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Palästinensertuch: Von Arafat eingefädelt

Das Palästinensertuch machte Familie Herbawi einst wohlhabend, sie webte und verkaufte es. Nannte den Verkaufshit „Arafat“, nach dem Anführer. Doch was der ihnen gegeben hatte, nahm er auch wieder. Heute kaufen Touristen die Modelle „Salatmix“ oder „Fruchtsalat“

Das Rolltor ist der Eingang zu einer großen Garage. Darin stehen 16 automatische Webstühle. Manche von ihnen sind fast 50 Jahre alt, haben noch Spindeln und Holzgriffe. Bis zu zwei Meter breit stehen sie da, viele von ihnen mit einer dicken Staubschicht überzogen, die das grüne Metall darunter kaum erkennen lässt. Zwei von ihnen bewegen sich im bleichen Licht von Neonröhren. Laut rattert der Webarm hin und her, und langsam entsteht ein Muster. Kleine Ovale, regelmäßig verteilt.

Die Webstühle ernährten mal sieben Familien, man nannte sie Fabrik. Heute sind sie kaum mehr als eine Werkstatt, die ohne Computer und mit einem Telefon auskommt. Nur noch vier Maschinen laufen, und auch das nur wenige Stunden am Tag. Es gibt zwei Mitarbeiter und zwei Chefs. Das sind die Besitzer, Söhne von Jassir Herbawi, der die Firma 1961 gegründet hat.

Herbawi, inzwischen 81 Jahre alt und mit Stock unterwegs, kommt immer noch jeden Morgen für zwei Stunden zu der Garage in einer Straße von Hebron in der Westbank. Dann setzt er sich auf einen Stuhl in der Ecke und sieht, wie die Arbeiter mit flinken, routinierten Bewegungen neue Garnrollen einsetzen. Er sieht eine Eile, die angesichts der geringen Produktionsmenge übertrieben scheint. Er sieht das, was von der Arbeit, wie er sie mal erdacht hat, noch übrig ist.

Jassir Herbawi hat 1961 eine Fabrik gegründet, die die Kufiya hergestellt hat, das Palästinensertuch. Das erwies sich als gute Geschäftsidee, denn Jassir Arafat, der kurz zuvor die „Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas“, die Al Fatah, gegründet hatte, wurde in den Folgejahren als Palästinenserchef und als „der mit dem Kopftuch“ bekannt. Bis zu 700 Tücher in verschiedenen Mustern wurden pro Tag fertig und an Händler in Jerusalem, Bethlehem und Gaza geliefert: rot-weiß für Jordanien, kleinkariert schwarz-weiß, wie es im Irak getragen wird, und eben das große schwarz-weiße Karo, der Klassiker, der bei den Herbawis „Arafat“ heißt – und der den einstigen Erfolg von Firma und Familie begründete.

Die Söhne, Judeh und Abdel, inzwischen ebenfalls ältere Herren mit Schnauzer und schnittgleichen Anzügen in unterschiedlichen Brauntönen, haben ihr Leben zwischen diesen Webstühlen verbracht. Sie können sie selbst reparieren, können zu jedem der Geräte eine Geschichte erzählen. Wenn sie arbeiten, sitzt jeder Handgriff. So lange arbeiten und leben sie gemeinsam, dass einer die Sätze des anderen ergänzt. Einer redet, der andere trinkt einen Schluck gesüßten Schwarztee, dann vollendet er den Satz des anderen, während dieser am Tee nippt.

„Für uns ist Oslo 1993 das, was Hiroshima für die Japaner war“, sagt der eine.

„Bumm“, fügt der andere hinzu und lässt eine geballte Faust auf die andere fallen. Nur für den Fall, dass unklar ist, was mit Hiroshima gemeint war.

Oslo 1993, Friedensverhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis, als die Wortführer noch Jassir Arafat, Yitzhak Rabin und Bill Clinton hießen, die dafür im Jahr darauf den Friedensnobelpreis erhielten. Zu den Oslo-Verträgen gehörten auch Regelungen für mehr Marktfreiheit, was in den palästinensischen Gebieten vor allem dazu führte, dass billig zu importierende Massenware die kleinteiligen, einfachen Betriebe bedrohte, die sich bis dahin im abgeriegelten Raum behaupten konnten. Betriebe, wie die Herbawis es waren.

