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"Pille danach": Rückt die katholische Kirche von ihrem Verbot ab?

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner gilt als Hardliner unter den deutschen Bischöfen. Nun vertritt ausgerechnet er eine Lockerung bei der Handhabung der „Pille danach“. Doch die Hürden für einen Kurswechsel sind groß.

Die katholische Kirche steht seit zwei Wochen in der Kritik, weil Ärzte in katholischen Krankenhäusern die „Pille danach“ weder verabreichen noch verschreiben dürfen – auch nicht Frauen, die vergewaltigt worden sind. Zwei Kliniken in Köln hatten die Untersuchung einer jungen Frau abgelehnt. Nun hat sich der Kölner Kardinal Joachim Meisner dazu geäußert und den Einsatz des Medikaments unter bestimmten Bedingungen gebilligt. Nun fragen sich viele, ob dies eine grundsätzliche Abkehr der katholischen Kirche von ihrer Haltung bedeutet.

Was hat Kardinal Meisner gesagt?

Nach einer Beratung mit Fachleuten sei ihm klar geworden, dass unter dem Begriff „Pille danach“ „unterschiedliche Präparate mit unterschiedlichen Wirkungen zu verstehen sind“, erklärte Kardinal Joachim Meisner am Donnerstag schriftlich. Es gebe Präparate, die die Zeugung verhinderten, und solche, die dazu führten, dass sich eine bereits befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnisten kann. Wenn nach einer Vergewaltigung ein Präparat eingesetzt werde, um die Befruchtung zu verhindern, „dann ist dies aus meiner Sicht vertretbar“. Präparate, die die Einnistung der befruchteten Eizelle verhinderten, seien aber „nach wie vor nicht vertretbar, weil damit der befruchteten Eizelle, der der Schutz der Menschenwürde zukommt, die Lebensgrundlage aktiv entzogen wird“. Zugleich forderte Meisner die Ärzte in katholischen Einrichtungen explizit auf, den „neuesten Stand der Wissenschaft“ bei der Behandlung von vergewaltigten Frauen zu berücksichtigen.

Bislang durfte in katholischen Einrichtungen die „Pille danach“ weder verabreicht noch verschrieben werden, da das Medikament als eine Form von Abtreibung gewertet wird, die der katholischen Morallehre widerspricht. Gerade Meisner war stets ein Verfechter der reinen Lehre, von der selbst bei Vergewaltigungsopfern nicht abgewichen werden durfte.

Warum hat der Kardinal seine Meinung geändert?

Vor zwei Wochen war bekannt geworden, dass zwei katholische Kliniken in Köln eine Frau abgewiesen hatten, die fürchtete, betäubt und vergewaltigt worden zu sein. Der Fall hatte große Empörung ausgelöst – zumal sich herausstellte, dass die Ärzte die Behandlung deshalb abgelehnt hatten, weil sie sich unter Druck der Bistumsleitung fühlten und Angst hatten, sich falsch zu verhalten. Denn einen Monat zuvor hatten radikale Abtreibungsgegner eine Detektivin in katholische Kliniken in Köln geschickt, die testen sollte, ob sie die „Pille danach“ dort bekommt. Da einige der Kliniken mit externen Ärzten zusammenarbeiten, die nicht dem katholischen Arbeitgeber unterstellt sind, erhielt die Detektivin in einigen Krankenhäusern das Medikament – woraufhin die Abtreibungsgegner die Kliniken bei Kardinal Meisner denunzierten. Der Generalvikar verpflichtete kurz darauf alle katholischen Kliniken in Köln zu einer „Null-Toleranz-Linie“ bezüglich der „Pille danach“.

Nach großem öffentlichen Druck wegen des Falls entschuldigte sich Kardinal Meisner vor einer Woche: Dass einer notleidenden Person Hilfe verweigert wurde, widerspreche dem christlichen Auftrag und „hätte nie geschehen dürfen“. Gleichzeitig wiederholte er die rigide Position der Kirche, wonach die „Pille danach“ grundsätzlich abzulehnen sei. In den Tagen danach scheint auf allen Ebenen der Bistumsleitung nach Gesprächen mit Medizinern ein Umdenken stattgefunden zu haben.

Spricht Meisner für die gesamte katholische Kirche?

