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Panorama: Neue Sänger braucht das Land

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und die „taz“ treten mit Kandidaten beim Schlager-Grand-Prix an

Wenn es um die Rettung der Kultur des Abendlandes geht, sind die Besten aufgerufen, das Ihre zu tun.

Dass der „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ zu diesen heiligen Kulturgütern gerechnet werden muss, steht für den Kenner außer Zweifel, – und natürlich zählen die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“) und die „Tageszeitung“ („taz“) zu den aufgerufenen Besten. Eine konzertierte Aktion ist also völlig logisch, es verwundert eigentlich nur, warum es erst jetzt zu diesem Engagement kommt; immerhin hatte die „Bild“-Zeitung – gemeinhin nicht als Hort der Hochkultur verdächtig – ihrer Sorge um das Niveau des alljährlichen Sangeswettstreits schon früher Ausdruck verliehen. Und nicht nur das: „Bild“ hilft, „Bild“ handelt! Und schickte 2002 ihrerseits die „süße“ („Bild“) Isabel mit einem vom Pop-Titanen Dieter Bohlen komponierten Titel ins Schlagerrennen. Erfolglos zwar, der Titel versandete irgendwo im hinteren Mittelfeld der deutschen Vorausscheidung, aber ein Zeichen war gesetzt. Zumal die Siegerin Corinna May im internationalen Vergleich ein Waterloo (fast) ohnegleichen erlitt, ein Desaster, das eigentlich schon im Vorfeld jedem außer Ralph Siegel, der den Song komponierte, klar sein musste.

Griechen könnten mit Homer antreten

Nun also die „FAS". Die meinte in einem Beitrag, der Wettbewerb könne sich „von einem Gruselkabinett zu einer interessanten, anspruchsvollen Show“ entwickeln. Wenn, ja, „wenn Europa seine musikalischen Wurzeln ernster nähme". Und da sind sie schon, die drei Schlüsselwörter: „interessant“, „anspruchsvoll“, „ernst“. Ein wahrhaft hehres Ziel auf dem Weg zu einem geeinten Europa! Griechenland mit Theodorakis, Österreich mit Hubert von Goisern, Island mit Björk, Frankreich mit dem, was sie sowieso immer machen, und Deutschland, Deutschland mit Tobias Schacht. Schacht ist „Der Junge mit der Gitarre“, ein Bursche mit Locken und Zahnlücke, der zur Schrammelgitarre mit einer Art Diskurs-Pop über das Elend der Welt singt. Aber vielleicht ist auch alles ganz anders: „Tobias Schacht wirkt sehr erwachsen, wobei die hohe Stirn und die Geheimratsecken das Grüblerische noch unterstreichen. Beim Reden rollt er mit den Augen, als ob er sich selbst zuhören würde." („FAS“) So einer ist das.

Die aus dem aktuellen Album mit dem poetischen Titel „Meer sehn“ ausgekoppelte Single heißt übrigens „Ich bin dagegen". Genau das richtige für den Grand Prix.

„Die beherrschen ihr Geschäft besser als ich“, sagt Dr. Jürgen Meyer-Beer vom NDR, unter dessen Ägide der Grand Prix seit Jahren veranstaltet wird. Er meint die Plattenfirmen, die Majors, denen im komplexen Regelwerk das Song-Vorschlagsrecht vorbehalten ist. Und er hat mit ihnen gute Erfahrungen gemacht: „Sie haben geholfen, als der Grand Prix neben dem Markt ein obskures Eigenleben führte.“ Jetzt wird der Mainstream bedient, „ich sorge für eine gute Show“, und die Quote stimmt. Selbstverständlich hat Meyer-Beer gegen eine Kooperation von Zeitungen und Plattenfirmen überhaupt nichts einzuwenden, schließlich winkt eine Menge Ballyhoo (dann) auch von seriösen Blättern. Also, „ADAC Motorwelt“, „Coup‚“ und „Bäckerblume“ – auch Sie sind aufgerufen! Es geht schließlich um Europa.

Den Liedtext schreiben die Leser

Darum, und gleichzeitig auch um ganz etwas anderes geht es der „taz". Die wollen gewinnen! Durch das Engagement der alten Antagonisten aus Frankfurt angestachelt, warfen auch Tazler aus Berlin ihren Hut in den Ring. Ihr Ansatz ist dabei, wie es sich gehört, radikal basis-demokratisch. Alle LeserInnen – und nicht nur die – sind aufgerufen, sich an einem Text-Wettbewerb zu beteiligen; gerechnet wird mit mindestens 2000 Zuschriften. Der beste Text wird von einer Jury ausgewählt und von Universal produziert. Auch der/die Interpret(in) soll laut Magazin-Chef Jan Feddersen schon feststehen – ist aber noch geheime Kommandosache. Im Umkreis von Degenhardt, Lerryn und Bots zu suchen, ist aber mit Sicherheit vergeblich. Zur modernen „taz“ passt eigentlich nur Eine: die gleichfalls kapriziöse Schlagerprinzessin Michelle.

Denn: „Wir wollen dem Lebensgefühl einer ebenso lebensbejahenden wie vergrübelten Republik Ausdruck verleihen“, formuliert Feddersen den hohen Anspruch, und „machen wir uns nichts vor: alle wollen gewinnen. Wenn sich die Griechen mit von Theodorakis vertonten Homer-Hymnen Erfolg versprächen, hätten sie das schon längst gemacht. Haben sie aber nicht." Deutschland hat Tobias Schacht. Und die „FAS", die mit ihm die Kultur retten will.

Man wird sich also im Vorfeld der deutschen Vorentscheidung am 7. März in Kiel auf allerlei publizistische Grabenkämpfe einrichten dürfen.

In der derzeitigen ökonomischen Krise nahezu aller Tageszeitungen sollte solch beinahe sinnfreies Geplänkel auch ein treffliches Instrument zur Leserbindung darstellen. Und es wird alles nach den Regeln ablaufen; und wenn nicht, dann werden die eben geändert. Natürlich nach Absprache und im Einvernehmen aller Beteiligten.

Kiel kann also kommen, Riga erst recht.

Jörn Wöbse

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