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New Orleans: Zustände und Zuständigkeiten

Der Streit um den Umgang mit der Hurrikan-Katastrophe im Süden der USA wird zum Wahlkampfthema.

(Der Tagesspiegel, 09.09.2005)

- New Orleans Bürgermeister Ray Nagin findet weder beim Staat Louisiana noch bei der US-Bundesregierung Unterstützung für seine Anweisung zur Zwangsevakuierung der Stadt. Der Oberbefehlshaber der Bundestruppen, General Honoré, stellte klar, seine Einheiten würden sich nicht an der "Polizeiaufgabe" beteiligen, die Anordnung gegen den Willen der Bürger durchzusetzen. Sie seien vollauf mit der Rettung Überlebender und der Verteilung von Nahrung, Trinkwasser, Kühleis und Medikamenten beschäftigt. Louisianas Gouverneurin Kathleen Blanco möchte die ihr unterstehende Nationalgarde auch nicht für die Zwangsevakuierung einsetzen.

Damit erreicht der Kompetenzstreit zwischen Vertretern der drei Verwaltungsebenen eine neue Stufe. Überhaupt wird die Debatte, was bei der schleppenden Hilfe für die Hurrikan- und Flutopfer schief gelaufen sei und wer die Schuld daran trage, immer mehr in den anlaufenden Wahlkampf für die "Mid term election" 2006 gezogen, die turnusmäßige Neuwahl der Abgeordneten und eines Drittels der Senatoren. Drei verschiedene Untersuchungsausschüsse wurden angekündigt: je einer vom Senat, vom Abgeordnetenhaus und vom Weißen Haus - was als kleine Sensation galt, da Präsident Bush so gut wie nie Fehler eingesteht.

Maßnahmen gegen Naturkatastrophen sind in den USA zunächst Aufgabe der Einzelstaaten. Wenn absehbar ist, dass eine außergewöhnliche Bedrohung sie überfordert, wie das bei Hurrikanen in den Südstaaten regelmäßig geschieht, können sie den Ausnahmezustand erklären und Bundeshilfe anfordern. Der Bund hat eine eigene Katastrophenschutzbehörde (Fema). Bush integrierte sie nach den Terroranschlägen 2001 in das neue Mammutministerium für Heimatschutz.

In bestimmten Personalpaarungen sind Kompetenzgerangel und parteipolitischer Streit deckungsgleich - offen wurden sie zwischen dem Republikaner Bush und der Demokratin Blanco ausgetragen. Beim ersten Besuch an der Küste Freitag vor einer Woche trat Bush zunächst nur mit den Gouverneuren von Alabama und Mississippi vor die Presse, beide Republikaner. Die beiden schärfsten Kritiker der späten Bundeshilfe, Bürgermeister Nagin und Gouverneurin Blanco, traf er erst in New Orleans.

Bei der zweiten Reise am Montag wehrte Blanco sich erbittert gegen Bushs Vorschlag, alle Hilfe und alle Truppeneinsätze auf Bundesebene zu koordinieren, und weigerte sich, den Befehl über die Nationalgarde abzugeben. So kommandieren nun zwei Generäle in Louisiana, der eine die dem Pentagon unterstehenden Armeeeinheiten, der andere die Nationalgarde. Sie kommunizieren wenig - am ehesten noch, wenn Bush und Blanco gemeinsam die Region besuchen und die beiden an einen Tisch setzen. Blanco hat auch einen eigenen Ratgeber für die zivile Hilfe ernannt: Lee Witt, er war unter Bill Clinton Fema-Chef.

Seit Tagen lassen die Gouverneurin und das Weiße Haus interne Korrespondenz durchsickern, um im "blame game", wer woran Schuld trägt, möglichst gut abzuschneiden. Aus den Unterlagen ergeben sich zum Beispiel Widersprüche, ob Kathleen Blanco die Bundeshilfe am Freitag, 26. August, oder erst am Sonnabend, 27. August angefordert hat. Erst am Sonntag hatte Bürgermeister Nagin die Zwangsevakuierung angeordnet, zuvor nur die freiwillige Flucht empfohlen.

Präsident Bush hat die Bundeskatastrophenhilfe mittlerweile von zunächst elf auf 52 Milliarden Dollar erhöht. Jede evakuierte Familie soll zunächst 2000 Dollar (1600 Euro) Soforthilfe bekommen, um das Nötigste zu kaufen.

(Von Christoph von Marschall, Washington)

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