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Oscar Pistorius

© ddp

Oscar Pistorius: "Mit beiden Beinen auf dem Boden“

Der südafrikanische Athlet Oscar Pistorius ist der schnellste Mann der Welt ohne Beine. Ein Gespräch über Olympia, Prothesen und sein neues Leben als Sportstar.

Er ist der schnellste Mann der Welt ohne Beine: der südafrikanische Leichtathlet Oscar Pistorius. Im Alter von fast einem Jahr mussten ihm infolge eines Geburtsfehlers beide Unterschenkel amputiert werden. In seiner Lebensfreude und Leidenschaft für den Sport bremst ihn das nicht. Weltweit bekannt geworden ist der 21-Jährige aus Pretoria, als er sich das Recht einklagte, als erster Prothesenläufer der Welt gegen die nichtbehinderte Konkurrenz bei den Olympischen Spielen in Peking antreten zu dürfen – eine Entscheidung, die in Sportlerkreisen durchaus umstritten ist. 2007 war Pistorius der zweitschnellste 400-Meter-Läufer aller Athleten Südafrikas, mit oder ohne Behinderung. Er hält außerdem die Paralympics-Weltrekorde auf 100, 200 und 400 Meter. Nun war Pistorius gerade in Berlin am Start.

Herr Pistorius, es ist gar nicht so einfach, Ihnen auf den Fersen zu bleiben.

Sie meinen, dass wir meinen Aufenthaltsort in Berlin geheim gehalten haben und ich unter falschem Namen im Hotel einchecken musste? Das wurde mir empfohlen, der Trubel ist wirklich enorm. Die Journalisten dachten, ich wäre im Plaza und lagen da tatsächlich auf der Lauer.

Nervt Sie der Rummel schon?

Ich freue mich eher darüber. Ich habe die Möglichkeit bekommen, uns Sportlern mit Behinderungen die Aufmerksamkeit und Anerkennung zu verschaffen, die wir verdienen.

Wenn man Sie abseits der Bahn trifft, fällt einem erstmal gar nichts auf.

Unter meinen Jeans stecken meine beiden Alltagsprothesen, die sehen fast wie normale Beine aus. Sehen Sie, ich trage auch herkömmliche Schuhe. Die beiden Dinger, mit denen ich renne, nennt einer meiner Begleiter Löffel, weil sie gebogen sind wie das Besteck. Beide halten so, ohne Kleber, aber müssen exakt angepasst werden, damit sie gut sitzen.

Sie haben sogar Fußball gespielt?

Klar, auch das geht. Ich gucke jetzt natürlich die EM. Mein Favorit ist Italien, die bringen am meisten Leidenschaft mit. Schade, dass es bei denen nicht so läuft. Als Jugendlicher habe ich mir beim Rugby eine Knieverletzung zugezogen. Um wieder fit zu werden, fing ich mit dem Laufen an – und stellte dann schnell die Weltrekorde ein. Mit 17 Jahren holte ich zum ersten Mal bei den Paralympics Medaillen.

Sich mit Behinderten zu messen, reicht Ihnen nicht mehr aus?

Darum geht es nicht. Ich bin Leistungssportler und suche den Wettkampf, ich will mich selbst ständig herausfordern. Ich lebe, atme, schlafe für den Sport. Und ich bin glücklich darüber, dass ich über das Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes Cas in Lausanne die Fehleinschätzung des Weltleichtathletikverbandes aus der Welt räumen konnte – der Verband hatte gesagt, dass ich durch meine Prothese im Vorteil gegenüber Läufern mit zwei Beinen sei.

Aber die Carbonfedern ermüden doch nicht, anders als menschliche Beine? Und wenn Sie sich warm machen - Sie hüpfen in den Dingern ganz schön auf und ab.

Ich habe keine Vorteile gegenüber nichtbehinderten Sprintern, das haben die monatelang andauernden und aufwändigenLabortests in den USA bewiesen. Ich bin nicht bevorteilt, wie mir vorgeworfen wurde. Schauen Sie, die Prothesen können nur das wiedergeben, was ich hineinstecke, sie können keine neue Power kreieren. Die Test haben bestätigt, dass ich beim Start benachteiligt bin und auch während der ersten Meter, bis ich auf Touren komme. Und in der Kurve, weil ich kein Fußgelenk habe, das sich schräg stellt. Wenn es regnet, kann ich trotz der Spikes schnell ausrutschen.

Nun gibt es so viel Rummel um Ihre potenzielle Olympia-Teilnahme – in Berlin haben Sie die Qualifizierungsnorm für die Staffel von 45,95 Sekunden allerdings mit 49,16 Sekunden um Längen verpasst…

Ja, ich bin schon enttäuscht. Aber ich bin realistisch, das war abzusehen. Mit der ganzen Hin- und Herfliegerei zwischen Südafrika und den USA von Dezember bis Mai konnte ich kaum trainieren. Außerdem durfte ich wegen des Banns des Weltleichtathletik-Verbandes auch nicht mehr an gemischten Wettkämpfen in Südafrika teilnehmen. Das war alles hart und frustrierend. Ich denke auch, dass ich wegen des Trainingsrückstandes bei den nächsten Qualifikationsläufen Ende Juni in Italien die Einzelzeit von 45,55 Sekunden wohl nicht schaffen werde. Auf jeden Fall starte ich aber bei den Paralympics in Peking und möchte auch nächstes Jahr zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft wieder nach Berlin kommen.

Das klingt so, als ob Ihr Kampf darum, bei Olympia teilnehmen zu dürfen, letztlich genau dies verhindert hat.

So kann man es sehen, und ich finde das frustrierend, aber es ging eben nicht anders. Das ist sehr schade, aber dann bin ich halt 2012 dabei. Die Olympischen Spiele waren schon immer mein Traum.

Manche halten Ihnen vor, Sie sollten lieber gegen andere Prothesenläufer antreten – wobei die meisten Paralympioniken nur eine haben. Die verweisen darauf, dass die erste Studie ergeben hat, dass Ihnen die Technik Vorteile verschafft.

Das stimmt aber nicht. Die viel umfassendere Studienreihe hat andere Ergebnisse erbracht. Ich bekomme übrigens viel Rückendeckung von nichtbehinderten Läufern. Ich denke gar nicht in diesen Kategorien: behindert und nichtbehindert. Ich bin schon immer gegen beide angetreten.

Herr Pistorius, was machen Sie am liebsten, wenn Sie nicht gerade sprinten?

Natürlich mit meiner Freundin zusammen sein. Ich male gern. Und liebe alle schnellen Sportarten. Ich fahre gern Motocross-Motorräder und Jetski.

Wie verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?

Anders als etwa die Paralympic-Leistungssportler in Deutschland muss ich nicht nebenher arbeiten gehen. Ich habe Businessmanagement studiert, aber dank Sponsoren wie Nike, Oakley, Chevron und Volvo kann ich mich ganz auf meine sportliche Karriere konzentrieren.

Sie sind noch jung, aber bald erscheint jetzt ein Buch über Sie. Belastet Sie die Verantwortung, für viele ein Idol zu sein?

Das ist schon eine neue Rolle für mich. Aber ich habe viele liebe Leute um mich herum, die dafür sorgen, dass ich mit beiden Beinen auf dem Boden bleibe, obwohl ich gar keine habe.

Das Gespräch führte Annette Kögel.

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