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Pistorius schildert die Geschehnisse vor Gericht wesentlich anders.

© dpa

Mord-Anklage gegen Oscar Pistorius: "Reeva starb in meinen Armen"

Die Richter in Südafrika lassen die Anklage wegen Mordes gegen Oscar Pistorius zu. Der Staatsanwalt glaubte dem Sprintstar kein Wort, der vor Gericht den Hergang des Geschehens ganz anders schilderte: Er habe seine Freundin nur schützen wollen.

Die Worte scheinen Oscar Pistorius wie Hammerschläge zu treffen, denn fast augenblicklich steigen ihm Tränen in die Augen. „Sie haben eine unschuldige und unbewaffnete Frau getötet“, donnert Staatsanwalt Gerrie Nel, während er dem beidseitig beinamputierten Sportstar direkt ins Gesicht schaut. Für den Vertreter der Anklage ist klar, was sich am Morgen des 14. Februar im Silver Woods Country Estate im Osten der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria abgespielt hat.

Demnach habe sich Pistorius gegen 3.45 Uhr in der Frühe aus dem Bett erhoben, seine elastischen Schienbeinprothesen angeschnallt und sei darauf sieben Meter zur Badezimmertür gegangen, hinter der sich kurz zuvor seine Freundin Reeva Steenkamp nach einem Streit verbarrikadiert hatte. Angeblich waren zuvor ein paar SMS-Botschaften eines anderen Mannes auf ihrem Handy eingegangen, die Pistorius zur Weißglut trieben. Vier Mal habe der 26-Jährige durch die geschlossene Tür auf das Fotomodel geschossen – und sie dabei drei Mal getroffen. Anschließend habe er die Tür aufgebrochen und die schwer verletzte Frau nach unten in die Eingangshalle getragen. Alles spreche jedenfalls dafür, dass Pistorius vorsätzlich gehandelt habe, sagt Nel, der bereits den korrupten südafrikanischen Polizeichef Jackie Selebi für 15 Jahre ins Gefängnis schickte. Eine Freilassung auf Kaution, wie sie die Anwälte von Pistorius verlangen, lehnt Nel strikt ab.

Da eine Planung der Tat nicht ausgeschlossen werden könne, lassen wenig später die Richter eine Anklage wegen vorsätzlichen Mordes zu. Das beeinträchtigt die Chancen von Pretorius nachhaltig, am heutigen zweiten Verhandlungstag doch noch gegen Kaution freizukommen. Sollte der Staatsanwalt das Gericht auch am Ende des Verfahrens von seiner Version der Dinge überzeugen können, droht dem weltbekannten Läufer und südafrikanischen Volkshelden eine lebenslange Haftstrafe. Strafrechtsexperten sind der Ansicht, dass Pistorius dann mindestens 25 Jahre absitzen müsse. Falls er ein volles Geständnis ablege, sei es jedoch möglich, dass der Sportler nach 20 Jahren freikäme, heißt es.

Doch Pistorius und sein hochkarätiges Anwaltsteam bestreiten den Mordvorwurf am Dienstag abermals aufs Schärfste und plädieren stattdessen auf Totschlag in einem minder schweren Fall. Sie halten weiterhin an der gleich nach der Tat von der Tageszeitung „Beeld“ in Umlauf gebrachten Version fest, wonach Pistorius seine Freundin mit einem Einbrecher verwechselt und aus Versehen erschossen habe. „Warum sollte sich ein Einbrecher im Bad einschließen?“, fragt Nel und schüttelt den Kopf.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich Reeva Steenkamp schon am Vorabend des Mordes im Haus des Sportstars aufgehalten haben soll. So gibt es offenbar Videoaufnahmen ihrer Ankunft im Sicherheitskomplex wie auch einen aufgezeichneten Telefonanruf beim Wachpersonal, der ihr Eintreffen dort gegen 18 Uhr belegt.

Pistorius schildert den Hergang des Geschehens aber in anderer Weise.

Der Staatsanwalt glaubt ihm kein Wort. Sprintstar Oscar Pistorius am Dienstag vor Gericht in Pretoria.
Der Staatsanwalt glaubt ihm kein Wort. Sprintstar Oscar Pistorius am Dienstag vor Gericht in Pretoria.

