zum Hauptinhalt

Ölkatastrophe: Golf von Mexiko: Es war die Pest

Ein Jahr nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko erscheint die Natur erstaunlich erholt. An Amerikas Energie- und Förderpolitik sowie der Abhängigkeit vom Öl hat sich wenig geändert.

Wie gut, dass der Jahrestag der Ölpest in die Karwoche fällt, eine Zeit der inneren Einkehr und der Bereitschaft zu – begrenzter – Selbstkorrektur. Vielleicht liegt es auch am amerikanischen Optimismus. Katastrophenszenarien hält diese Nation auf Dauer nicht aus.

Jedenfalls berichten Medien, die in den USA als „links“ und relativ wirtschaftskritisch gelten, dass die Ausbeute an Krustentieren und Fischen im Golf von Mexiko schon lange nicht mehr so gut war. Im Sommer 2010 hatten sie besorgt gefragt, wann man je wieder Krebse und Krabben von der Golfküste der USA werde essen können. Und das „Wall Street Journal“, gewöhnlich ein Organ der Industrieinteressen, schreibt, die Zahl der Arbeitsplätze sei im Jahresvergleich gewachsen. Damals hatte das Blatt der Regierung Obama vorgeworfen, sie bringe die Wirtschaft an der Südküste zum Erliegen, weil sie ein befristetes Moratorium für neue Tiefseebohrungen anordnete und die bestehenden Förderplattformen schärfer überwachte.

Das Ölgeschäft, die Fischerei und der Tourismus bilden die Lebensgrundlage der Familien an der Südküste. Alle drei waren plötzlich zugleich bedroht, nachdem die Ölplattform „Deepwater Horizon“ am 20. April 2010 explodiert war. Elf Menschen starben. Der „Blowout Preventer“, der das Bohrloch in Unglücksfällen verriegeln soll, versagte. In den Folgemonaten strömten 800 Millionen Liter Rohöl aus der Quelle. Erst Anfang August konnte das Leck, das in 1500 Meter Wassertiefe etwa 70 Kilometer vor der Küste lag, endgültig verstopft werden. Es war die schlimmste Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA.

Wie stets nach einem so außergewöhnlichen Ereignis erwarteten auch damals viele, es markiere einen Wendepunkt und werde den Umgang mit der Natur und dem Öl verändern. Die menschlichen Beharrungskräfte sind offenbar stärker. Die Bilanz ist gemischt. Jede Interessengruppe, von der Ölbranche über die Umweltverbände bis zu den Abgeordneten der Region, die von den Bürgern daran gemessen werden, wie viel Geld sie für Entschädigungen, Aufräumarbeiten und Hilfsprogramme locker machen, sucht sich die für sie passenden Daten heraus.

Die Natur hat die Ölpest besser verkraftet als befürchtet, jedenfalls auf den ersten Blick. Tausende Meilen Strand und Marschland waren gefährdet, dazu das einzigartige Ökosystem des Mississippideltas. Heute gelten weniger als hundert Meilen als belastet. Krustentiere und Fische könne man bedenkenlos essen, sagt die nationale Aufsichtsbehörde. Mehrere tausend Vögel, Meeresschildkröten, Delphine und andere Tiere sind verendet. Doch es sind nicht hunderttausende wie in Alaska nach der Havarie des Tankers „Exxon Valdez“ direkt vor der Küste. Auch jetzt werden hier und da Kadaver gefunden sowie Tiere mit Missbildungen und Verfärbungen. Ihre Zahl ist aber nicht auffällig höher als früher.

Gravierende Risiken bleiben. In Alaska und anderswo hat man beobachtet, dass der Fischreichtum erst im dritten Jahr nach einer Ölpest einbrach. Die Folgen der Summe aus der Nahrungskette und den Reproduktionszyklen werden erst mittelfristig sichtbar.

Und was sind die Langzeitfolgen des chemischen Ölbindemittels Corexit, von dem im Laufe mehrerer Wochen acht Millionen Liter versprüht wurden, um die Ausweitung des Ölteppichs auf der Wasseroberfläche zu bremsen? Nie zuvor ist diese chemische Keule in so gigantischer Menge eingesetzt worden. Sie galt als das kleinere Übel – im Vergleich zum Schreckensszenario eines Ölfilms, der tausende Quadratmeilen lückenlos bedeckt, auftauchenden Meeressäugern und landenden Seevögeln keine Überlebenschance lässt und vom Wind in das Marschland getrieben werden kann.

Die Regierung hat umfangreiche Untersuchungen veranlasst mit einer Rekordzahl von Wasserproben aus verschiedenen Bereichen und Wassertiefen des Golfs. Das Öl scheint nahezu verschwunden: abgebaut von Mikroben, denen die wärmeren Wassertemperaturen im Vergleich zu Alaska die Arbeit erleichtern. Aber angesichts der Weite dieses Meers ist es nur ein kleiner Einblick. Kein seriöser Wissenschaftler will komplette Entwarnung geben.

Der Ölkonzern BP, dem das Unglücksbohrloch gehört, musste Milliarden zahlen: für die aufwändigen Operationen zur Schließung des Bohrlochs; für die zeitweise bis zu 47 000 Helfer, die mit Ölbarrieren die Küste schützten und Strände reinigten; für die Entschädigung der Fischer und Tourismusbetriebe. Konzernchef Tony Hayward wurde gefeuert. Die Aktionäre verloren durch den Sturz der Aktie viel Geld. Das alles gilt als abschreckendes Beispiel, das die Branche zu mehr Sorgfalt zwingt.

Andererseits hat sich an Amerikas Energie- und Förderpolitik sowie der Abhängigkeit vom Öl wenig geändert. Die Regierung hat die Ausschreibungsverfahren für Bohrgenehmigungen und die Aufsicht verschärft und zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen vorgeschrieben. Das Moratorium für neue Tiefseebohrungen hat Präsident Obama schon im Spätsommer aufgehoben, rechtzeitig vor der Kongresswahl. Die Preise für Öl und Benzin steigen rasch, um 30 Prozent seit Jahresanfang 2011 auf nun vier Dollar pro Gallone Benzin. In der Hauptreisezeit im Sommer werden fünf Dollar erwartet.

Obama betont nun gerne, unter ihm werde mehr Öl in den USA gefördert als unter seinem Vorgänger Bush. Den Import will er bis 2025 um ein Drittel reduzieren, vor allem den aus der arabischen Unruheregion. Solange der Verbrauch nicht deutlich sinkt, heißt das: mehr heimische Förderung. Genehmigungen werden auch für Projekte erteilt, die tiefer liegen als das Unglücksbohrloch in 1500 Meter unter dem Meeresspiegel.

Wer heute an die Golfküste fährt, sieht Ölplattformen, Fischerboote, Pelikane, Touristen – als sei in den letzten Jahren nichts Gravierendes geschehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false