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Nach Tod dreier deutscher Schüler: Rekordstrafe für türkische Alkoholpanscher

Ein Gericht ahndet den Tod von drei deutschen Schülern mit der Rekordstrafe von 60 Jahren Haft für zwei Hauptangeklagte. Das Urteil von Antalya soll andere Panscher abschrecken.

Am Ende war Deniz Yildirim nicht ganz zufrieden, doch sie zollte den Richtern dennoch Respekt. "Erstmals ein Urteil wegen Mordes", sagte die Anwältin aus dem südtürkischen Antalya am Freitagnachmittag, nachdem das Schwurgericht in der Stadt seine Entscheidung in einem Prozess bekannt gegeben hatte, der in der Türkei und in Deutschland gleichermaßen aufmerksam verfolgt wurde. Für jeweils 60 Jahre sollen die Alkohol-Lieferanten Cengiz und Halil Emmez hinter Gitter: Drei Lübecker Berufsschüler hatten im März 2009 gepanschten und hochgiftigen Alkohol aus den Beständen der Firma Emmez getrunken und waren daran gestorben. Bisher hatten türkische Gerichte die Panscher meistens sehr milde behandelt. Am Freitag war das anders.

Die Lübecker Berufsschüler hatten vor fast zwei Jahren im "Anatolia Beach Hotel" im Badeort Kemer bei Antalya einen feucht-fröhlichen Schulausflug verbracht. Einer der Saufabende im Hotel führte zur Katastrophe: Drei Deutsche starben am Gift-Fusel, vier weitere mussten ins Krankenhaus. Die Polizei fand im Zimmer der Opfer Flaschen mit gepanschtem Alkohol.

Schwarz gebrannter Schnaps kann giftiges Methanol enthalten, ein giftiges Beiprodukt bei der Herstellung von Ethanol, der allgemein erwünschten Form von Alkohol. Das Gericht in Antalya hatte seit Anfang 2010 die Frage zu klären, wer für den Tod der Deutschen verantwortlich war.

Angeklagte zeigten keine Reue

Leicht war das nicht. Die Beschuldigten schoben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu, von Einsicht oder Reue war im Verlauf des Prozesses nur wenig zu spüren. Bei einer Verhandlung gab der Hauptangeklagte Cengiz Emmez den deutschen Schülern sogar selbst die Schuld: Sie hätten am fraglichen Tag Parfüm getrunken und Hasch geraucht, sagte er. "Natürlich will niemand sterben, aber diese jungen Leute haben an dem Tag fürs Sterben getan, was sie konnten."

Gegen Emmez waren vor einigen Jahren an der türkischen Ägäis schon einmal Vorwürfe wegen Schwarzbrennerei erhoben worden. Verurteilt wurde er damals aber nicht. Nach dem Tod der Deutschen fand die Polizei im Unternehmen der Emmez-Brüder zur Abfüllung bereit stehende Falschen mit Etiketten und Verschlüssen. Doch vor Gericht betonte Emmez, er habe eine weiße Weste. So beliefere er auch andere Hotels mit Alkohol – doch dort habe es keine Todesfälle gegeben. Nun solle er zum Sündenbock für den Tod der Deutschen gemacht werden. Auch das Hotelmanagement war sich keiner Schuld bewusst.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, welche Bedeutung das Urteil für die türkische Tourismusbranche hat.

Das Gericht griff dennoch durch. Auf der Basis einer Anklage, die laut Anwältin Yildirim erstmals von Mord ausging und nicht von fahrlässiger Tötung wie in anderen Panscher-Verfahren, verurteilten die Richter die Emmez-Brüder zu jeweils 60 Jahren Haft für die drei Todesfälle und die vier anderen Vergiftungen. Nach türkischem Recht müssen die Verurteilten etwa zwei Drittel ihrer Strafe absitzen, also 40 Jahre, wenn das Urteil im bevorstehenden Verfahren vor dem Obersten Berufungsgericht der Türkei Bestand haben sollte.

Zuletzt starben im Mai fünf Russen

Vorerst bleiben die Emmez-Brüder in Haft, ihre Ehefrauen wurden freigesprochen, was Anwältin Yildirim im Berufungsverfahren ändern will. Zwei ebenfalls angeklagte Hotelangestellte erhielten am Freitag fünfjährige Haftstrafen wegen ihrer Beteiligung am Einkauf des Giftschnapses – auch das ein abschreckendes Signal des Gerichts, so Yildirim.

Türken und ausländische Besucher brauchen solche Signale, denn die Lübecker waren weder die ersten noch die letzten Opfer von Todesfusel in der Türkei. Als eine Gruppe russischer Reiseführer im Mai dieses Jahres bei Bodrum im Westen der Türkei einen Bootsausflug unternahm, erwies sich der dabei ausgeschenkte Schnaps als hochgiftig – fünf Teilnehmer des Ausflugs starben.

Es ist der türkische Staat selbst, der den Markt für die Panscher schafft. Hohe Steuern auf Alkohol machen besonders den hochprozentigen Schnaps für viele Verbraucher zu einem verboten teuren Luxusgut. So kostet eine Flasche Whisky normaler Qualität, die in deutschen Supermärkten für etwa 15 Euro zu haben ist, in der Türkei leicht das Doppelte. Für einige Unternehmer der türkischen Tourismusbranche, die vor allem auf Niedrig-Preise setzt und deshalb einen mörderischen Konkurrenzkampf durchlebt, ist da die Versuchung groß, sich Schnaps auf inoffiziellem Weg zu besorgen, um die hohen Steuern zu umgehen.

Das Ergebnis ist ein für die Kunden mitunter lebensgefährlicher Schwarzmarkt, dem die Behörden auch mit spektakulären Razzien nicht beikommen können. Erst vor zwei Wochen stellte die Polizei mit einer zeitgleichen Aktion in 16 der 81 türkischen Provinzen fast 50.000 Flaschen geschmuggelten und gepanschten Schnaps sicher. Besonders bedenklich: Den Beamten fielen auch mehr als 100.000 Papiersiegel der Alkohol-Aufsichtsbehörde in die Hände. Mit den Siegeln werden normalerweise legale Alkoholika gekennzeichnet.

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