Arafat hat ihnen über Umwege gegeben. Und dann hat er ihnen über Umwege auch wieder genommen.

Sie waren ein mittelgroßes Familienunternehmen, nicht reich, aber sie konnten leben von den 1,40 bis vier Euro, die die Händler pro Tuch zahlten. Und so beschlossen sie Anfang der 90er Jahre, weitere Maschinen zu kaufen, um größer zu werden, und das Gebäude zu bauen, in dem heute die Brüder sitzen und bei schwarzem Tee über die Fehlentscheidung nachdenken.

„Ein Staat, der kein Staat ist, darf keine Verträge schließen“, schimpft Judeh Herbawi, dessen Beschäftigung doch eben die Herstellung des Symbols für einen solchen Staat ist, zumindest mal gewesen ist. Und noch etwas ist paradox: Die Angelegenheit der Palästinenser wird inzwischen bewusst wahrgenommen, Aktivisten und Politiker rund um die Welt setzen sich für deren Sache ein, der Tuchnamensgeber Arafat wurde vom Terroristen zum Verhandlungspartner, zum Mann des Friedens gar. Und das Produkt, das symbolisch für die Sache der Palästinenser steht, ist heute ein Allerweltsartikel in Modediscountern oder wurde als 3000 Dollar teures Designerprodukt an Promihälsen gesichtet – und die einzige palästinensische Tuchfabrik konnte von all dem überhaupt nicht profitieren.

In den 70er Jahren, sagt der alte Herbawi, seien sie kaum hinterhergekommen, so groß war die Nachfrage, aber in den 90ern habe die Globalisierung die Märkte total verändert. „Heute arbeiten wir mit einem Bruchteil unserer Kapazität, weil wir nicht konkurrieren können“, sagt er. Wie bitter es ist, das im eigenen Betrieb besichtigen zu müssen, bedarf keiner Nachfrage.

Die Herbawis ergaben sich nicht kampflos, als sie merkten, dass sich die Lage für sie, anders als für ihr Volk, verschlechterte. Sie versuchten, durch billigere, minderwertigere Stoffe die Kosten zu senken. Aber immer noch waren andere billiger, und trotz theoretischen Freihandelsabkommens mit den USA und Kanada war es aufgrund israelischer Sicherheitsbestimmungen schwierig, aus der Westbank heraus in die Welt zu exportieren.

Zwei Hauptkunden haben die Herbawis heute, die Einnahmen decken die Kosten nicht mehr. „Arafat“ verkauft sich kaum noch. Stattdessen gehen die Modelle „Salatmix“, „Fruchtsalat“ oder „Gemüse“, Tücher, die das traditionelle Muster der Kufiya haben, aber im grün-lila- blaßgelben Farbenmix oder zartgelb-weiß-golden daherkommen. 60 Prozent der Tücher gehen an Touristen, von denen in den vergangenen Jahren immer mehr in die Westbank gekommen sind. Darüber, dass die bunten Tücher sich besser verkaufen, freuen sich Abdel und Judeh, auch wenn es ihnen sonderbar vorkommt. Weil es doch das Arafat-Tuch ist, um das es sich dreht in ihrer Welt.

Ein Tuch, das vom Wind- und Sonnenschutzschal für einfache Bauern zum Solidaritätsgruß an eine 1949 heimatlos gewordene Bevölkerung und über die Jahre des Kampfes, über die auch der Namensgeber 2004 hinwegstarb, wieder zum Schal zu werden scheint, den man nach marktwirtschaftlichen, nicht nach politischen Aspekten auswählt.

Kleine Fabriken, die mehrere Familien beschäftigten, die lokal ihre Produkte vertrieben, so sah es aus vor dem Oslo-Abkommen in den Palästinensergebieten, in der ganzen Region Hebron, dem einstigen Kerngebiet der palästinensischen Leder- und Textilindustrie. Ein blühendes Industriezentrum war das mal, aber heute ist kaum noch etwas zu sehen.

Der Markt wurde aus Sicherheitsgründen geschlossen. Die Straßen haben tiefe Schlaglöcher und nur selten Gehsteige. Sie werden gesäumt von Häusern, die nicht fertig gebaut wurden, Ruinen ohne Türen oder Fenster. Und die Autos, die vorbeirumpeln, machen den Eindruck, als hätten sie einige Unfälle hinter sich, zerbeult, mit abgesplittertem, mattem Lack, abgefahrenen Reifen.

