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Panorama: Narkose für das Gewissen

Es gibt Fixpunkte im Leben des Claudio Magris, ohne die weder der renommierte Germanist noch der über die Landesgrenzen hinaus bekannte Schriftsteller denkbar wäre: Es ist die morbide Atmosphäre seiner Heimatstadt Triest, die zwiespältig noch immer der glänzenden K.-u.

Es gibt Fixpunkte im Leben des Claudio Magris, ohne die weder der renommierte Germanist noch der über die Landesgrenzen hinaus bekannte Schriftsteller denkbar wäre: Es ist die morbide Atmosphäre seiner Heimatstadt Triest, die zwiespältig noch immer der glänzenden K.-u.-K.-Vergangenheit hinterherjammert; es ist die Faszination des Meeres, in dem er im Sommer täglich badet, und natürlich das Cafè San Marco, wo Magris inmitten des täglichen Getümmels bei Espresso und Dolce zu schreiben pflegt. Gerade diese besondere Café-Haus-Atmosphäre, bekannte Magris offen, sei seine ureigene Quelle der Inspiration.

Nur zu verständlich also, dass der Platz, wo der "scrittore" sitzt und arbeitet, vom Café-Betreiber als eine Kultstätte angesehen wird, auf die jeder Besucher hingewiesen wird.

Gleichmacherei

Nicht zuletzt deshalb hängt auch an dem Tisch, an dem Magris einen Großteil seiner Zeit verbringt, das in Öl gemalte Abbild des Schriftstellers. Umso erstaunlicher ist, dass Magris formell verlangte, dass dieses Bild abgehängt wird - aus Protest dagegen, dass an gleicher Stelle ein bekennender früherer SS-Offizier zu Wort kommen soll. Eine kleine Geste des leisen Protestes gegen die schleichende historische Gleichmacherei. Magris Begründung: "Die nationale Befriedung ist wirklich ein Gut, wenn sie die Unterschiede überwindet, ohne sie auszulöschen.

Beispielsweise können die faschistische Republik von Salò und der antifaschistische Widerstandskampf politisch und historisch nicht auf die gleiche Ebene gestellt werden." Faschisten und antifaschistische Widerstandskämpfer müssen klar voneinander unterschieden werden.

Eine schleichende Form des "revisionimo storico", des historischen Revisionismus lässt sich neuerdings nach Magris nicht in Abrede stellen. Die Indizien dafür häuften sich nämlich gerade in letzter Zeit. Früher, und zwar vor nicht allzu langer Zeit, hätten solche Versuche viele Italiener auf die Barrikaden getrieben.

Der Begriff galt als eine der wüstesten Beschimpfungen. Sicherlich, schon immer haben Neofaschisten in Predappio des Geburtstages von Benito Mussolini gedacht. Neu ist nun allerdings, dass dies offen getan wird. Außerdem häufen sich die "revisionistischen Vorstöße" einiger rechter Lokalpolitiker. Auf Capri beispielsweise marschierten im letzten September die "Schwarzhemden".

Im Fernsehen durfte sich Mussolinis Tochter Edda Ciano in epischer Breite über ihren Vater und seine Zeit auslassen. In Neapel kritisierten außerdem einige Lokalpolitiker von Forza Italia diejenigen, die Universitätsprofessoren gedachten, die nach den Rassengesetzten 1938 ihre Stelle verloren.

Den vorläufigen Höhepunkt bildete jedoch der sizilianische Ort Tremestieri Etneo am Fuße des Ätnas. Hier hatte der amtierende Bürgermeister Guido Costa den zweifelhaften Einfall, eine Straße nach dem Duce zu benennen, weil er eben "ein großer Mann" gewesen sei. Gewissermaßen eine späte Wiedergutmachung für einen Protagonisten der Geschichte.

Bürgermeister Costa gehört übrigens der Nationalen Allianz an, die in der Berlusconi-Regierung sitzt und aus der neofaschistischen Partei MSI hervorgegangen ist. Magris wendet sich derweil offen gegen derlei systematisch betriebene "Narkotisierung des Gewissens" und verlangt, dass sein Konterfei aus Protest abgehängt wird.

Vincenzo Delle Donne

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