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Panorama: Optimistische Sprüche für die WHO-Inspekteure

Obwohl Sars sich in Chinas Provinzen immer weiter ausbreitet, versuchen die Behörden das Ausmaß der Katastrophe zu vertuschen

Im Krankenhaus für Infektionskrankheiten in Baoding herrscht an diesem Morgen reger Betrieb. Das Krankenhaus putzt sich heraus - am Nachmittag werden Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Inspektion erwartet.

Die Stadt Baoding, 110 Kilometer nordöstlich von Peking, war am Donnerstag der erste Stopp der WHO-Experten in der Provinz Hebei. Die Inspektoren sollen den lokalen Gesundheitsbehörden dabei helfen, die Ausbreitung des Sars-Virus ins Hinterland zu verhindern. Mehr als zwei Millionen Wanderarbeiter sind in den vergangenen Tagen aus Furcht vor Sars in ihre Heimatprovinzen geflüchtet. Es wird befürchtet, dass sie das Sars-Virus in ihre Dörfer tragen. In Hebei sollen nach offiziellen Angaben bisher 147 Menschen infiziert sein. „Wir glauben, dass wir mit unserem Team hier etwas erreichen können", sagte der WHO-Arzt Alan Schnur. Ein Besuch in Baoding wenige Stunden vor der Ankunft der WHO-Delegation deutet jedoch darauf hin, dass auch in Hebei das wahre Ausmaß der Sars Epidemie verschleiert wird. Um die ausländischen Experten zu beeindrucken, werden in einer Blitzaktion die städtischen Krankenhäuser herausgeputzt, Wände neu gestrichen und Schutzmasken verteilt.

Optimistische Sprüche auf Propagandaplakaten sollen von der wirklichen Situation in Hebei ablenken. In vielen Landkreisen herrscht Panik. Polizisten und Bauern haben aus Bäumen Straßensperren errichtet. Autos mit einem Pekinger Kennzeichen werden zurückgewiesen. Die Behörden seien so verzweifelt, dass sie für jeden identifizierten Sars-Fall eine Prämie von 500 Yuan (umgerechnet 55 Euro) ausgelobt haben, berichtet die Washington Post.

In Baoding werden Sars-Zahlen weiter als Geheimnis behandelt. „Dazu können wir nichts sagen“, erklären die Ärzte im Infektionskrankenhaus. Nach Informationen aus anderen Krankenhäusern sollen mindestens 12 Sars-Patienten in dem Gebäude liegen. Als ausländische Reporter versuchen, am Eingang der Klinik Interviews zu führen, rücken Zivilpolizisten an. Der Besuch der WHO-Delegation soll nicht durch kritische Fragen gestört werden. In einer städtischen Sars-Station in Baoding ließen die Verantwortlichen extra einen Eingang aus weißen Marmor errichten, um die schäbige Backsteinwand zu verdecken. Der Putz ist noch feucht, als die Autokolonne der WHO-Ärzte anrückt.

Die wahre Situation in Chinas Krankenhäuser bleibt den WHO-Ärzten an diesem Tag verdeckt. Alle Dorfkliniken und Ambulanzstationen im Landkreis Baoding, in denen es wie fast überall im Land weder Möglichkeiten zur Desinfektion noch Röntgengeräte gibt, wurden auf Anweisung der Behörden einen Tag vor dem WHO-Besuch geschlossen. Für die Millionen Bauern im Hinterland sind diese primitiven Ambulanzstationen der einzige Zugang zu ärztlicher Versorgung, da sie nicht versichert sind und sich eine Behandlung in einem richtigen Krankenhaus nicht leisten können.

Für Sars-Patienten seien diese Stationen aber nicht ausgerüstet, sagt eine Ärztin im Nanshi-Bezirk von Baoding. „Wenn jemand Fieber hat schicken wir ihn ins Krankenhaus für Infektionen“, erklärt sie. Eine Überwachung infizierter Personen scheint es nicht zu geben. Ein Sars-Patient sei nach dem Besuch in einer Krankenstation geflüchtet. Der Mann hatte sich offenbar bei einer Tagung in Peking angesteckt, berichtet die Ärztin. Erst nach Tagen sei es den Behörden gelungen, den Virusträger zu stellen.

Harald Maass[Baoding]

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