Dass es die Verträge von Oslo waren, die die Wirtschaftsstruktur veränderten, bestätigt Faed Bamir, Wirtschaftsberater der palästinensischen Autonomiebehörde und seit vielen Jahren in der palästinensischen Politik aktiv. Viele kleine Fabriken hätten schließen müssen, sagt er, seien von Importhändlern verdrängt worden. Doch habe sich auch etwas Neues entwickelt. „Langsam ließen sich neue Branchen bei uns nieder, internationale Investoren bekamen Interesse.“ Es ging mit jener palästinensischen Wirtschaft voran, die nicht gegen asiatische Billigimporte konkurrieren musste. Eine eigene IT-Industrie und der Chemiesektor entwickelten sich so.

Vieles, was sich geregt hatte, erstickte aber wieder, als im Jahr 2000 die zweite Intifada ausbrach, eine Reihe von Selbstmordanschlägen, auf die Israel mit Militäraktionen und später dem Bau der 700 Kilometer langen Sperranlage reagierte, mit verstärkten Checkpointkontrollen und erschwertem Zugang zu Wasser, Energie und Land. Dadurch verlängerten sich von einem Tag auf den anderen Transportwege zu den wichtigen Märkten in Ostjerusalem, Israel und anderen Ländern, sie wurden unsichere Expeditionen. Und die zunehmenden Siedlungsneu- und -ausbauten zersplitterten bestehende innerpalästinensische Handelsbeziehungen. Lokale Geschäfte brachen zusammen, und Geldgeber aus dem Ausland zogen sich zurück. „Nach 2000 konnte man von keinem Investor verlangen, sein Geld auf diese Weise zu riskieren“, sagt Faed Bamir.

Stattdessen werden Hilfsgelder in die Gebiete überwiesen. Erst im September hat die Weltbank erneut einen Kredit von 40 Millionen Dollar an die Palästinensische Autonomiebehörde vergeben. Die das Geld auch ausgibt. Das Wirtschaftswachstum in den Gebieten beträgt deshalb mittlerweile acht Prozent, was Bamir aber als „künstliche Zahl“ brandmarkt. Denn sie ist hohl. Hinter ihr steht keine belastbare Wirtschaft, und sie bezeugt auch keine wachsende private Nachfrage. Die aber, da ist man sich bei der Weltbank sicher, sei der wichtigste Ansatzpunkt für die Wirtschaft eines künftigen palästinensischen Staates.

Die derzeitige Palästinenserregierung unter Ministerpräsident Salam Fajad bemüht sich um Reformen, erste Erfolge sind sichtbar, Änderungen in der Verwaltung und im Sozialsystem haben das Zutrauen in die Wirtschaft gestärkt; Investoren zeigen langsam Interesse, was die Israelis veranlasst hat, die Sicherheitsbeschränkungen zu verringern und die Transportwege zu erleichtern. Eine Entwicklung, die weitergehen kann, aber nicht muss. Immerzu gibt es neuen Streit wegen Siedlungsbauten und Angriffen auf Siedler, jederzeit kann die kleine Entspannung wieder vorbei sein.

Zu spüren ist das weiterhin verbreitete Fehlen von privaten Konsumenten, von Shoppinglust und auszugebendem Geld auch in Hebron. Die Schilder, die an Straßen Hinweise auf Läden, Handwerker, Betriebe geben, sind von der Sonne ausgebleicht. Und nicht ein einziges weist auf die Kufiya-Fabrik der Herbawis hin.

Zwei Amerikaner palästinensischer Abstammung haben sie trotzdem gefunden. Mai Bader und Haithem El-Zabri, die sich als „Palästinenser in der Diaspora“ empfinden, fanden nicht hinnehmbar, was den Herbawis geschieht. Sie beschlossen, die Fabrik mit ihren eingestaubten Webstühlen zu retten, und gründeten vor ein paar Jahren das „Kufiyeh Project“, richteten eine Facebookseite und einen MySpace-Account ein. „Wir bieten wirtschaftliche und gleichzeitig moralische Unterstützung“, sagt El-Zabri. 200 Tücher kaufen sie seitdem den Herbawis pro Monat ab, lassen sich die in die USA schicken und verkaufen sie dort in einem Onlineshop weiter. Und manchmal auch an Kunden aus dem Nahen Osten.

Lea Hampel[Hebron]

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