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In Kapseln: Süßigkeiten, Spielkram - oder halt Kunst für ein paar Cent. Die Kaugummi-Automaten werden noch gebraucht.

© Antonia Lange/dpa

Nicht nur Kaugummis und Zigaretten: Neues Leben für alte Automaten

Verkaufsautomaten werden kreativ genutzt - für Alltagsbedarf oder Kunst. Manche werden selber Kunst. Eine Überlebensprognose.

Er weckt Kindheitserinnerungen, ist meist verrostet und mit Stickern beklebt. Am Kaugummi-Automat haben viele ihre ersten Kauferfahrungen gesammelt. Für zehn Cent bekommt man auch heute noch eine daumengroße, bunte Kugel, die im Mund zur klebrig-süßen Kaumasse wird. Für 20 Cent Plastikschmuck, für 30 oder 50 Cent sogar Spielwaren in Kapseln.

Der Kleinkram-Spender ist Kult, mittlerweile sogar schon Retro. Und so schön es auch ist, auf einen dieser meist roten Kästen zu blicken und sich vorzustellen, es hätte sich nichts verändert – die Automaten haben ihre besten Zeiten bereits lange hinter sich.

Noch vor dreißig Jahren hat die Maschine ihren Betreibern das nötige Kleingeld eingebracht. „Das ist heute anders“, weiß Paul Brühl. Er ist Geschäftsführer vom Verband der Automaten-Fachaufsteller (Vafa) im rheinländischen Langenfeld. Der Überlebenskampf sei schwer, auf den Maschinen-Betreibern laste viel Druck, sagt Brühl dem Tagesspiegel.

Automatenaufsteller suchen neue Inhalte

Was früher beliebt und neu war, ist heute alt und vergessen. „Viele meinen: Großvater hat schon Kaukugeln verkauft, Vater auch, also mache ich das Gleiche“, sagt Brühl. Doch das funktioniere so nicht mehr. Der Markt sei mittlerweile durch die Großhändler von Süßkram überschwemmt. Wer im Geschäft bleiben wolle, müsse kreativ werden und den Kunden etwas Neues bieten.

Eine kreative Idee hatte Lars Kaiser. Er befüllt Automaten nicht mit Kaugummi, sondern mit Kunst. Ab zwei Euro bekommt man aus seinen Automaten kleine Kunstüberraschungen wie Bilder, Objekte und Zeichnungen aus verschiedenen Materialien. Die sind zusätzlich mit einem Beipackzettel versehen, der einen kleinen Einblick in das Leben und Werk des Schöpfers geben soll. „Es geht darum, Menschen und Künstler zu vernetzen“, sagt Kaiser dem Tagesspiegel. „Durch einen Automaten an der Straßenecke hat man die Möglichkeit, Kunst in das tägliche urbane Leben zu integrieren.“

Seinen Anfang machte das Projekt bereits 2001 in Berlin. „Damals gab es so etwas noch nicht. Natürlich haben Künstler auch zuvor mit Automaten gearbeitet, aber nicht in dieser Form“, erklärt Kaiser. Der erste Kunstautomat stand in der Eberswalder Straße, in Potsdam kamen schnell weitere dazu. Seine Idee kommt an: Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland rund 160 Kunstautomaten, 35 stehen alleine in Berlin und Potsdam und 200 Künstler sind bereits an dem Projekt beteiligt.

Trotzdem bleibe die Arbeit mühselig. „Es ist es unglaublich schwer, auf diesem Markt so etwas wie einen Aufschwung zu erleben“, weiß Brühl. „Betreiber arbeiten oft 70 Stunden die Woche.“ Das bekommt trotz seines Erfolgs auch Kaiser zu spüren. Er sucht immer wieder Einrichtungen oder Cafés, die einen seiner Automaten aufstellen wollen. Das ist schwer, obwohl er die Kosten dafür selbst übernimmt. „Aus wirtschaftlicher Sicht lohnt sich das Projekt kaum. Wir machen plus minus null.“

Gewinn lässt sich kaum machen - wegen Vandalismus

Daran ist aber nicht nur die kostspielige Anschaffung der Automaten schuld, sondern auch der Vandalismus. Regelmäßig werden Automaten aufgebrochen, beschädigt oder geklaut. Die Betreiber können sich nicht dagegen versichern und bleiben auf Kosten sitzen. „Das ist ein großes Problem“, sagt auch der Kunstautomatenbetreiber.

Das hält andere jedoch nicht davon ab, weitere Ideen in den verrosteten Kästen umzusetzen. Felix Thome ist gelernter Ingenieur und hat sich mit der Technik der Automaten lange befasst. Er möchte ab April dieses Jahres in Berlin Ersatzteile rund um das Fahrrad verkaufen. Wie Kaiser nutzt er dafür meist alte Zigarettenautomaten. „Da passt mehr rein“, so der Start-up-Gründer. Außerdem seien sie nicht so leicht zu knacken wie herkömmliche Kaugummi-Automaten.

Die Idee kam dem begeisterten Fahrradfahrer, als er des Öfteren wegen einer Panne ungewollt auf seinen Drahtesel verzichten musste. Nachts oder an Feiertagen sei das schnell zum Problem geworden. Die Automaten sollen Berlinern helfen, trotz geschlossener Geschäfte an Ersatzteile zu kommen und die Fahrt fortsetzen zu können.

Sowohl die Technik als auch die Ideen passen sich den Bedürfnissen der Menschen in urbanen Lebensräumen immer besser an. Schon bald könnten deshalb klassische Kaugummi-Automaten der Vergangenheit angehören. Oder überlebt auch hier die Kreativität?

Auch die Automaten selbst werden Kunstobjekte

Der ein oder andere altmodische Kasten bringt es nämlich gerade zur Internetberühmtheit. Der Künstler Max Schwarck fotografiert alte Berliner Automaten und lädt seine Aufnahmen bei Instagram hoch. Online verkauft er seine Fotografien als Postkarten und Poster. Seiner Meinung nach sind die bemalten Kästen „Zeichenspeicher der Stadtkultur“ und keineswegs dem Untergang geweiht. Gemeint sind die vielen Aufschriften und Kritzeleien, die sich über die Jahre dort angesammelt haben. Auf seiner Website spricht er von einem „Wimmelbild kultureller Botschaften“.

Was der Automatenaufsteller empört als Sachbeschädigung bezeichnet, stört Kaiser wenig – im Gegenteil: „Kunst beginnt auf der Straße. Es ist eine Art der Kommunikation.“ Auch seine Kunstautomaten werden regelmäßig bekritzelt. „So lange man noch Geld einwerfen kann und nichts beschädigt wird, macht es mich stolz“, sagt Kaiser. „Die Straße gehört allen.“ Die nostalgischen Schachtautomaten beflügeln offenbar die Fantasie von vielen – und das ist vielleicht deren Überlebenschance.

Vivian Kübler

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