschauen. Bereits 2011, als die Besucherzahl noch geringer war, hatte die Investitionsbank Berlin (IBB) errechnet, dass die Fashion Week der einheimischen Wirtschaft – Hoteliers, Gastronomen und Taxifahrern, aber auch Handwerksbetrieben und Agenturen – rund 130 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen pro Jahr beschert und dem öffentlichen Haushalt immerhin gut 33 Millionen Euro.

Die Fundamente für den heutigen Erfolg wurden vor gut zehn Jahren gelegt, als erstmals zwei wichtige Messen in Berlin stattfanden: Die „Bread & Butter“, auf der die bedeutendsten Jeans- und Sportswearmarken zeigten, zog 2003 von Köln in die Spandauer Kabelwerke, und die „Premium“ feierte ihre Premiere. Zuvor war Berlin für die internationale Modebranche ein nahezu unbeschriebenes Blatt gewesen. „Wie ein Ufo“ hätten sie sich in der Stadt gefühlt, als sie die erste kleine „Premium“ in einem kalten, ungenutzten U-Bahn-Tunnel am Potsdamer Platz organisierten, sagt Mitgründerin Anita Tillmann. Diese Leere war von Vorteil: Berlin bot beiden Messen den nötigen Freiraum, um neue Konzepte auszuprobieren, die sich in den verkrusteten Strukturen der traditionellen Messestandorte in Köln oder Düsseldorf nicht umsetzen ließen.

„Premium“ und „Bread & Butter“ sind heute wesentliche Stützen der Fashion Week. Die „Premium“ zeigt im riesigen früheren Postgüterbahnhof am Gleisdreieck mehr als 1400 Kollektionen pro Saison. Die „Bread & Butter“, die zwischenzeitlich nach Barcelona gezogen war, kam 2009 zurück und bespielt seither den ehemaligen Flughafen Tempelhof. Mit ihrer Rückkehr zementierte die Messe, die allein über 90 000 Fachbesucher pro Saison zählt, die Sonderstellung der Modestadt Berlin in Deutschland und ganz Nordeuropa. Im Sog der beiden Großen siedelten sich zahlreiche Spartenmessen an. So wird zum Beispiel edle Ökomode im Green Showroom, Streetwear auf der „Bright“ oder massentaugliche Konfektion auf der „Panorama“ präsentiert.

Aber neben der großen Erfolgsgeschichte der Modestadt Berlin gibt es viele kleine: die der einheimischen Labels, die sich im harten Modebusiness behaupten können. Eines davon heißt Augustin Teboul. Es wird für seine ganz in Schwarz gehaltenen Kreationen von eigenartig morbider Eleganz international gefeiert und hat seit der Gründung 2009 schon Preise in mehreren Ländern gewonnen – darunter 2011 den mit 25 000 Euro dotierten Hauptpreis des vom Senat organisierten Nachwuchswettbewerbs „Start Your Fashion Business“. Seine Kollektionen werden nicht nur in Europa, sondern auch in Asien und im Nahen Osten verkauft. Die beiden Designerinnen Annelie Augustin und Odély Teboul studierten in Paris. Heute haben sie ihr Atelier in Berlin, und obwohl sie sich nach wie vor auf ein zweites Standbein in Paris verlassen, sind sie doch ein hiesiges Unternehmen. Ihre handwerklich ausgefeilten Kollektionen, die durch fragile Maschennetze und aufwendige Stickereien ihren Reiz erhalten, lassen sie komplett in der Stadt fertigen. So könne sie sicher sein, dass die Qualität stimme, sagt Odély Teboul. Warum sie nicht in Paris geblieben sind? „Das war eine intuitive Entscheidung“. Als Modemetropole sei Berlin mit Paris nicht vergleichbar, aber: „Die Freiheit hier ist erfrischend. In der Mode und Kunst ist vieles noch im Entstehen begriffen“. Diese Offenheit hat schon viele dazu bewogen, gerade in Berlin an einer der zehn Modeschulen zu studieren, ein Unternehmen zu gründen oder eine Messe zu veranstalten.

Den wahren Glanz der Fashion Week machen allerdings nicht die Messen aus: Dort hängen die Kollektionen auf Kleiderständern, es geht ums Geschäft, nicht um schöne Bilder. Dafür gibt es Modenschauen, und die finden zum größten Teil unter dem Dach der Mercedes-Benz Fashion Week statt. 2007 entschied die amerikanische Agentur IMG, die weltweit Modewochen organisiert, auch in Berlin einen Laufsteg aufzubauen. Die Stadt sei ein „Mekka der Kreativität“, sagt Peter Levy, der die Modesparte von IMG leitet. Daher wollten die Amerikaner hier keine Vorbilder kopieren, sondern „ein Fenster in die Zukunft der Mode öffnen“.

Für junge Berliner Designer ist das eine große Chance. Sie können dort internationalen Journalisten und Einkäufern ihre Qualitäten zeigen – und testen, ob sie vor deren kritischen Augen bestehen können. Es ist ein Vorgeschmack auf das, was sie auf dem Markt erwartet, schließlich müssen sie dort die Kunden überzeugen, viel Geld in ihre Kreationen zu investieren, statt zu einer etablierten Marke zu greifen.

Ganz praktisch findet dieser Wettbewerb tagtäglich im Departmentstore statt, der Luxusboutique im Quartier 206. Sie führt außergewöhnlich viele junge einheimische Labels, darunter Michael Sontag, Hien Le, Achtland und Augustin Teboul. Nicht aus Lokalpatriotismus, sondern weil die sich neben den großen internationalen Marken behaupten können. Lange habe es keine Berliner Designer gegeben, die den Qualitätsansprüchen des Ladens genügt hätten, sagt Unternehmenssprecherin Angela Contzen: „Aber in den letzten Jahren hat sich das geändert“.

Inzwischen bietet die Globalisierung hiesigen Designern ganz neue Perspektiven: Einige verkaufen sehr erfolgreich in Asien. „Dort sind viele gute Läden hungrig auf Mode aus Berlin und eher bereit, ein Risiko einzugehen, als die konservativen Luxusläden in Europa“, sagt Odély Teboul, deren Entwürfe beispielsweise in einem Laden der kasachischen Großstadt Almaty hängen. Es ist der typische Berliner Weg: Chancen dort zu nutzen, wo keine starren Traditionen im Weg stehen.

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