zum Hauptinhalt
Protest in Hongkong. In der chinesischen Sonderverwaltungszone demonstrierten zahlreiche Menschen mit diesen Plakaten für die Freilassung der fünf Frauen.

©  Tyrone Siu/Reuters

Update

Nach Festnahme von Feministinnen in China: Fünf kämpfen für 650 Millionen Frauen

Sie wollten auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Nahverkehr aufmerksam machen - und wurden festgenommen. Nun sehen viele die Gleichberechtigung in China infrage gestellt. Nach massiven Protesten wurden die fünf Frauen nun wieder freigelassen.

Am Montag warteten fünf chinesische Familien nervös auf eine Nachricht über das Schicksal ihrer Verwandten. Sie wollten endlich Bescheid wissen darüber, ob ihre Töchter freigelassen oder angeklagt werden. Später konnten sie aufatmen – ihre Töchter sind am Montag nach massiven Protesten wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Wie ihre Anwälte am Montag berichteten, seien Wei Tingting, Wang Nan, Zheng Churan, Li Tingting und Wu Rongrong nach mehr als einem Monat Haft auf Kaution freigelassen worden. Ihre Verhaftung Anfang März hatte die Gleichberechtigung der 650 Millionen Frauen in China infrage gestellt.

Die Frauen hatten geplant, am Weltfrauentag am 8. März Zettel mit Aufschriften wie „Los, Polizei, nehmt Leute fest, die andere sexuell belästigen!“ in Bussen und U-Bahnen zu verteilen, um auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Nahverkehr aufmerksam zu machen. Seit ihrer Festnahme haben diverse Menschenrechtsorganisationen an die chinesische Regierung appelliert, die fünf freizulassen. Doch stattdessen durchsuchte die Polizei die Räume mehrerer NGOs, mit denen die Aktivistinnen in Verbindung standen, und beantragte bei der Staatsanwaltschaft eine Festnahme und Anklage wegen „Ansammelns einer Menschenmenge, um die öffentliche Ordnung zu stören“. Die fünf Frauen, die zwischen 25 und 33 Jahre alt sind, wurden in eine Strafanstalt nach Peking überführt. Nach Mitternacht (Ortszeit) in der Nacht zu Dienstag teilte nun ihr Anwalt Wang Qiushi der Deutschen Presse-Agentur in Peking telefonisch mit: „Wir können bestätigen, dass alle fünf frei sind.“ Ihre Bewegungsfreiheit bleibe aber eingeschränkt.

Die fünf Frauen engagieren sich für die Geschlechtergerechtigkeit in China, für die Rechte Homosexueller und die Hilfe für Aids-Kranke. „Seit 2011 haben diese fünf mit einer Mischung aus Kunst und Aktivismus viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und den Diskurs maßgeblich beeinflusst“, sagt Maya Wong von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Bei einer Aktion protestierten sie öffentlich in mit roter Farbe bespritzten Brautkleidern. Sie wollten damit auf das Problem häuslicher Gewalt aufmerksam machen. Lange gab es in China keine Möglichkeit, aufgrund von häuslicher Gewalt eine Scheidung einzureichen – erst dieses Jahr wurde auf dem Volkskongress ein Gesetz vorgelegt. „Mit ihren medienwirksamen Aktionen haben die fünf Aktivistinnen definitiv ein Bewusstsein für das Problem geschaffen“, sagt Wong.

Doch nicht nur der Zeitpunkt der Festnahme kurz vor dem Weltfrauentag ist merkwürdig. Seit ihrer Gründung hat sich die Kommunistische Partei Chinas Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben. William Nee von Amnesty International findet es beunruhigend, dass auch Aktivisten nicht mehr sicher sind, die von der Partei unterstützte Ziele verfolgen. „Die Regierung fährt eine Null-Toleranz-Politik gegenüber allen, die unabhängig von der Partei Leute beeinflussen oder mobilisieren könnten.“, sagt Nee. Gleichzeitig legen Zahlen nahe, dass das Streben nach Geschlechtergerechtigkeit in erster Linie Rhetorik ist: Während andere Länder die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen als Problem ansehen, ist die Lücke in China sogar größer geworden: Verdienten Frauen 1990 noch 77,5 Prozent des Lohns, den Männer erhielten, waren es 2010 nur noch 67,3 Prozent. Zwar hat der durchschnittliche Bildungsgrad von Frauen über die vergangenen Jahren zugenommen, doch der Anteil der arbeitenden Frauen ist von 77,4 Prozent in 1990 auf 60,8 Prozent in 2010 gefallen.

Eine maßgebliche Rolle hat der Wandel in der Wahrnehmung von Frauen gespielt: Hieß es unter Mao, dass sie „eine Hälfte des Himmels hochhalten“, sind mittlerweile dank der Regierungsmedien „Restefrauen“, die wie altes Essen übrig bleiben, zum geflügelten Wort geworden. Damit werden Frauen abfällig bezeichnet, die älter als 27 Jahre sind und noch nicht geheiratet haben. Viele Eltern drängen ihre Töchter inzwischen, lieber früh als überlegt zu heiraten und den eigenen Beruf aufzugeben. Manche Frauen beenden ihre Karriere freiwillig, um nicht zu machtvoll auf chinesische Männer zu wirken.

Viele junge Chinesinnen spüren inzwischen diesen gesellschaftlichen Druck – und ziehen eigene Konsequenzen daraus. Auch die Aktivistinnen, denen trotz der Freilassung weiterhin eine Anklage droht.

Katharin Tai

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false