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Jetzt stehen auch seine sportlichen Leistungen infrage. Oscar Pistorius, der doppelt amputierte Sprintstar.

© REUTERS

Oscar Pistorius: Er verliert alles

Bei dem Sprintstar Oscar Pistorius wurden größere Mengen Testosteron gefunden – es ist ein gängiges Dopingmittel. Damit steht auch sein sportliches Lebenswerk auf dem Spiel.

Für Oscar Pistorius ist ein hässliches Wort erfunden worden – Technodoping. Die Karbonprothesen des Leichtathleten aus Südafrika, die seine amputierten Unterschenkel ersetzen, seien ein unzulässiger Wettbewerbsvorteil, das sagten vor allem Sportfunktionäre. Pistorius schien ihnen ein Eindringling in die Welt der gesunden Körper zu sein, und das Wort Technodoping klang so, als habe Pistorius mit seinen Prothesen betrügen wollen. Doch nun muss sich Pistorius auch noch gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, mit ganz gewöhnlichen Mitteln gedopt zu haben. Als sei sein Leben nicht ohnehin schon ein freier Fall ins Nichts, weil er sich nach den tödlichen Schüssen auf seine Lebensgefährtin Reeva Steenkamp mit einer Mordanklage konfrontiert sieht. Es sieht nicht gut für ihn aus. Zwar wurde die Entscheidung über eine Freilassung auf Kaution um einen Tag verschoben, gleichzeitig berichtete am Mittwoch ein Polizeioffizier von Zeugen, die vor den Schüssen Licht im Haus von Pistorius gesehen und zudem Schreie und einen lautstarken Streit gehört haben wollen. Das widerspricht deutlich den Schilderungen von Pistorius, der ausgesagt hatte, er habe auf einen vermeintlichen Einbrecher geschossen und dabei seine Freundin getroffen.

Auch Pistorius’ sportliches Lebenswerk droht gerade zu zerfallen. Auf seinen Prothesen ist der Südafrikaner zum populärsten Behindertensportler der Welt geworden. Bei den Paralympics gewann er insgesamt sechs Goldmedaillen. Mit seiner Bestzeit von 45,07 Sekunden über 400 Meter konnte er im internationalen Wettbewerb auch mit nicht-behinderten Athleten mithalten und nahm bei den Olympischen Spielen in London 2012 als erster beidseitig amputierter Sportler teil. Von seiner Rolle als Idol und Hoffnungsträger ist jedoch gerade nicht mehr viel übrig.

Hilton Botha, der leitende Ermittler in diesem Mordverfahren, gab am Mittwoch bekannt, dass die Behörden Testosteron im Haus von Pistorius gefunden hätten. Das männliche Sexualhormon Testosteron gehört zu den gängigsten Dopingmitteln. Sofort wurde auch ein Bezug zur Tötung seiner Lebensgefährtin hergestellt. Testosteron mache doch aggressiv, also könne doch das eine Ursache gewesen sein, dass Pistorius auf Reeva Steenkamp geschossen habe.

Das ist jedoch ein nicht besonders wahrscheinliches Szenario. Pistorius hätte sich dafür eine extrem hohe Dosis von Testosteron zuführen müssen, eine Menge, „die in jeder Dopingkontrolle hundertmal und sehr lange aufgefallen wäre“, wie ein deutscher Dopingforscher sagt.

Mit einem positiven Dopingtest ist Pistorius bisher noch nicht aufgefallen. Nun steht er jedoch unter Verdacht. Barry Roux, Pistorius’ Verteidiger, entgegnete, bei den sichergestellten Substanzen handele es sich nicht um Testosteron, sondern um pflanzliche Heilmittel. Nach deutschem Strafrecht wäre der Besitz einer nicht geringen Menge an Dopingsubstanzen strafbar. Zwei Kartons mit Testosteronpräparaten und Spritzen will die Polizei bei Pistorius sichergestellt haben. Testosteron kann als Tablette, als Creme oder Pflaster oder als Spritze in den Muskel aufgenommen werden. Die bei ihm gefunden Spritzen könnten auch lediglich zur Dosierung gedient haben, nicht zur Injektion, vermutet ein Dopingforscher.

Wenn sich bei international erfolgreichen Sportlern Hinweise auf Doping ergeben, können ihm die Fahnder in der Regel auch noch nachträglich auf die Schliche kommen. Denn viele Dopingproben werden eingefroren und acht Jahre lang gelagert. Ob es von Pistorius überhaupt noch Proben gibt, ist noch nicht bekannt. Bei den Paralympics in London ist er offenbar zweimal getestet worden, doch das Internationale Paralympische Komitee lagert die Proben nicht ein, „dafür fehlen uns die finanziellen Mittel“, sagte eine Sprecherin. Das Internationale Olympische Komitee testete Pistorius bei Olympia in London gar nicht. „Wir haben deshalb keine Proben von ihm“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. Das IOC habe in London mehr als 5000 Proben genommen, von den jeweils fünf Erstplatzierten und zwei weiteren zufällig ausgewählten Athleten aus jedem Wettbewerb. Pistorius wurde jedoch über 400 Meter 23., in der 4x400-Meter-Staffel Achter und auch nicht zufällig als Testperson ausgelost.

Was eine Überführung von Pistorius für den Behindertensport bedeuten würde, hat Frank-Thomas Hartleb, der Sportdirektor des Deutschen Behindertensportverbands, der Deutschen Presse-Agentur gesagt: Das würde „den Hero des Behindertensports vom Sockel stoßen. Man müsste dann sagen: Der Behindertensport ist in der Realität angekommen“.

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