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Theodore Roosevelt (Mitte) 1906 bei der Besichtigung der Baustelle des Panamakanals.

© picture alliance / Everett Colle

Nicht aus dem Kopf zu bringen: Wo kommt der Panamahut her? Doch nicht etwa aus Panama?

US-Präsident Theodore Roosevelt trug den Hut 1906 bei der Besichtigung der Baustelle des Panama-Kanals. Die Geschichte eines großen Irrtums.

Von Michael Schmidt

„Roosevelt ist schuld“, sagt Maria. Theodore Roosevelt? Der alte Teddy? Ja, genau der, sagt die 21-Jährige und ist, so scheint es, echt sauer. Gerade hat sie, die sich mit Museums-Führungen ein kleines Taschengeld verdient, hier, am Äquator in Ecuador, den Besuchern gezeigt, wie die Regenwald-Indios Schrumpfköpfe machen. Jetzt werfen alle einen Blick in den Hut-Shop. Ecuador hat nicht viele Exportschlager. Öl gehört dazu, Rosen, Bananen und Garnelen auch. Der weltweit berühmteste aber, das ist's, was Maria so erzürnt, kursiert unter falschem Namen. „Panamahut? Mit Panama hat unser Hut rein gar nichts zu tun!“

Das stimmt.

Also – weitgehend jedenfalls.

Die Wunde, Marias teils gespielter, teils aufrichtiger Wutausbruch zeigt es, sitzt tief. Manch ecuadorianischer Hutflechter spricht von einer nationalen Schmach. Von einer Fehlzuschreibung, die Günther Jauch Stoff für eine 1000-Euro-Frage an einen Kandidaten auf dem Weg zum Millionär abgeben könnte: Wo kommt eigentlich der Panamahut her? Dann wär es gut einen Telefonjoker in Ecuador zu haben, wie eine Kollegin im "Merian" einst schrieb.

Richtig ist: Entgegen anders lautender Gerüchte ist Ecuador die einzig wahre Heimat der luftig-leichten und geschmeidigen Kopfbedeckung. Die wird aus der Toquilla-Palme gemacht, und die ist endemisch, will sagen: Sie wächst nur an der Westküste des Andenstaates. In den Dörfern rund um das Städtchen Montecristi, 200 Kilometer nördlich der Hafenstadt Guayaquil, werden aus den Fasern der Palme seit mehr als 300 Jahren die berühmtesten Hüte der Welt geflochten. Der französische Kaiser Napoleon III. hatte einen, Politiker wie Harry S. Truman, Winston Churchill und Erich Honecker auch, für Atatürk war er das Symbol des modernen Mannes, der Schriftsteller Ernest Hemingway liebte ihn, den Schauspieler Paul Newman sah man im Sommer nur selten oben ohne.

Seltene Faser. Eine Hutflechterin mit ihrer Familie. Über keine Kopfbedeckung gibt es solche Missverständnisse wie über den Panamahut.
Seltene Faser. Eine Hutflechterin mit ihrer Familie. Über keine Kopfbedeckung gibt es solche Missverständnisse wie über den Panamahut.

© REUTERS

Wie aber kam es zu dem Missverständnis? Sprachlich auf die falsche Spur geschickt wurde die Welt erstmals 1855, als der für Napoleon III. gedachte sombrero de paja toquilla in Panama eingeschifft wurde – woraufhin man in Frankreich annahm, der mittelamerikanische Staat sei auch das Herkunftsland des Huts. Die falsche Annahme verbreitete sich geradezu viral, weil auch alle Exporte aus Südamerika in die USA in Panama gesammelt und mit einem Zollstempel versehen wurden. Dann festigten Goldgräber den Irrtum, indem sie sich mit dem geflochtenen Sonnenschutz von Panama aus auf den Weg nach Kalifornien machten. Schließlich trugen jene Arbeiter den Strohhut gern und oft, denen um die Jahrhundertwende auf den Baustellen des Panamakanals die Tropensonne auf den Schädel brannte. Alle Bemühungen, den Irrtum aufzuklären, machte schließlich US-Präsident Theodore Roosevelt zunichte, als er bei einer Kanalbesichtigung 1906 im heißen Klima kühlen Kopf bewahren wollte: Das Pressefoto seines Auftritts an dem Jahrhundertbauwerk ging um die Welt. Das größte Missverständnis der Bekleidungsgeschichte – es ist seither kaum mehr aus den Köpfen zu bekommen.

