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Panorama: Nur sicher ist sicher

Kann man Sexualstraftäter heilen? Experten unterscheiden zwei Gruppen

„Bei sadistisch veranlagten Sexualstraftätern ist Sicherung die erste Pflicht“, sagt Nahlah Saimeh. Das betreffe etwa fünf Prozent der Sexualverbrecher. Doch die ärztliche Direktorin am Westfälischen Zentrum für forensische Psychiatrie in Lippstadt, eine der größten derartigen Einrichtung in Deutschland, plädiert für eine differenzierte Sicht. Bei vielen Sexualstraftätern sei eine Verhaltensänderung durch Therapie möglich. „Nicht jeder Täter, der ein Sexualdelikt begeht, gehört für immer weggesperrt“, sagt sie.

Saimeh teilt die Sexualstraftäter in zwei große Gruppen ein. Einmal diejenigen, die aus Frust oder Wut handeln. Ihr sexuelles Muster ist ansonsten normal, die Tat bedeutet ein Ventil für aufgestauten Ärger. Etwa in Lebenskrisen, nach einer Trennung möglicherweise gekoppelt mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. Hier kann Therapie helfen, die Verantwortung für die Tat zu übernehmen, die Augen zu öffnen. „Man muss die Tat als so schlimm erkennen, wie sie war“, sagt Saimeh.

Dann sei die Prognose günstiger als bei Tätern mit gestörter sexueller Entwicklung. Die sich etwa zu Kindern hingezogen fühlen. Wenn diese Fixierung bereits in der Pubertät begonnen habe, sei eine solche Einstellung später praktisch nicht mehr zu ändern. „Aber nicht jeder wird zum Straftäter“, sagt Saimeh. Pädophile könnten durch Therapie sehr wohl lernen, ihre sexuelle Neigung zu beherrschen. So können Pädophile lernen, Gefahrensituationen zu erkennen und ihnen auszuweichen. Etwa den Kontakt mit Kindern meiden. Den Bus nehmen, der nicht am Spielplatz vorbeifährt, auch wenn es einen Umweg bedeutet. Nur abends ins Schwimmbad gehen, wenn sich keine Kinder mehr dort aufhalten. Schlechte Prognosen stellt Saimeh Tätern, die neben der sexuellen Störung eine kriminelle Identität hätten. Die nach dem Motto handeln: Ich nehme mir, was mir gefällt. Bei Menschen mit einer solchen „dissozialen Grundeinstellung“ seien Therapien selten erfolgreich. Dasselbe gilt für die sadistisch veranlagten Täter, bei denen die Gabe von Hormonen zwar den Trieb dämpfen, doch die Gewaltphantasien nicht beseitigen kann. Um welchen Tätertyp es sich handelt, dies können nur erfahrene Gutachter prognostizieren. „Man muss die sexuelle Orientierung, vor allem aber die Umstände der Tat anschauen“, sagt Rudolf Egg, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. So wundert er sich über den mit „14 Seiten“ geringen Umfang des Gutachtens zu Mario M., bevor dieser vorzeitig freigelassen wurde, als er wegen Kindesmissbrauchs in Haft war.

Die Rückfallquote bei Sexualstraftätern beziffert Egg auf 20 Prozent. Dies entspricht etwa der Größenordnung, die in einer kürzlich im „British Medical Journal“ veröffentlichten Studie gefunden wurde. Therapien können demnach zwar die Zahl von Rückfällen verringern. Doch niemand kann sicher sein, dass die Behandelten auch geheilt sind und niemals wieder Sexualverbrechen begehen.

Paul Janositz

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