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Trauer um den Linienrichter.

© dpa

Nach dem Tod des Linienrichters: Rechtspopulisten rollen Integrationsdebatte wieder auf

Die niederländische Rechte nimmt den Gewaltvorfall zum Anlass, ein altes Thema zu spielen: Sie geben sich als Tabubrecher, die als einzige offen aussprechen, dass die Täter Migranten sind. Der Tod des Linienrichters wird zum Härtetest für die Niederlande.

Zwei Tage sind vergangen, seit der Linienrichter Richard Nieuwenhuizen von jugendlichen Fußballern zu Tode geprügelt wurde. Und wohin man auch hört in den Niederlanden, in einem sind sich alle einig: Der Amateurfußball, seit langem überschattet von Gewalt, steht an einer Wegscheide. „Wir haben es satt. Alle unsere vorbeugenden Maßnahmen haben nicht geholfen. Darum müssen wir den nächsten Schritt machen“, sagt Michael van Praag, Vorsitzender des Fußballverbands KNVB. Und sein Kollege Bernard Fransen, Leiter der Amateur-Abteilung, bekräftigt: „Jetzt muss wirklich etwas passieren.“ Nur, was genau? Wer sich die Hintergründe der Tat anschaut, kommt nicht umhin, eine komplexe Gemengelage zu konstatieren. „Ein gesellschaftliches Problem“, sagten Justizminister und Fußballverband unisono.

Die erste B-Jugend des SV Nieuw-Sloten sei „ein Team von Hitzköpfen“, das schon öfter durch Bedrohungen aufgefallen sei, sagt der Trainer eines Liga-Konkurrenten. Dass sich eine solche Tragödie ausgerechnet in der B-Jugend abspiele, sei kein Zufall, denn die 15- und 16-Jährigen seien „Testosteronbomben“ mitten in der Pubertät, sagt Bert-Jan Vaandrager, Jugendleiter des Rotterdamer Amateurclubs Spartaan 20. Deren ohnehin erhebliches Geltungsbedürfnis sei bei einem „multikulturellen Team“ noch stärker, sagte Maikel van Pul, B-Jugend- Coach des gleichen Clubs.

Die Rotterdamer Jugendfunktionäre spielen damit auf ein Thema an, das am Rande des Tods von Richard Nieuwenhuizen wieder in der niederländischen Debatte auftaucht – wenn auch bemerkenswert verhalten. Es geht um Integration. Oder ihr Scheitern. Am Tag nach dem Tod des Linienrichters sagte der Vorsitzende von Nieuwenhuizens Club SC BuitenBoys der Boulevardzeitung „Telegraaf“, die Aggressoren seien die „drei marokkanischen Spieler“ des Gegners gewesen. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Geert Wilders, Chef der rechtspopulistischen Partij Voor de Vrijheid, meldete sich per Twitter zu Wort und forderte, den Tätern den niederländischen Pass zu entziehen, sie nach einer Gefängnisstrafe nach Marokko abzuschieben und die Grenzen zu schließen. Und die neo-konservative Website GeenStijl.nl. titelte: „Nieuw-Sloten: Es waren AUSLÄNDER“. Die Großbuchstaben versteht man hier als rhetorisches Mittel, um zu zeigen, dass man sehr wohl laut und offen aussprechen will, was die Leitmedien angeblich nicht zugeben wollten.

Auf dem konservativen Weblog „De Dagelijkse Standaard“ bemängelt der bekannte Publizist Joost Niemöller, dass mehrere Journalisten von „Jugendlichen“ sprachen, ohne deren Hintergrund zu erwähnen. Niemöller nennt die Attacke auf Richard Nieuwenhuizen einen „rassistischen Mord“.

Nieuwenhuizens Tod könnte sich für die Niederlande als Probefall erweisen. Hat die hektische Integrationsdebatte der letzten Jahre irgendetwas gebracht? Ist die jüngste Wahlniederlage des Rechtspopulisten Geert Wilders ein Zeichen dafür, dass die Bevölkerung seine xenophoben Parolen satt hat, oder haben sie einfach nur vorübergehend keine Konjunktur? Als Wirtschaftsliberale und Sozialdemokraten im September mit großem Abstand die Wahlen gewannen, wurde das vielfach als eine Art Zivilisierung begrüßt. Die Gewalt vom vergangenen Sonntag ist vor diesem Hintergrund ein Stresstest der politischen Kultur im Land. Zeigen kann sie, ob heikle Themen wie Integration, aber auch soziale Deklassierung auf den Tisch kommen können, ohne in die Hysterie des vergangenen Jahrzehnts zu verfallen.

Wer sich auf niederländischen Websites mit der Diskussion über die Identität der Täter befasste, stieß dort auch auf eine Auflistung von Namen – die Mannschaftsaufstellung des B-Jugendteams der SV Nieuw-Sloten. 90 Prozent der Namen zeugen von einem Migrationshintergrund. Diese Information hat noch einen zweiten Aspekt. Sie zeugt von der gesellschaftlichen Separation des Fußballspiels als zunehmend migrantischem Sport, während andere Sportarten überwiegend von weißen Niederländern ausgeübt werden.

Das Thema ist noch lange nicht zu Ende. Am Mittwoch wurden zwei Mitschüler eines der Täter vom Unterricht ausgeschlossen. Sie hatten über Twitter zu seiner „Befreiung“ aufgerufen.

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