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Modezeichnungen erleben kleines Revival: Mit feinem Strich

Früher kam kein Modemagazin ohne sie aus, heute sind Illustrationen kleine Schätze. In Berlin wird noch immer viel gezeichnet.

Die Hitze flimmert über dem Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg, auf dem Rasen sonnen sich Menschen, viele halbnackt, endlich befreit von lästigen Stoffschichten. Nebenan im Lette-Verein, oben im vierten Stock, geht es an diesem Hochsommertag jedoch um nichts anderes als Kleidung – zumindest auf dem Papier. Ute Rathmann beugt sich über die Zeichnung einer Schülerin. „Das sieht schon viel besser aus“, sagt die Dozentin und deutet auf einen breiten Kragen.

Seit mehreren Jahren unterrichtet die 40-Jährige Modedarstellung und Modezeichnen am Lette-Verein und an der Kunsthochschule Weißensee. Für die angehenden Modedesigner beider Institutionen ist das Fach eine Pflichtveranstaltung – obwohl es gar nicht darum geht, Schnitt- und Entwurfszeichnungen zu üben, sondern vielmehr den ästhetischen Blick zu schärfen. „Auf dem Papier kann man viele Fragen etwa zu Farben und Proportionen lösen. Kurzum, man lernt das Sehen.“

Doch Modeillustrationen spielen nicht nur in den Klassenräumen der angehenden Modedesigner eine Rolle. Schaut man einige Jahrzehnte zurück, sind die Modemagazine voll von gezeichneten Darstellungen aktueller Entwürfe und Kombinationen. Bevor Fotografien in den Zeitschriften auftauchten, mussten die Illustratoren möglichst realistisch und detailliert wiedergeben, was sie bei den Präsentationen der Modehäuser gesehen hatten. Und selbst als das Drucken von Fotos kein Problem mehr war, hatten die Zeichner ordentlich zu tun: Auf vielen Modenschauen gab es noch Mitte des 20. Jahrhunderts Fotografierverbote. Und eine Zeichnung ließ sich im Zweifel ohnehin schneller anfertigen, als einen Film zu entwickeln.

Mittlerweile sind Mode-Illustrationen mehr Kunst als Handwerk

Von 1946 bis in die neunziger Jahre bannte Gerd Hartung (1913 bis 2003) die Berliner Mode für den Tagesspiegel auf Papier. Neue Trends und Strömungen bildete er aber nicht nur ab, sie scheinen auch seinen eigenen Stil über die Jahrzehnte hinweg geformt zu haben – vom klassisch-realistischen hin zum dynamisch-abstrakten Strich. Heute sind Modeillustrationen meist mehr Kunst als praktisches Handwerk. Es geht nicht vorrangig um Anschaulichkeit, erklärt Ute Rathmann. Die Zeichnungen sollen das Atmosphärische, die Stimmung der Kleidung und des Körpers vermitteln, sollen berühren und dürfen deshalb mehr riskieren als Fotos, auf denen manche Optiken – etwa endlos lang gezogene Beine – schnell lächerlich wirken würden.

Dennoch ist die Hochzeit der Modeillustrationen längst vorbei. „In den achtziger und neunziger Jahren verschwanden sie fast vollständig“, sagt Ute Rathmann. Nur langsam finden sie zurück in die Zeitschriften und Lookbooks, fallen zwischen den Foto-Massen dann oft besonders auf. „Modezeichnen ist eine vernachlässigte, fast vergessene Kunst“, schrieb der britische Modejournalist Colin McDowell vor fünf Jahren in dem Übersichtswerk „Drawing Fashion“.

"Die Modezeichnung wird wieder geschätzt"

Ganz so düster ist die Lage heute nicht mehr: Ute Rathmann verkauft ihre Kunstwerke über eine Online-Galerie vor allem in die USA. Der Illustrator Jean-Philippe Delhomme ist bekannt für seine kräftigen Modezeichnungen – das „Zeit-Magazin“ zeigt gerade ein Jahr lang sein „Pariser Tagebuch“, in dem immer wieder die Alltagsmode der französischen Hauptstadt eine heimliche Hauptrolle spielt. Die Vogue druckt nach wie vor Illustrationen, online werden zum Beispiel die Looks der vergangenen beiden Herbst-Winter-Kollektionen in Form von Zeichnungen „aus einem anderen Blickwinkel“ präsentiert. „Die Modezeichnung wird wieder geschätzt, sie hat etwas Luxuriöses an sich“, sagt Ute Rathmann.

Und Luxus kann sich eben nicht jeder leisten. „Als No-Budget-Projekt ist es für uns schwierig, geeignete Zeichner zu finden“, sagt Arne Eberle, Gründer des kleinen „Œ Magazine“ aus Berlin. Gerne würde er Illustrationen in seinem avantgardistischen Blatt sehen, doch die bisherigen Versuche passten nicht zur Gesamtoptik. Im „Fräulein Magazin“, ebenfalls aus Berlin, gehören Illustrationen fest dazu – wenn auch eher für Details und Karten, seltener für Mode. „Das Heft soll auch Handgemachtes enthalten – als Gegenentwurf zur beschleunigten, digitalen Welt“, erklärt der stellvertretende Chefredakteur Ruben Donsbach. Zeichnungen könnten oft Details und Zusammenhänge besser vermitteln als Fotos, findet er. Die Entscheidung zwischen Fotografie und Illustration sei aber letztlich eine ästhetische. Und das Argument, Fotos seien objektiver, gelte in Zeiten der Bildbearbeitung ohnehin nicht mehr.

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