zum Hauptinhalt
Mutter Teresa - für viele war sie bereits zu Lebzeiten eine Heilige.

© REUTERS

Update

Mutter Teresa heiliggesprochen: Der fast perfekte Engel

Die vor 19 Jahren verstorbene Mutter Teresa wurde von Papst Franziskus heiliggesprochen. Die dunklen Flecken in deren Biografie hat die katholische Kirche ausgeblendet.

Vor Hunderttausenden Pilgern auf dem Petersplatz in Rom verlas Papst Franziskus am Sonntag in einer feierlichen Zeremonie die Formel, mit der er die albanische Ordensfrau und Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa heiligsprach. Die Nonne darf damit in der katholischen Kirche weltweit als Heilige verehrt werden. Die Messe auf dem Petersplatz ist eines der größten Ereignisse in der bisherigen Amtszeit von Papst Franziskus. Für Franziskus dürfte die Heiligsprechung als ein Höhepunkt des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit auch ein starkes Zeichen sein. Der Argentinier wünscht sich eine „arme Kirche für die Armen“, wie auch Mutter Teresa steht er für Nächstenliebe und Barmherzigkeit.

„Der Engel der Armen“, wie Mutter Teresa oft genannt wird, ist die 47. Persönlichkeit, die Papst Franziskus seit seinem Amtsantritt 2013 zur Ehre der Altäre erheben wird. Zusammen mit den beiden früheren Päpsten Johannes XXIII. und Johannes Paul II., die im April 2014 gemeinsam heiliggesprochen wurden, ist die Ordensfrau zugleich die wichtigste und bekannteste Heilige der Ära Bergoglio.

„Mit der Heiligsprechung von Mutter Teresa von Kalkutta wird die Kirche einen Moment der besonderen Gnade erleben“, schreibt die europäische Bischofskonferenz. Die künftige Heilige habe „die Schönheit, die Kraft und die Aktualität der Liebe Gottes bezeugt – für uns alle, aber ganz besonders für die Armen“.

Für den Vatikan ist die Heiligsprechung von Mutter Teresa der Höhepunkt des von Franziskus ausgerufenen „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“. Die neue Heilige verkörpert das Motto des Jubiläumsjahres beinahe perfekt: Mit ihrem Einsatz für die Obdachlosen, die Leprakranken und die Sterbenden in den Slums der indischen Metropole Kalkutta hatte die Ordensfrau die christliche Barmherzigkeit und Nächstenliebe wie kaum eine andere vorgelebt. Sie ging, wie es Papst Franziskus von seiner ganzen Kirche fordert, „an die Peripherie der Gesellschaft“, um sich dort um die Ärmsten der Armen zu kümmern.

Die Verletzten der Welt

Mutter Teresa ist damit auch eine ideale Symbolfigur für das ganze Pontifikat von Papst Franziskus. „Sie haben eine ähnliche Denkweise“, betont der Wiener Priester Leo Maasburg, der Mutter Teresa während der 1980er Jahre auf zahlreichen Reisen begleitet hatte und nach ihrem Tod ab 2002 Mitglied der vatikanischen Kommission zu ihrer Seligsprechung gewesen war. „Mutter Teresa hat der Kirche eine neue Priorität gegeben und gezeigt, dass man Gott in den Ärmsten der Armen begegnet“, sagt Maasburg. Mutter Teresa und sowohl der Papst wie auch die künftige Heilige hätten den Menschen mit seinen Nöten ins Zentrum der Kirche gestellt, die ein „Feldlazarett“ sei und sich der Verletzten der Welt annehmen müsse.

Mutter Teresa, die bürgerlich Agnes Gonxha Bojaxhiu hieß, war 1910 im heutigen Skopje (Mazedonien, damals Teil des osmanischen Reiches), geboren worden. Sie entstammte einer albanischstämmigen, katholischen Familie. Mit 18 Jahren trat sie dem Orden der Loreto-Schwestern bei, der sie nach wenigen Monaten als Missionarin nach Indien schickte. Sie arbeitete mehrere Jahre als Lehrerin und als Direktorin in einer Schule in Kalkutta. Erschüttert von der Armut im nahe gelegenen Elendsviertel verließ sie 1948 ihre Gemeinschaft, um sich um die Menschen im Slum zu kümmern. Zwei Jahre später gründete Mutter Teresa zusammen mit anderen Frauen, die sich ihr angeschlossen hatten, die Gemeinschaft der „Missionarinnen der Nächstenliebe“.

Hunderttausende sind nach Rom gekommen, um der Heiligsprechung beizuwohnen.
Hunderttausende sind nach Rom gekommen, um der Heiligsprechung beizuwohnen.

