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Der wegen mehrfachen Mordes und Mordversuchs an Patienten angeklagte, ehemalige Krankenpfleger Niels H. will sich nicht fotografieren lassen.

© dpa

Neuer Verdacht in Delmenhorst: Krankenpfleger tötete mehr Patienten

Krankenpfleger Niels H. könnte der schlimmste Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte sein - bis zu 200 Todesfälle werden überprüft. Doch H. bleibt ein krasser Ausnahmefall.

Womöglich ist Niels H. der schlimmste Serienmörder der bundesdeutschen Geschichte. Vielleicht sind seine Taten das größte Verbrechen eines Einzelnen in den vergangenen Jahrzehnten. Ermittler schließen nicht völlig aus, dass der wegen Mordes verurteilte Ex-Pfleger bis zu 200 Männer und Frauen getötet haben könnte. H. war 2015 wegen zweifachen Mordes, zweifachen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bei 27 von 99 neu exhumierten Verstorbenen haben Ermittler, wie berichtet, kürzlich verdächtige Rückstände eines Herzmittels entdeckt. In weiteren Fällen könnte H. ein anderes, noch nicht in Betracht gezogenes Medikament benutzt haben.

Fast zwei Millionen Menschen versorgen Patienten

Die Taten sind nicht nur besonders zahlreich und grausam, es scheint auch beinahe absurd, dass die Morde jahrelang keinem Kollegen aufgefallen sind. Doch Täter wie Niels H., 1976 geboren, sind krasse Ausnahmen. In Deutschland arbeiten immer mehr Männer und Frauen im Gesundheitswesen, aktuell 5,2 Millionen. Allein in den bundesweit 2000 Kliniken sind rund 315 000 Schwestern und Pfleger beschäftigt. In den bundesweit 13 000 Heimen kommen noch mal fast 700 000 Pflegende dazu, darüber hinaus sind 320 000 Mitarbeiter für die 13 000 ambulanten Pflegedienste tätig. Dazu müsste man eigentlich noch die in den Kliniken tätigen Ärzte rechnen. Insgesamt betreuen dann fast zwei Millionen Beschäftigte also direkt Alte und Kranke. Und die Zahl nimmt zu, denn wegen des steigenden Durchschnittsalters müssen immer mehr Hochbetagte versorgt werden.
In der Branche blieb man auch am Donnerstag zurückhaltend. Vertreter von Pflegeverbänden äußerten sich auf Nachfrage nicht offiziell. Der Fall sei, so der Tenor, monströs. Trotz aller Appelle zu Aufmerksamkeit und Kritikkultur in den Kliniken ließen sich planvolle Einzeltäter aber nicht immer stoppen.

Krankenkasse fordert mehr Obduktionen

Der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme hatte den Klinik-Verantwortlichen eine Mitschuld gegeben: „Es spricht vieles dafür, dass die Morde im Klinikum Delmenhorst hätten verhindert werden können.“ Spätestens 2001 sollen Vorgesetzte des verdächtigen Pflegers in Oldenburg von Auffälligkeiten gewusst haben. Dennoch wurde Niels H. mit einem guten Arbeitszeugnis weiterempfohlen und fand so in Delmenhorst einen Job. Die auffallend hohe Sterberate während seiner Dienste berücksichtigte offenbar niemand. Andrea Grebe, die Geschäftsführerin der Berliner Vivantes-Kliniken, sagte am Donnerstag, man müsse das Personal ermutigen, sich im Verdachtsfall an Vorgesetzte, Ombudsleute oder Betriebsräte zu wenden. Der Vorstand der Barmer, eine der größten Krankenkassen des Landes, teilte mit: Statt nach schärferen Gesetzen zu rufen, sollten die Kliniken mehr Obduktionen anordnen. In Delmenhorst hatte man schon gehandelt. Bislang war es üblich, dass ein verstorbener Patient von einem der anwesenden Klinikärzte begutachtet wurde. Entdeckte dieser Arzt keine Besonderheiten, ging die Klinik von einem natürlichen Tod des Patienten aus. Seit vergangenem Jahr wird nun eine „qualifizierte Leichenschau“ durchgeführt, zu der ein Rechtsmediziner einbestellt wird.

Ex-Pfleger Niels H. sitzt lebenslang in Haft

Auch in Berlin hatte es einst eine Serie von Tötungsfällen gegeben. Zwischen Sommer 2005 und Herbst 2006 hatte Irene B., Krankenschwester an der Charité, fünf Patienten getötet. So sahen es die Richter, die B. 2007 zu lebenslanger Haft verurteilten. Immer wieder war die Krankenschwester auf der kardiologischen Intensivstation der Charité einigen Kollegen verdächtig vorgekommen. Und tatsächlich hatte B. fünf Patienten mit Überdosen getötet.
Seitdem wurde viel getan. Die Charité entließ die damalige Stationsleitung und sensibilisierte Schwestern, Pfleger und Ärzte. Außerdem wurde eine Meldesystem eingeführt: Bemerkt ein Mitarbeiter Seltsames oder macht selbst einen Fehler, kann er die Auffälligkeit elektronisch und anonym in ein Intranet eingeben.
Niels H. befindet sich in Haft – unabhängig davon, was die Ermittler noch entdecken werden. Bei seiner Verurteilung 2015 sprachen die Richter von besonderer Schwere der Schuld, weshalb H. wohl erst in 20, vielleicht aber auch 30 Jahren entlassen werden könnte. Der Fall aber ist nicht abgeschlossen – vermutlich wird noch 2017 ermittelt: „Die Ermittlungen dauern so lange, bis wir das unselige Wirken des Niels H. komplett aufgeklärt haben“, sagte der Vize-Leiter der Oldenburger Staatsanwaltschaft. Es werde „jeder Stein umgedreht“.

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