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Panorama: Nackt unter Wölfen

Er drehte den berühmtesten verbotenen Film der DDR. Frank Beyer, Regisseur von „Spur der Steine“, ist tot

Vielleicht hat er am besten gewusst, wer er war: der Filmregisseur aus der DDR mit den größten Erfolgen und den größten Niederlagen. Man kann sich vorstellen, welche Überwindung es ihn gekostet hat, das so auszusprechen. Denn er war ein irritierend bescheidener Mensch, so gar kein Künstlertyp. Vielleicht liegt es daran. Normal bedeutende Regisseure machen ab und zu einen sehr guten Film, und das reicht dann für die Ewigkeit oder eine halbe oder eine Viertel-Ewigkeit. Aber der unauffällige Nicht-Künstlertyp Beyer bevorzugte wohl schon seiner Natur nach eine gewisse Ordnung. Die Ordnung des Außerordentlichen? So viele seiner Filme zählen, spätestens mit „Königskinder“ fing das an, mit „Nackt unter Wölfen“ ging es weiter und dann kam schon „Spur der Steine“, und alles war zu Ende. Und fing doch wieder an.

Eine typische Nachkriegsbeschäftigung sind Plünderungen. Auch Beyer, der Junge aus Treben bei Altenburg in Thüringen, ging plündern. Die anderen kamen mit Mehl, Zucker und Reis aus der verlassenen Kaserne; Beyer hielt einen Schmalfilmprojektor der Marke Bauer-Pantalux sowie die Filmrolle „Hochzeit am Tegernsee“ in der Hand. Er war eben ein Verlierertyp. „Ich hatte rote Haare und Sommersprossen“, schrieb er in seiner Autobiografie „Wenn der Wind sich dreht“. Und nun das: Schmalfilmkamera statt Mehl und Zucker! Aber als am nächsten Tag alles Beutegut zurückgegeben werden musste – auch die Bauer-Pantalux und „Hochzeit am Tegernsee“ – wurde Frank Beyer zum Retter des thüringischen Schmalfilmwesens ernannt. Und begriff augenblicklich, welche Karrieren beim Film möglich sind. Er gehörte zu denen, die ohne die DDR nicht geworden wären, was sie wurden. Ihre Utopie war die seine. Nur ist aus der DDR etwas ganz anderes geworden als aus Frank Beyer, was die wunderbare Überlegenheit des Menschen über sein Staatswesen beweist. Wenn es noch eines Beleges bedürfte, dass die DDR untergehen musste, dann wäre es der: dass sie es geschafft hat, sich einen wie ihn zum Gegner zu machen. Im Sommer 1961, mitten in den Dreharbeiten zu den „Königskindern“ mit Armin Müller-Stahl und Annekathrin Bürger, legte Frank Beyer sein Drehbuch aus der Hand und errichtete einen „antifaschistischen Schutzwall“. Moment mal, ich drehe hier einen Film, hätte er sagen können. Aber Ich-drehe-hier-einen-Film ist kein gutes Argument, wenn die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ rufen und man sich rufen lassen muss, weil man da unvorsichtigerweise drin ist.

Ein populäres Vorurteil lautet, der Antifaschismus der DDR sei nur verordnet gewesen, eine wirkliche „Aufarbeitung“ – was für ein buchhalterisches Wort! – habe nie stattgefunden. Wer das sagt, hat Frank Beyers „Der Aufenthalt“ (1983) nicht gesehen, und nicht „Nackt unter Wölfen“ (1963) mit Erwin Geschonneck: Buchenwald-Häftlinge verstecken ein Kind, das mit einem Transport aus Auschwitz kam, ein authentischer Fall. Und auch nicht „Jakob der Lügner“ von 1974, Jurek Beckers Geschichte des Juden Jakob im Warschauer Ghetto, der allen vom ständigen Vorrücken der „Roten Armee“ berichtet, denn das hört er im Radio. Nur – niemand hat ein Radio im Ghetto, auch Jakob nicht. Beyers „Jakob“-Film ist viel stärker als das spätere US-Remake mit Robin Williams.

Ein Regisseur soll keinen eigenen Stil haben wollen, aber das darf ihm nicht gelingen, hat Cocteau gesagt. Gibt es einen FrankBeyer-Stil? Eigentlich – nicht. Dazu war der MenschenFilmer Frank Beyer wohl zu bescheiden. Jeder Film hat den Stil seiner Geschichte. 1978 drehte er „Geschlossene Gesellschaft“ mit Armin Mueller-Stahl und Jutta Hoffmann, über eine Ehe, so klaustrophobisch wie das Land, in dem sie spielte. Einmal lief er im Fernsehen, spätabends, als alle Werktätigen schliefen, ohne Ankündigung. Denn 1978 schickte die DDR nicht mehr wie einst die Nazis ihre Knechte ins Kino, um unliebsame Filme niederzubrüllen. Das war Frank Beyer mit dem vielleicht bekanntesten Defa-Verbotsfilm „Spur der Steine“ (1966) geschehen. Gründe für Verbote sind meist so trivial, dass man sie später kaum noch versteht: In dieser Geschichte um Ballas (Manfred Krugs) Zimmermannsbrigade war den eingeschüchterten obersten Kulturfunktionären (11. Plenum!) ein Parteisekretär nicht positiv genug dargestellt. Aber Frank Beyer begriff in der letzten Reihe des Berliner Kinos „International“ bei der Premiere seines Films viel mehr: dass dieses Land, dieser Sozialismus ein Irrtum sein musste.

Und doch zögerte er – noch immer Genosse der SED, was ihn nicht hinderte, 1976 gegen die Ausbürgerung Biermanns zu unterschreiben –, das Land zu verlassen. Krug über seinen Freund: „Der Letzte macht das Licht aus. Und wer ist der Letzte? Frank Beyer.“

Die bekanntesten Nachwende-Filme heißen „Nikolaikirche“ (1995) und „Abgehauen“ (1998). Große Filme waren es nicht mehr. Die DDR hatte den Vorteil, dass man erst drehen durfte, und dann wurde der Film verboten. So konnte man ihn später wieder aufführen. Aber Frank Beyers „Jahrestage“ (nach Uwe Johnsons Roman) kann man nicht wieder aufführen. Es gibt ihn nicht. Im September 1998, drei Wochen vor Drehbeginn, hat Frank Beyer den Film verloren, den er wie keinen anderen machen wollte. Das Fernsehen dachte an eine andere Hauptdarstellerin. Das Fernsehen konnte nicht wissen, dass Beyer schon mal Heinz Rühmann abgelehnt hatte, um mit Vlastimil Brodsky „Jakob der Lügner“ zu drehen. Mit Brodsky drehen, wenn man auch Rühmann kriegen kann? Beyer bekam für „Jakob der Lügner“ – ohne Rühmann, mit Brodsky – eine Oskar-Nominierung. Und er bekam einen Brief von Rühmann. Wegen der schönen Absage. Regisseure, die solche Absagen schreiben, schrieb Rühmann, gäbe es im Westen nicht.

Am Sonntag ist Frank Beyer nach längerer Krankheit in Berlin gestorben. Er wurde 74 Jahre alt.

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