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Panorama: Nie ohne Suchgerät

Freeride, das Skifahren abseits der Pisten, wird immer beliebter – aber es ist nicht ungefährlich

Berlin - Schneekristalle glitzern in der Sonne. Der Abhang neben der Piste ist unberührt, keine Spur zerpflügt das Gelände. Sanft federn die Skier über den Pulverschnee: Es ist fast wie Fliegen. Vor ein paar Jahrzehnten sprach man noch vom Tiefschneefahren. Inzwischen heißt das „Freeride“, und die Wintersportregionen Europas haben das Schwingen abseits der Pisten als neuen Trend entdeckt. Immer mehr Fremdenverkehrsämter werben mit so genannten Off-Piste-Varianten: zurück zur Natur. Immer mehr Skischulen bieten „Freeridekurse“ an, und Firmen buchen Pulverschnee-Events als Anerkennung für engagierte Mitarbeiter. Kaum ein Wintersportkatalog, auf dem sich nicht eine dick vermummte Gestalt durch tiefen Neuschnee fräst. Nur mit Abfahrten auf planiertem Hang kann kaum eine Schneesportregion noch punkten. Der neue Wintertrend kommt zudem durch die Sportartikel-Industrie ins Rutschen: „Freeride“-Skier sind Varianten der Carvingski – mit breiterer Lauffläche und hoch aufgebogener Spitze. Das gibt Auftrieb im tiefen Weiß abseits der konventionellen Abfahrten.

Doch Freeriden ist nicht ungefährlich. Hans Aitenbichler, Betriebsleiter der Bergbahnen im österreichischen Skigebiet Krippenstein im Salzkammergut, erinnert sich noch an „diesen jungen Burschen, der im Karstgelände in ein tiefes Loch gefallen ist. Die Schneewehe darüber ging ab und hat ihn verschüttet“. Dem Urlauber aus Deutschland hätte das Leben gerettet werden können, meint Aitenbichler. Doch seine Freunde unterschätzten die Gefahr. Sie informierten die Bergrettung zu spät. „Das war dramatisch“, sagt Aitenbichler.

Touristen aus Großstädten und Flachlandregionen wüssten zu wenig über das Gelände, zu sorglos stürzten sie sich Hänge hinunter, wedelten zwischen Bäumen und durch Schluchten. Bergbahn-Chef Aitenbichler kennt seine Kundschaft. Schließlich gehört die Skiregion Krippenstein am Rücken des Dachsteins zu den führenden Off-Piste-Regionen Europas. „Vor sieben Jahren sollte das Gebiet mangels Nachfrage schon dicht gemacht werden“, sagt Heli Putz, Chef der ortsansässigen Wintersportschule „Outdoor-Leadership“. Das Konzept Freeriden hat letztlich das Überleben des Wintersportorts gesichert. Denn Krippenstein hat sich als Dorado für Tiefschneefans einen Namen gemacht – und sich auch so benannt: „Freeride Arena Krippenstein“. Rund 13 Kilometer markierte und präparierte Skipisten gibt es am Dachstein – und über 30 Kilometer Varianten. Sprich: Gelände neben der präparierten Piste, das man befahren darf: auf eigene Verantwortung, aber gut ausgeschildert. Schon unten im Ort kann man sich auf Hinweistafeln über Hangbeschaffenheit, Schneeverhältnisse und Schwierigkeitsgrad informieren. Auch der höchstgelegene Skiort Österreichs, das Kühtai, bietet zahlreiche Tiefschneeabfahrten rund um den Kühtaisattel.

In Deutschland zählt neben dem Stubaier Gletscher der Arlberg mit dem „Hinteren Rendl“ und den Abfahrten vom Albonagrat zu den bekanntesten Tiefschneeparadiesen. Auch in der Schweiz gibt es Freeride-Zentren, wie in Verbier – die meisten dürfen aber nur mit Bergführer befahren werden. In den USA gibt es solche Off-Road-Strecken für abenteuerlustige Brettlfans schon lange, etwa in Vail in den Rocky Mountains. Blue Sky Basin heißt das raue Gelände dort mit „Champagne Powder“. So nennen die Amerikaner den für seine Trockenheit berühmten Pulverschnee. Heli Putz kennt diese Hänge. Er hat lange als Double in Bogner-Filmen gearbeitet. Zudem pflügt er in immer mehr Werbespots etwa für Autofirmen als Freerider Kurven in unberührten Schnee und springt meterhohe Felsvorsprünge hinab. Derzeit organisiert er die nächsten Freeride-Rennen in Krippenstein.

Tiefschneeprofis berücksichtigen die Tipps der Freeride-Trainer: Fahre nur abseits der Piste, wenn keine Lawinengefahr besteht, sich das Gelände dafür eignet und nicht gesperrt ist. Zur Ausrüstung sollte ein Verschütteten-Suchgerät gehören, am besten zusätzlich mit Lawinen-Airbag. Jeden Trip genau planen, mit Einheimischen und Wetterkundigen. Trotzdem: Den Steinhaufen unter der Schneedecke verzeichnet keine Skikarte.

Annette Kögel

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