© dpa

Missionare der Nächstenliebe

Im Elendsviertel Kalkuttas baute Teresas Ordensgemeinschaft Obdachlosenheime und Krankenhäuser, wo sich die Schwestern insbesondere der Leprakranken und der Sterbenden annahmen. Heute gehören den „Missionaren der Nächstenliebe“ weltweit mehr als 3000 Ordensschwestern und 500 Ordensbrüder in 710 Einrichtungen in 133 Ländern an. Für ihr Wirken ist Mutter Teresa, die schon 1947 die indische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, mehrfach geehrt worden: Unter anderem wurde sie Ehrenbürgerin der USA; 1979 erhielt sie den Friedensnobelpreis. Als Mutter Teresa 1997 in Kalkutta starb, galt sie weltweit als Symbol für gelebte christliche Nächstenliebe.

Mit Johannes Paul II. hatte Mutter Teresa auch im Vatikan einen engen persönlichen Freund und Förderer. Angesichts der großen Verehrung, welche die Gläubigen Mutter Teresa entgegenbrachten, leitete der Papst aus Polen schon zwei Jahre nach ihrem Tod das Verfahren zur Kanonisierung ein – und setzte damit die Regel außer Kraft, wonach nach dem Ableben eines Kandidaten eigentlich mindestens fünf Jahre verstreichen müssen. Die offizielle Seligsprechung erfolgte in der Rekordzeit von sechs Jahren. Johannes Paul II. nannte die Ordensschwester ein „Geschenk an die Kirche und an die Welt“. Er sei „dieser mutigen Frau, die ich stets nahe bei mir gefühlt habe, persönlich dankbar“, sagte er bei der Messe zur Seligsprechung vor 300.000 Gläubigen.

Großes Erbe. Heute gehören ihrem Orden „Missionaren der Nächstenliebe“ weltweit mehr als 3000 Schwestern und 500 Brüder in 710 Einrichtungen an.
Großes Erbe. Heute gehören ihrem Orden „Missionaren der Nächstenliebe“ weltweit mehr als 3000 Schwestern und 500 Brüder in 710 Einrichtungen an.

© Piyal Adhikary/dpa

Das Dekret zur Heiligsprechung hatte Franziskus im März 2015 unterzeichnet. Das dafür erforderliche zweite Wunder war vom Vatikan im Dezember 2015 anerkannt worden: Ein Brasilianer, der an einem Hirntumor im fortgeschrittenen Stadium gelitten hatte, soll durch die Fürbitte von Mutter Teresa 2008 auf medizinisch unerklärliche Weise wieder gesund geworden sein. Franziskus hatte Mutter Teresa 1994 während einer Bischofssynode im Vatikan kennengelernt. Damals saß sie direkt hinter dem heutigen Papst. Er habe die Kraft, Entschiedenheit und Furchtlosigkeit ihrer Wortmeldungen bewundert, sagte Franziskus später.

Dunkle Flecken

In der Biografie von Mutter Teresa gibt es aber auch dunkle Flecken, die der Vatikan bis heute ausblendet. Dass es um die Hygiene und die medizinische Versorgung in den Kliniken nicht immer zum Besten stand, war schon zu ihren Lebzeiten bekannt geworden. 2013 erhoben kanadische Wissenschaftler, die hunderte Dokumente gesichtet hatten, weitere schwerwiegende Vorwürfe. So hätten in den Ordenseinrichtungen Arme und Schwerstkranke „in katastrophalen und unhygienischen Bedingungen dahinvegetiert“. Todgeweihten seien sogar Schmerzmittel verweigert worden, obwohl diese vorhanden gewesen wären.

Dunkle Flecken bei einer Frau, die Großes geleistet hat, sind mir lieber, als dunkle Flecken bei vielen Leuten in der heutigen Gesellschaft, die bisher nichts Großes, oder vielmehr rein gar nichts geleistet haben.

schreibt NutzerIn InspectorBarneby

Zudem werfen die Forscher Mutter Teresa vor, dass bei den Millionen Spendengeldern, die sie für ihre Einrichtungen aus aller Welt erhalten habe, totale Intransparenz geherrscht habe. „Die Frage muss erlaubt sein, wo dieses ganze Geld eigentlich geblieben ist“, sagte der Leiter der Studie, Professor Serge Larivée. Mutter Teresa sei „alles andere als eine Heilige gewesen“. Aber der Vatikan habe bei der Abklärung des für die Seligsprechung erforderlichen heroischen Tugendgrades diese „fragwürdige und teils unmenschliche Seite“ einfach übergangen.

Förderer. Mit Johannes Paul II. hatte Mutter Teresa auch im Vatikan einen engen persönlichen Freund. 1986 besuchte er sie in Kalkutta.
Förderer. Mit Johannes Paul II. hatte Mutter Teresa auch im Vatikan einen engen persönlichen Freund. 1986 besuchte er sie in Kalkutta.

© Reuters

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false