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Hannover. Kann diese Stadt denn Sünde sein?

© picture alliance / dpa

Niedersachsen: Hannovers Kampf ums Image

Die Stadt gilt als langweilig – und das schon seit 150 Jahren. Die Bewohner hadern, können aber damit leben.

Die Kritik klingt hart: Leidenschaftslos, unpersönlich, eintönig, langweilig, provinziell – so sei Hannover. Diese Bestandsaufnahme ist keineswegs neueren Datums; die Historikerin Vanessa Erstmann hat sie bei den Arbeiten für ihre Doktorarbeit in Reiseberichten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckt. Zuvor war 1866 der Königssitz durch die Annektierung zur preußischen Provinz- Hauptstadt degradiert worden.

Flair bekam die Stadt auch später nicht. Als „Paradies des Mittelstandes, der Bemittelten und jeder Mittelmäßigkeit“ beschrieb Anfang der 30-er Jahre der Philosoph und Journalist Theodor Lessing seine Heimatstadt. „Hannover liegt zwar nicht am Arsch der Welt, aber man kann ihn von dort aus ziemlich gut sehen“, ätzte vor wenigen Jahren Satiriker Harald Schmidt – nachdem er allerdings dort einen missglückten Auftritt im Theater am Aegi hingelegt haben soll.

Die Bewohner finden ihre Stadt insgeheim schön, trauen sich das aber nicht so laut zu sagen. Wahrscheinlich weil die Wahrheit etwas anders aussieht?

Ein bisschen scheint die Stadt die Wahrheit zu kennen, sonst würde sie nicht so bemüht um ein anderes Image kämpfen.

Denn so alt wie der schlechte Ruf der Stadt ist auch der Versuch, diesen aufzupolieren. 1883 gründete sich der „Verein für Fremdenverkehr und Verschönerung der Stadt Hannover“ und startete laut Historikerin Erstmann eine „bisher so nicht gekannte systematische Imagearbeit“ für die Stadt, der es an natürlichen Attraktionen wie Küste oder Berge fehlte. Das mit der fehlenden Küste und den fehlenden Bergen ist eine alte Ausrede und Entschuldigung. Immerhin: Die ersten gedruckten Reiseführer rühmten die Parkanlagen. 1912 tauchte dann der Slogan „Großstadt im Grünen“ auf, berichtet die 29-jährige Forscherin.

Tatsächlich verfügt Hannover noch heute im Vergleich zu anderen Großstädten mit 46 Prozent über einen einzigartig hohen Anteil an Grünflächen. Hannover war denn auch 1951 erster Gastgeber einer Bundesgartenschau. Es ist laut Eigenwerbung nicht die einzige Vorreiterrolle der „Leine-Metropole“. Hier gab es angeblich den ersten großen Flohmarkt der Bundesrepublik, hier stieg das erste Altstadtfest. Hier wirkte – bundesweit einmalig – mit Mike Gehrke zwischen 1972 und 2004 ein städtisch bestellter und bezahlter Imagepfleger. Den meinte die Stadt zu brauchen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ergriff das völlig zerbombte Hannover 1947 die von der britischen Besatzungsmacht angebotene Chance, binnen weniger Monate eine Export-Messe auf die Beine zu stellen. Damit begann der Aufstieg zu einem der weltweit wichtigsten Messestandorte. Hamburg, Düsseldorf und Köln trauten sich damals nicht, Hannover hatte dagegen nichts zu verlieren und bekam bei dieser Gelegenheit noch ein größeres Rotlichtviertel.

In den 50-er Jahren feierten die Medien die Landeshauptstadt wegen ihres ausgeklügelten Systems an Ring- und Schnellstraßen als „autogerechte Stadt“. Diesen Orden will heute niemand mehr haben, aber damals wähnte sich Hannover an der Spitze des Fortschritts.

Die Image-Umfragen wurden auch im Laufe der Zeit nicht besser. „Öde, spießig und kühl“, lautete das Ergebnis einer Image-Studie aus dem Jahr 1969. Die Stadtoberen waren erneut alarmiert, sorgten sich um den Wirtschaftsstandort. Neben dem Altstadtfest, auf das die Stadt so stolz war, sollte vor allem Straßenkunst für Abhilfe sorgen. Doch die „Nanas“, die bunten Figuren von Nike de Saint Phalle, lösten zunächst erheblichen Unmut aus und wurden mit Schmierereien verziert. Aber im Laufe der Zeit wurden die Skulpturen ebenso wie das nach seiner Eröffnung 1913 zunächst angefeindete Neue Rathaus mit der markanten Kuppel zu einer beliebten Attraktion für diejenigen Touristen, die Hannover besuchen.

Die meisten Bewohner selbst fühlen sich nach allen Umfragen wohl in Hannover, mögen sich aber nicht so recht mit ihrer Stadt identifizieren. Für die Historikerin ist das auch eine Folge der vielen Rückschläge in Hannovers Geschichte. Doktorandin Vanessa Erstmann, selbst gebürtiges Stadtkind, rät den Hannoveranern denn auch zu mehr Selbstbewusstsein und Stolz. „Wir müssen doch nicht so bescheiden sein.“ Hans Christian Nolte, Chef der Hannover-Marketing-Gesellschaft, sagt das, was sein Beruf ihm vorschreibt. Er verstehe das ganze Gemeckere über Hannover nicht, sagt er. 2,1 Millionen Übernachtungen mit steigender Tendenz sprächen für sich; in keiner anderen Stadt gebe es im Sommer so viele attraktive Veranstaltungen. Den Feuerwerkwettbewerb oder das Maschseefest, zum Beispiel. „So langweilig kann es hier also doch gar nicht sein.“

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