zum Hauptinhalt
Vor dem großen Auftritt. Ein Schauspieler in traditionellem Kostüm wartet beim Neujahrsfest auf seinen Einsatz vor dem Dongyue-Tempel in Peking, der vor 700 Jahren gegründet wurde.

© dpa

Neujahrsfest: China – besser, klüger, reicher

Unbeschreiblicher Lärm und farbenfrohe Umzüge läuten das Jahr des Drachen ein: Es soll den Menschen im Reich der Mitte Glück und Erfolg bringen.

Am Sonntag um kurz vor Mitternacht jaulten an vielen Fahrzeugen in Peking nahezu gleichzeitig die Alarmanlagen los. Nicht weil diese in Gefahr standen gestohlen zu werden, sondern weil ihre Sensoren auf die heftigen Erschütterungen in ihrer Umgebung reagierten. Um sie herum feierten Millionen Chinesen mit pfeifenden Raketen und donnernden Kanonenschlägen die Ankunft des neuen Jahres nach dem traditionellen Mondkalender. Die jaulenden Alarmanlagen störten niemanden, im Gegenteil, sie halfen sogar: Gilt es doch in China am Neujahrsabend und den Tagen danach, die bösen Geister des alten Jahres zu verscheuchen. Mit bunten Farben und dröhnendem Lärm.

Das neue Jahr steht im Tierkreiszeichen des Drachens, es soll ein gutes werden in Asien. „Das Jahr 2012 wird die asiatische Wirtschaft begünstigen, während die USA wirtschaftlich in diesem Jahr den Tiefpunkt erreichen werden“, sagt der Hongkonger Astrologe Peter So. Der Drache gilt in der chinesischen Kultur als freundliches Wesen, das Kraft, Erfolg und Reichtum bringt. Weshalb eine neue Sonderbriefmarke der chinesischen Post, die einen aggressiven, bedrohlichen Drachen zeigt, prompt in China eine Diskussion über die Unterschiede zwischen westlichen und chinesischen Drachen ausgelöst hat. Politisch wartet auf China ohnehin ein wichtiges Jahr, im Herbst bestimmt der 18. Parteitag der Kommunistischen Partei den Nachfolger des Generalsekretärs Hu Jintao.

Als derart erfolgversprechend gilt das Jahr des Drachen, dass sich die Geburtskliniken Hongkongs auf einen Ansturm werdender Mütter einrichten. Abergläubische Frauen wie Michelle Cheong Ka-ian haben ihre Familienplanung auf dieses spezielle Jahr ausgerichtet. „Ich wollte mein zweites Kind nicht im Jahr der Schlange gebären“, sagt die schwangere Hongkongerin der „South China Morning Post“, „Chinesen denken traditionell, dass Menschen, die im Jahr des Drachen geboren sind, besser und klüger sind“. In den vorherigen Drachenjahren 1988 und 2000 ist die Geburtenrate in Hongkong um 7,8 und 5,6 Prozent nach oben gesprungen.

Bevor die Chinesen allerdings das Jahr des Drachen feiern und sich an den Feiertagen Geschenke in der glücksbringenden Farbe Rot überreichen konnten, mussten Millionen von ihnen eine wahre Völkerwanderung überstehen. 1,3 Milliarden Reisen finden in diesem Jahr in den 40 Tagen rund um das Frühlingsfest statt, so viele wie nie zuvor. Hunderte Millionen Menschen unterziehen das Eisenbahnsystem einem Belastungstest. Um die tagelangen Wartezeiten vor den Kartenschaltern zu verkürzen, hat das Eisenbahnministerium in diesem Jahr erstmals Tickets auch online verkauft. Und damit viel Ärger produziert, denn viele der 200 Millionen Wanderarbeiter Chinas haben keinen Zugang zum Internet.

Nicht alle Chinesen haben sich auf die Heimfahrt zum Frühlingsfest gefreut. Viele Singles im heiratsfähigen Alter fürchteten sich vor der Rückkehr zur Familie, denn dort warten die Eltern mit der immer gleichen Frage: Warum bist du noch nicht verheiratet? Nach der chinesischen Tradition verlieren die Eltern von Kindern im heiratsfähigen Alter das Gesicht, wenn diese alleine bleiben. Weshalb sie nicht selten in den Feiertagen noch Verabredungen für ihre erwachsenen Kinder organisieren. So enervierend ist das Problem der ungeduldigen Eltern, dass in diesem Jahr im Internet ein neues Phänomen entstanden ist: Für 60 Euro am Tag bieten sich einige Chinesen den Singles als Partner oder Partnerin für die Feiertage an. Mit Erfolg.

Der 24 Jahre alte Börsenmakler Chen hat Anfragen von 20 Frauen vorliegen, wie er der Zeitung „China Daily“ erzählt. „Meine Kundinnen können befreit werden von dem Geplapper der Eltern, endlich einen Freund zu finden“, sagt er, „und ich kann etwas Geld verdienen und habe ein warmes Frühlingsfest anstatt die langen Ferien alleine in einer Stadt fern meiner Heimat zu verbringen“. Auf eine eigene Heimfahrt verzichtet er, weil er nicht mehr die arrangierten Dates seiner Eltern ertragen will. Allerdings eröffnet die Miete eines Freundes fürs Frühlingsfest gleich das nächste Problem, wie eine 30 Jahre alte Schanghaierin weiß: „Nachdem meine Eltern meinen neuen Freund gesehen haben werden, werden sie mich ständig fragen: Wann plant ihr die Hochzeit?“

Zahlreiche Traditionen haben sich rund um das Frühlingsfest etabliert. Es soll Glück bringen, im Kreis der Familie Dumplings zu kochen. Oder Drachensymbole mit guten Wünschen an die Haustüre zu kleben und sie so lange hängen zu lassen, bis sie herunterfallen. Auch die Neujahrsgala des staatlichen Fernsehens CCTV zählt zu diesen Ritualen. Seit 30 Jahren läuft sie am Neujahrsabend auf fast allen Kanälen, inzwischen sehen über 700 Millionen Fernsehzuschauer zu. In diesem Jahr bot die Show unter anderem eine aufgezeichnete Sangeseinlage des US-Milliardärs Warren Buffett, der auf einer Ukulele vor einer Spielzeugeisenbahn „I' ve been working on the railroad“ sang und sich auf Chinesisch verabschiedete. Die Stars der Show sind handverlesen, ihr Inhalt muss einige Runden bei den Topzensoren des Landes überstehen. Weshalb sie in den letzten Jahren langweiliger geworden ist, wie manche Beobachter finden.

Alles andere als langweilig aber war das anschließende Lärmspektakel auf Pekings Straßen. Zwar hatten Nichtregierungsorganisationen versucht, die Pekinger Bürger vom Feuerwerk abzuhalten, weil dieses die gravierende Luftverschmutzung in der Stadt noch verstärkt. Doch kaum einer hat sich daran gehalten. „Verglichen mit den Emissionen von Chemiefabriken zählen die Emissionen beim Feuerwerk kaum“, findet der Pekinger Wang Yu, „dies ist die einzige Jahreszeit, in der ich mit etwas Lärm feiern kann“. Und Lärm bedeutet in China Festlichkeit und Lebensfreude.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false