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Panorama: Museum im Untergrund

In Neapels U-Bahnschächten gibt es Installationen und Wandmalereien zu bewundern. Namhafte Künstler garantieren Einzigartigkeit

Die europäischen Verkehrsminister, die seit Freitag in Neapel tagen, haben nicht nur Großprojekte wie die Schnellbahnverbindung Turin-Lyon oder den Autobahnausbau Berlin-Neapel zu bereden. Heute steigen sie weit hinab – in den Untergrund der Stadt, um eines der faszinierendsten U-Bahn-Projekte Europas zu besichtigen: Die Linie 1 von Neapel und ihre kunstvoll gestalteten Bahnhofsschächte.

Diese Metro, die seit 1993 das Stadtviertel auf dem Vomero-Hügel mit den nördlichen Vorstädten verbindet, wird jetzt ins Zentrum verlängert und soll später über den Flughafen Capodichino zu einer Ringstrecke ausgebaut werden. Ihre neuen Bahnhöfe erweisen sich als Gesamtkunstwerke. Weitsichtige architektonische Entwürfe etwa von Gae Aulenti, Domenico Orlacchio oder dem Atelier Mendini sind mit Arbeiten zeitgenössischer Kunst ausgestattet. Der Kritiker Achille Bonito Oliva, der gleichsam als Kurator diese Kunst-Bahnhöfe auftritt, hat rund fünfzig namhafte Künstler von Joseph Kosuth bis zum diesjährigen Biennalepreisträger Michelangelo Pistoletto, von Mimmo Paladino bis Katharina Sieverding eingeladen, Arbeiten eigens für diese Bahnhöfe zu entwerfen. Skulpturen und Mosaike, Installationen und Wandgemälde machen bislang acht Stationen auf dem Streckenabschnitt Cilea/Salvator Rosa/Dante zu einem einzigartigen Untergrundmuseum der Gegenwart.

Die Ministerriege wird heute zusätzlich den nächsten Bahnhof, die Stazione Materdei, unter anderem mit Arbeiten von Sol LeWitt und Enzo Cucchi eröffnen. Sicher, auch Städte wie Lissabon oder Stockholm kennen Versuche, die Metro als ein Museum der Moderne zu nutzen. Aber solch eine Explosion von Farben, Formen und Lichtspielen wie hier in Neapel gibt es wohl in keiner anderen U-Bahn auf der Welt .

Zugleich ist jeder Bahnhofsneubau Ausgangspunkt für Stadtsanierungsprojekte. Zum Beispiel das Gebiet rund um die Piazza Salvator Rosa, das früher als Problemviertel bekannt war und heute als beruhigt gelten kann. Fachleute staunen, wie die Einwohner Neapels ihre Metro-Bahnhöfe angenommen – und lieben gelernt haben. Jeden Morgen zum Beispiel steigt ein Mann in die Stazione auf der Piazza Dante und geht zu einer Installation von Jannis Kounellis, bei der der Arte-Povera-Künstler Schuhe hinter Stahlträgern befestigt hat. Der Mann holt dann Schuhcreme und ein weiches Tuch aus seiner Tasche und beginnt die Schuhe liebevoll zu säubern. Er poliert so lange, bis sie glänzen. Manchmal nimmt er auch noch eine Bürste zu Hilfe. Diese Szene zeigt, dass Süditalien eben mehr zu bieten hat, als es das gängige Klischee verschlagener Mafiabosse vermuten lässt. Ein derartiges Stillleben verwundert in Neapel niemanden. Denn was spricht dagegen, moderne Kunst zu pflegen.

Henning Klüver[Neapel]

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