© Reuters

Die eidesstattliche Erklärung, die Anwalt Barry Roux für seinen Mandanten Pistorius verlas, schilderte den Hergang des Geschehens jedoch anders. Die südafrikanische Zeitung "City Press" gibt die Darstellung des Weltstars unter Mordverdacht detailliert wieder.

Demnach seien Reeva Steenkamp und er bereits am Abend vor der Tat gemeinsam eingeschlafen - mit der Waffe unter dem Bett, da Pistorius zuvor schon Todesdrohungen bekommen haben soll. Laut Erklärung sagte Pistorius weiter, er habe Geräusche gehört, es seien Eindringlinge im Bad gewesen und er habe "große Angst" gehabt. "Ich hatte meine Prothesenbeine nicht an, deswegen fühlte ich mich verletzlich. Ich wollte Reeva und mich beschützen."

"Ich habe einen Schuss auf die Toilettentür abgegeben und rief Reeva zu, sie solle die Polizei rufen", erklärte Pistorius weiter. Als er dann jedoch das Bett abtastete, habe er realisiert, dass dieses leer war. Er wollte die Badezimmertür öffnen, was ihm nicht gelang, weil diese verschlossen war. Danach sei er auf den Balkon gelaufen und habe nach Hilfe gerufen. Schließlich habe er sich seine Prothesenbeine angezogen, danach mit dem Cricketschläger gegen die Tür geschlagen, einen Schlüssel geholt und die Tür geöffnet. Im Bad soll Pistorius seine Freundin vorgefunden haben, "zusammengesackt, aber am Leben". Daraufhin habe er die blutüberströmte Reeva Steenkamp die Treppe hinunter getragen, um sie in ein Krankenhaus zu bringen. "Sie starb in meinen Armen", schloss Pistorius seine Erklärung.

Viele Südafrikaner, die Pistorius bislang als Volkshelden verehrten, sind vor allem über das bislang unbekannte zweite Gesicht des Sportstars zutiefst schockiert – vor allem über sein Faible für Schusswaffen. So wurde bekannt, dass sich der Sportler im letzten Monat um Lizenzen für gleich sechs Schusswaffen bemüht habe, darunter einen Smith&Wesson-500-Revolver, der laut Website des Herstellers zu den „gefährlichsten Handfeuerwaffen der Welt“ zählt. Auch ein Vector-223-Gewehr befindet sich darunter. Die „Cape Times“ zitiert den Militär- und Waffenexperten Helmoed Römer Heitmann mit den Worten, er könne nicht verstehen, warum Pistorius eine solch schwere Waffe brauche. Neben passionierten Waffensammlern könnten allenfalls Farmer, die in Südafrika wegen ihrer Isolation auf dem Lande zu einer besonderes bedrohten Bevölkerungsgruppe zählen, den Besitz einer solchen Waffe rechtfertigen.

Auch werden neue Zwischenfälle bekannt, die ein schlechtes Licht auf den Star werfen. „Beeld“ erwähnt einen Vorfall, bei dem Pistorius in einem Restaurant mit einer Waffe nur wenige Zentimeter neben den Fuß eines befreundeten Profiboxers geschossen habe, der das Ganze aber als Versehen abgetan und deshalb nicht gemeldet habe. Angeblich habe Pistorius die Waffe inspiziert, als sich der Schuss löste.

Glaubt man südafrikanischen Medien, könnten Medikamente eine Rolle gespielt haben. Wie die Johannesburger „Times“ berichtete, habe die Polizei im Haus des Sportlers ein ganzes Arsenal an Schachteln mit Medikamenten gefunden, deren möglicherweise aggressionsfördernder Inhalt nun im Labor untersucht werde. Während Pistorius in Pretoria um seine Freilassung auf Kaution kämpft, wurde am Dienstag 1000 Kilometer entfernt in ihrer Heimstadt Port Elizabeth das Opfer Reeva Steenkamp im engen Familienkreis beigesetzt.

Der Staatsanwalt glaubt ihm kein Wort. Sprintstar Oscar Pistorius am Dienstag vor Gericht in Pretoria.
Der Staatsanwalt glaubt ihm kein Wort. Sprintstar Oscar Pistorius am Dienstag vor Gericht in Pretoria.

© AFP

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