Nein. Kardinal Meisner ist mit seiner Äußerung alleine vorgeprescht – was seine Bischofskollegen verärgert. In der Deutschen Bischofskonferenz will man sich zu dem Thema „Pille danach“ nicht äußern, bevor sich die Bischöfe nicht gemeinsam auf eine Sichtweise verständigt haben. Die Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in drei Wochen könnte ein Ort dafür sein.

Es gibt innerkirchlich Zweifel daran, ob sich die beiden Wirkungsweisen der „Pillen danach“ tatsächlich so klar voneinander trennen lassen, wie es Meisners Äußerung suggeriert. Fest steht: Die deutschen Bischöfe können bei einer so zentralen moraltheologischen Frage nicht im Alleingang eine Neubewertung beschließen. Die Entscheidung muss in Rom fallen.

Wie groß ist Meisners Einfluss in der katholischen Kirche? 

Sehr groß. Das Kölner Erzbistum mit seinen 2,1 Millionen Katholiken ist das größte und reichste unter den 27 deutschen Bistümern, entsprechend viel Geld fließt aus Köln nach Rom. Meisner hat zudem gute Freunde im Vatikan, er gilt als Entdeckung von Papst Johannes Paul II., und auch zu Papst Benedikt XVI. sucht er die Nähe. Weil der Kölner Kardinal in Rom erfolgreich Druck gemacht hatte, mussten die deutschen Bischöfe im Jahr 2000 aus der Schwangerenkonfliktberatung aussteigen. Als Mitglied der Römischen Bischofskongregation schafft es Meisner auffällig oft, seine Schüler auf Bischofsstühlen zu platzieren. So geschehen in Würzburg, Hildesheim und mit Rainer Maria Woelki in Berlin. Vor einer Woche hat der Papst den Kölner Weihbischof Heiner Koch zum neuen Bischof von Dresden-Meißen ernannt. Kritiker fürchten, dass sich in der Deutschen Bischofskonferenz dadurch mehr und mehr eine konservative Strömung durchsetzt.

Meisner wird im Dezember 80 Jahre alt. Dann müssen auch katholische Kardinäle ihr Amt üblicherweise aufgeben. Doch womöglich macht Rom für Meisner eine Ausnahme.

Ändert sich jetzt etwas für katholische Krankenhäuser?

Grundsätzlich gilt in der Kirche: Bevor es keine neue Instruktion aus Rom gibt, bleibt es bei der alten Lehre und die „Pille danach“ verboten. In einer Stellungnahme der erzbischöflichen Pressestelle, die Meisners Äußerungen ergänzen sollen, heißt es: Die Ärzte müssten „aus eigener wissenschaftlichen Einschätzung abwägen“, inwieweit ein Präparat so wirke, dass es die Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle verhindert. Christoph Leiden, Sprecher der Cellitinnen-Stiftung in Köln fürchtet, dass die Ärzte jetzt wieder genauso verunsichert sein werden wie vor Beginn der Debatte. Zur Cellitinnen-Stiftung gehört auch das Kölner Krankenhaus St. Vinzenz, das durch die Abweisung der mutmaßlich vergewaltigten Frau die Debatte ausgelöst hatte.

Kardinal Meisner ist bekannt für seine Stimmungsänderungen. Im persönlichen Gespräch kann er sehr freundlich sein. Doch ein falscher Satz, und er kann sehr unangenehm werden und sehr nachtragend sein. Sentimentalität und verbale Brutalität liegen bei dem Kirchenmann nicht weit auseinander. Der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb 2006, dass im Kölner Erzbistum „die Angst umgeht“. Vertreter der Kölner Katholiken und Priester berichteten von Meisners „feudalherrschaftlichem Gefolgsanspruch“. In „vorauseilendem Gehorsam“ versuchten viele Priester und Laien seitdem, sich auf keinen Fall „unbotmäßig zu verhalten“, schrieb die Zeitung. „Über jedem, der nicht spurt, hängt das Damoklesschwert der Versetzung oder Kündigung.“

Dass sich militante Abtreibungsgegner für ihren „Kliniktest“ ausgerechnet Köln aussuchten, ist deshalb kein Zufall. Bei kaum einem anderen Bischof stoßen Denunziationen aus der rechtskatholischen Ecke auf solch offene Ohren wie bei Meisner. Daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern.

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