Hierzulande hatte der Hut mit dem falschen Namen seinen wohl prominentesten Auftritt am 20. Juni 2006. Daran erinnert Peter Korneffel in seinem „Dumont Reise-Handbuch: Ecuador". Fußball-WM. Deutschland gegen Ecuador. Im Berliner Olympiastadion, in der Westkurve am Marathontor, hofften ein paar tausend Südamerikaner auf ein Wunder. Das blieb aus. Schweinsteiger und Co. gewannen 3:0. Was blieb, war das Bild tausender Fans unter hellen Strohhüten mit breiten Krempen und schwarzen Bändern: Für das größte Medienspektakel der Sportgeschichte des Andenlandes hatte Ecuadors Tourismusminister 30 000 Stück einfliegen lassen. Das historische Zentrum der ecuadorianischen Hutproduktion ist Montecristi, eine Kleinstadt, die aus nicht viel mehr als zwei Straßen besteht, von Händlern gesäumt, die ihre Ware in allen Farben, Formen und Qualitätsabstufungen anpreisen. Hier schneiden sie die jungen Palmblätter mit der Machete, striegeln sie und kochen sie in Wasser weich und weiß. Danach wird das Stroh auf Wäscheleinen zum Trocknen in den Hof gehängt und schließlich geflochten. Je feiner Fasern und Flechtung, desto teurer wird der Hut. An einem Exemplar mittlerer Qualität arbeitet eine Frau etwa zwei Tage. Einen „Superfino“ herzustellen, einen Hut der allerfeinsten Güte, das dauert schon einmal ein paar hundert Stunden. Was in der Praxis heißt: mehrere Monate, denn mehr als drei bis fünf Stunden pro Tag lässt sich das Flechten kaum durchhalten. Entsprechend teuer ist das einzelne Exemplar. Die feinsten Panamahüte werden auch heute noch von Königshäuptern getragen – die bezahlen Preise von bis zu 10 000 Euro pro Hut.

Schon länger aber haben junge Ecuadorianer kein Interesse mehr an der Herstellung von Panamahüten. Zu lange wurden die Hutflechter von Mittelsmännern ausgebeutet. In den letzten Jahren wanderten zudem viele tausend in die USA oder nach Spanien aus. Industrielle Billigware aus China macht den Exporteuren aus Ecuador schwer zu schaffen. Die Arbeit ist körperlich hart, die Bezahlung reicht kaum zum Leben. 2003 brachte es, wie Korneffel berichtet, eine Studie der Ecuadorianischen Vereinigung zur Exportförderung (Corpei) ans Licht: Das aufwendig bearbeitet Palmstroh verlässt die Toquilla-Küchen für nur 0,10 bis 0,20 Dollar pro Materialsatz für einen Hut. Die Zwischenhändler kaufen die Palmfasern auf und veräußern sie für 0,30 bis 0,40 an die Hutflechterinnen. Diese verkaufen die fertigen Hüte für drei bis vier Dollar an die „Broker“, die ihn wiederum für fünf bis acht Dollar exportieren. Corpei ermittelte diese Werte für einen Hut mittlerer Qualität, der in den USA einen Verkaufspreis von 50 bis 200 Dollar erzielt. Die Superfinos erreichen Ladenpreise von 1000 Dollar.

Die Studie rief zahlreiche Kooperativen und Handelsorganisationen auf den Plan. Die versuchen seither, Zwischenhändler und Broker auszuschalten und eine faire Entlohnung für die schwere Handarbeit zu sichern. Auch das deutsche Hilfswerk Brot für die Welt unterstützt den fairen Handel mit Panamahüten – indem es Flechterinnen in Panama unter die Arme greift, die die ecuadorianische Kunst kopieren und von dem irreführenden Namen profitieren. Wenn das Maria wüsste.

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