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Panorama: Nicht mit Krebs verbunden

Sind Handys schädlich? Eine neue Studie sagt Nein. Aber die Angst bleibt trotzdem

Manchmal kann eine einfache Zahl Angst auslösen. Die Prozentzahl 39 zum Beispiel. Schon klar, „39 Prozent“ alleine reicht noch nicht, um uns in Angst und Schrecken zu versetzen und unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Dazu muss man schon noch ein Wort wie „Krebs“ fallen lassen, und um ganz sicherzugehen, fügt man am besten ein weiteres Wort hinzu: „Handystrahlung“.

So. Jetzt ist sie da, die Aufmerksamkeit. Oder?

Wie gestern, als es irreführend hieß: Wer mehr als zehn Jahre häufig mit dem Handy telefoniert, erhöht seine Gefahr für einen Hirntumor um 39 Prozent. „Handys können Krebs auslösen“, titelte daraufhin die „Süddeutsche Zeitung“. Die angegebene Quelle der Nachricht war das seriöse Fachmagazin „International Journal of Cancer“. Ein Team um die Forscherin Anna Lahkola von der finnischen Strahlenschutzkommission hatte 1522 Patienten mit einem Gliom – einem Tumor der Stützzellen des Gehirns – befragt und war dabei angeblich auf den Schreckensbefund gestoßen.

Wer dann allerdings einen Blick auf diese Studie warf, sah sich schon nach wenigen Sätzen mit folgender nüchterner Feststellung konfrontiert: „Wir fanden keinen Nachweis für ein erhöhtes Risiko im Zusammenhang mit regelmäßigem Mobiltelefon-Gebrauch.“

Und „spiegel-online“ berichtete gestern, die Forscher dieser Studie könnten über die Titelzeile der „Süddeutschen Zeitung“ nur den Kopf schütteln: „Unsere Studien haben das Gegenteil gezeigt“, zitiert „spiegel-online“ die an der Studie beteiligte Forscherin Helle Christensen.

Was stimmt denn nun? Sind Handys gefährlich oder nicht? Um diese Frage zu beantworten, startete man im Herbst 2000 in 13 Ländern eine groß angelegte Studie („Interphone-Studie“), mit der ein für alle Mal geklärt werden sollte, welche Gefahr Handys ausstrahlen – die nun vorgelegte Untersuchung ist Teil dieser Anstrengungen. Sie umfasst die Daten von 1522 Tumorpatienten aus Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen und Großbritannien. Die Forscher befragten die Patienten danach, seit wann sie ein Handy hatten und wie oft sie telefonierten. Die gleichen Fragen legten sie einer Gruppe von Gesunden vor. Das Resultat: Es zeigte sich kein Zusammenhang zwischen Handy-Gebrauch und Krebsrisiko. Es war also nicht so, dass die Patienten mehr telefoniert hatten als die Gesunden, im Gegenteil: Wer telefoniert, hat statistisch sogar ein leicht geringeres Tumorrisiko!

Zu diesem sonderbaren Schluss war man bereits kürzlich in einer der größten Studien zum Thema gekommen. Dazu hatten Forscher um Joachim Schüz vom Institute of Cancer Epidemiology in Kopenhagen gut 420 000 Handy-Nutzer auf ihre Krebsrate hin untersucht. Auch hier zeigte sich, dass das Krebsrisiko bei Handy-Nutzern eher geringer als üblich ausfällt – ein Befund, der die Forscher vor ein Rätsel stellt. Womöglich pflegen Handy-Nutzer einen gesünderen Lebensstil als Abstinenzler? Wie dem auch sei: Zahlreiche Studien haben inzwischen bestätigt, dass von Handy-Strahlung keine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit ausgeht. Woher also diese Angstzahl mit den 39 Prozent?

Das Beispiel zeigt, wie ein höchst zweifelhaftes Teilergebnis einer insgesamt seriösen Studie von den Medien herausgepflückt wird und sich verselbstständigt.

Tatsächlich ist in der Interphone-Studie die Rede davon, dass das Tumorrisiko bei Handynutzern um 39 Prozent erhöht ist, allerdings nur, wenn man berücksichtigt, auf welcher Kopfseite sich der Tumor befindet. Wie kann das sein, wenn das Tumorrisiko bei Handynutzern insgesamt nicht erhöht ist? Die Antwort führt in eine vertrackte Statistik, wie der Experte Schüz, der am Deutschland-Teil der „Interphone-Studie“ beteiligt ist, dem Tagesspiegel erklärte. Fragt man Patienten, auf welcher Kopfseite sie ihr Handy meist hielten, so zeigt sich, dass die Leute unbewusst dazu neigen, die Erinnerung zu verändern: „Sie meinen oft, sie hätten ihr Handy an der Kopfseite gehalten, wo sich auch der Tumor befindet.“

Da aber die Tumorrate bei den Handynutzern insgesamt nicht größer ist als bei den Nichtnutzern, müsste Handygebrauch auf kuriose Weise dazu führen, dass Tumoren auf der anderen Seite des Kopfs weitaus weniger vorkommen als im Schnitt. „Das ist biologisch unplausibel“, sagt Schüz und sieht den Grund in der Erinnerungsverzerrung. Dazu passt, dass die Tumorpatienten häufiger unter Gedächtnisschwierigkeiten leiden. „Das sind schwerwiegende methodische Bedenken“, so das Fazit des Epidemiologen.

Somit besteht nach wie vor kein Hinweis darauf, dass Handystrahlung zur Tumorbildung führt – wobei natürlich mit dieser Studie nicht das letzte Wort gesprochen ist. Das gravierendste Problem liegt nämlich in der Zeit: Es könnte durchaus sein, dass sich die Folgen der Handystrahlung erst nach Jahrzehnten offenbaren. Das ist möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich. So beeinflusst Handystrahlung, wie sich kürzlich in einer Studie im Fachblatt „Annals of Neurology“ gezeigt hat, zwar nachweislich die Hirnzellen – aber eher kurzfristig. Außerdem sind Handywellen, im Gegensatz zu Röntgenstrahlung, schwach und harmlos. Für die Angst freilich reicht es allemal.

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