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Panorama: Nicht einmal Zeit zum Schreien

Elke Windisch, Moskau Die Bilder sind nichts für schwache Nerven und der russische Privatsender NTW riet Eltern, ihre Kinder zum Spielen auf den Hof zu schicken. Die Kamera hatte den haarlosen, blutüberströmten Schädel eines Mannes im besten Alter eingefangen, von dem sich die Kopfhaut in Fetzten schälte.

Elke Windisch, Moskau

Die Bilder sind nichts für schwache Nerven und der russische Privatsender NTW riet Eltern, ihre Kinder zum Spielen auf den Hof zu schicken. Die Kamera hatte den haarlosen, blutüberströmten Schädel eines Mannes im besten Alter eingefangen, von dem sich die Kopfhaut in Fetzten schälte. Weit aufgerissene Augen, die nicht begriffen, was vor sich geht, starrten dem Zuschauer entgegen. Andere Opfer wälzten sich mit vor Schmerz verkrümmtem Körper im Staub und schrieen laut um Hilfe. Über Ambulanzen rasten mit Blaulichtern zum Ort der Tragödie. Opfer mit besonders schlimmen Verbrennungen wurden mit Hubschraubern in Spezialkliniken in der gesamten Ukraine geflogen. Russische TV-Reporter wollen mindestens 20 Notarzt-Teams gezählt haben. Gut doppelt so viele Löschzüge waren bis zum späten Abend im Einsatz.

66 Tote und viele Verletzte, das ist die erste Bilanz der Tragödie, die sich gestern am frühen Nachmittag in der westukrainischen Gebietshauptstadt Lwiw, früher Lemberg abspielte, als bei einer Flugschau ein Kampfjet abstürzte. Experten gehen indes von weitaus höheren Opferzahlen aus. Noch könne man sich wegen des Brandes und der starken Rauchentwicklung, die sogar unter den Rettungsmannschaften für Ohnmächtige sorgte, kein genaues Bild vom Ausmaß des Dramas machen.

Dabei deutete an diesem schwülen Sommertag auch nicht das geringste auf eine Katastrophe hin. Wie seit Tagen schon spannte sich ein blauer Himmel wolkenlos über das Flugfeld Skniliw nahe bei Lwiw. An diesem Samstag das Wochenend-Ausflugsziel für die halbe Stadt. Seit Tagen schon hatten lokale Medien für die Feierlichkeiten zum 60 Jahrestag der Gründung des 14. Fliegerverbandes der ukrainischen Luftstreitkräfte geworben. Lwiw feierte an diesem Samstag zudem den 58. Jahrestag der Befreiung durch die Rote Armee. Fliegerasse, darunter mehrere Sieger internationaler Wettbewerbe sollten ihr Können bei Loopings und anderen schwierigen Kunstflugfiguren demonstrieren. Nach der Flugschau hatten sich außerdem Fallschirm-Asse der Luftlande-Einheiten zum Gruppensprung angesagt. Außerdem sollte es billiges Essen aus der Gulaschkanone geben und so mancher Familienvater hoffte auf Freibier. Die Kinder sollten zudem die Möglichkeit haben, sich in richtigen Flugzeugen zwecks Foto an den Steuerknüppel zu setzen. Wer immer konnte, war daher schon am Vormittag aufgebrochen: Rechtzeitiges Erscheinen sichert gute Plätze. Die Show hatte kaum begonnen, als aus dem Fest ein Drama wurde: ein SU-27 löste sich aus dem gerade gestarteten Pulk, wurde immer größer und raste wie der Erde entgegen. Entsetzt verfolgten die Zuschauer, wie beide Piloten, von denen Experten vermuten, sie dass sie die Gewalt über das Flugzeug verloren haben, sich per Schleudersitz aus der Kabine katapultierten. Sie hätten nicht einmal mehr schreien können, berichteten sichtliche geschockte Augenzeugen, die mit dem Schrecken davongekommen waren, vor russischen Kameras. Kein Wunder, denn nach Bruchteilen von Sekunden krachte die führerlose Maschine auf eine Zuschauertribüne mit 5000 Plätzen und explodierte dort.

Mehrere Augenzeugen behaupten, sie hätten gesehen, wie der Jet beim Tiefflug über die Piste des Flughafens eine abgestellte Maschine gestreift hat. Offizielle wollten zu den Unglücksursachen vorerst keine State- ments abgeben. Inzwischen wurde ein Regierungskommission eingesetzt, die dazu ermitteln soll. Auch der Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, traf kurz nach dem Drama mit einer Sondermaschine am Ort der Katastrophe ein. An der Flugschau waren die modernsten Kampfflugzeuge, die es momentan in den Nachfolgestaaten der UdSSR gibt, beteiligt - Jäger der Typen MiG-29 und SU-27. Die Ty- penbezeichnung hat mit Sowjetunion allerdings nichts zu tun, sondern erklärt sich durch den Familienn des Chefkonstrukteurs Suchoi. Beide Flugzeuge werden in Russland gebaut und gehören außerdem zu den Exportschlagern des staatlichen Rüs- tungsexporteurs ROSSOBORO-NEXPRT, der mit beiden Typen seit Jahren auf internationalen Fachmessen für Furore sorgt.

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