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Panorama: Moses soll Venedig retten

Nach jahrelangen Planungen beginnt nun der Damm-Bau, der Hochwasser von der Lagunenstadt fern hält

„Im Mai gibt es in der Regel keine Hochwasser mehr“, sagt Waldo Veltrin. Der Venezianer ist Gondoliere. Bei Hochwasser kennt er sich aus, denn seit 45 Jahren schippert er Touristen durch die Kanäle der Lagunenstadt. „Seit einigen Jahren aber“, fügt er hinzu, „spinnt das Wetter und bis in den Juni hinein kommt es zu überfluteten Plätzen und Bürgersteigen.“ Waldo hofft, dass sich dieses „Umweltchaos“ nicht auch in diesem Jahr wiederholen wird, denn „wenn Hochwasser herrscht, dann fahren wir Gondolieri in der Regel nicht auf das Wasser hinaus.“ Paolo Costa, Venedigs Bürgermeister, residiert in einem barocken Palazzo am Canal Grande. „Immer wenn Hochwasser herrscht, dann steht hier das erste Stockwerk unter Wasser.“ Weil das bis zu 120 Mal im Jahr passiert, ist die Etage mittlerweile leergeräumt.

Der Bürgermeister und der Gondoliere setzen daher wie alle Venezianer viel Hoffnung in Moses. „Wenn dieses Riesending endlich fertig sein wird, dann wird es hier nie mehr Hochwasser geben“, sagt Veltrin. Hinter dem Prophetennamen (italienisch „Mose“) verbirgt sich eine Dammlösung, die Venedig vor Hochwasser schützen soll. Mit 78 elektromechanischen Deich-Modulen – jedes 20 Meter hoch, bis zu fünf Meter breit und zwischen 18 und 28 Metern lang – sollen die steigenden Wassermassen der Adria davon abgehalten werden, in die Lagune zu fließen. Costa hat in seinem Arbeitszimmer ein Modell von Moses. Stolz zeigt er es dem Besucher. „Diese Module treten immer bei steigendem Wasserspiegel in Aktion.“ Rückt das Adriameer auf die Lagune zu, „verhindert eine computergesteuerte Schrägstellung der einzelnen Module das Einfließen des Wassers.“ Jedes der Module wiegt bis zu 350 Tonnen. An den Eingängen zur Lagune, die zwischen künstlichen und natürlichen Inseln liegen, werden sie im Wasser installiert. „Eine Herkulesaufgabe“, so Costa.

Moses wurde in den 90er Jahren entwickelt. Nach Jahren besonders dramatischer Hochwasser, die zum Teil wochenlang andauerten, setzten sich Politiker und aufgebrachte Bürger an einen Tisch und diskutierten Lösungsvorschläge. Unterstützt wurde das dann gefundene Modul-Projekt auch von der Unesco. Die Weltkulturbehörde forderte Italiens Regierungen schon in den 70er Jahren auf, nach einer wirksamen Lösung für das Hochwasserproblem zu suchen. 1992 war es dann soweit. Ein Komitee aus angesehenen Ingenieuren beurteilte das Modulsystem als einzig wirksame Waffe gegen Hochwasser. Die Kritik der italienischen Grünen, die meinten, dass der tagelange Verschluss der Lagune der Unterwasserfauna und -flora nicht bekommen werde, wurde von sämtlichen Experten als unbegründet verworfen. Schließlich, argumentierten sie, würde die Lagune von Venedig nur einige Tage lang geschlossen, denn normalerweise dauern Hochwasser nicht länger. Auf die Frage besorgter Umweltschützer, was denn geschehen werde, sollte ein Hochwasser wochenlang andauern, wussten auch die Ingenieure keine Antwort.

Nach jahrelangen Debatten soll nun an diesem Mittwoch der Bau beginnen, der mindestens vier Milliarden Euro kosten wird. Bis 2008 sollen die Module installiert sein. „So Gott will”, meint Venedigs Ex-Bürgermeister Massimo Cacciari, „denn in Italien ist nichts so richtig sicher”.

Thomas Migge[Venedig]

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