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Panorama: Plant Algier gewaltsame Befreiung?

Die Chancen für ein unblutiges Ende des Geiseldramas in der Sahara sinken – Berlin drängt auf Besonnenheit

Mehr als zwei Monate nach Beginn der Geiselnahme von insgesamt 31 europäischen Touristen in Südalgerien wächst die Sorge um das Leben der vermutlich von arabisch-algerischen Terroristen gekidnappten Urlauber. Inoffiziellen algerischen Berichten zufolge zog das Militär des Landes starke Einheiten in jener südlichen Region zusammen, in der die Geiseln und ihre Entführer zuletzt vermutet wurden. Damit sinken die Chancen, dass das Geiseldrama unblutig beendet werden kann. Unter den Festgehaltenen sind 15 Deutsche, zehn Österreicher, vier Schweizer, ein Niederländer und ein Schwede. Die von der Geiselnahme betroffenen westlichen Staaten versuchen, die algerischen Sicherheitsbehörden zu einem besonnenen Vorgehen zu bewegen, um das Leben der Geiseln nicht zu gefährden.

Die Bundesregierung schweigt

Angesichts der verhängten Nachrichtensperre wird offiziell freilich weder in Algier noch im Westen zu Einzelheiten Stellung genommen. In den letzten Tagen war aus mehreren Quellen berichtet worden, die Entführer und ihre Opfer seien in einer sehr schwer zugänglichen Bergregion in Südalgerien aufgespürt und umzingelt worden. Möglicherweise stehe eine Befreiungsoperation durch das algerische Militär bevor. Bestätigen ließ sich dies bisher nicht. Die algerische Armee geht im Kampf gegen bewaffnete islamistische Gruppen, die das Regime in Algier seit mehr als einem Jahrzehnt herausfordern, üblicherweise mit großer Härte und Kompromisslosigkeit vor. Dem Vernehmen nach drängen Berlin, Wien und Bern angesichts einer befürchteten Eskalation im Geiseldrama auf eine stärkere Mitwirkung westlicher Experten. Bisher befinden sich offiziell elf westliche Kriminalpolizisten und Anti-Terror-Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Algerien. Auch sollen westliche Geheimdienste, darunter jene der Franzosen und Amerikaner, ihre Aktivitäten in Algerien verstärkt haben. Europäische Anti-Terror-Einheiten wie die deutsche GSG9 bereiten sich auf einen möglichen Einsatz in Algerien vor, der etwa zusammen mit algerischen Trupps denkbar wäre. Dies müßte freilich von der algerischen Regierung abgesegnet werden. Auf dem Fughafen Köln/Bonn steht ein „fliegendes Lazarett" der Bundeswehr zum Abflug Richtung Algerien bereit.

Nicht bestätigen ließ sich am Wochenende die Information der ARD, wonach neue Spuren von den Gekidnappten aufgetaucht sein sollen. Demzufolge fanden algerische Soldaten in der Wüste Überreste eines Geländewagens, dessen Beschreibung auf eines der Fahrzeuge der vier Vermissten aus dem bayerischen Augsburg passt. Das Auswärtige Amt wollte sich am Sonntag dazu, wie auch zu anderen Einzelheiten, „nicht äußern". Vor Wochen war bereits der Fund des Pickup-Aufbaus des ebenfalls aus Süddeutschland stammenden verschwundenen Ulrich Hanel gemeldet worden. Auch diese Spur konnte bis heute von den deutschen Sicherheitsbehörden, die in Algerien keine Ermittlungsbefugnis, sondern nur beratende Funktion haben, nicht bestätigt werden.

Wer erpresst wen?

Die Hintergründe des Entführungsdramas sind weiter unklar, Forderungen der Geiselnehmer sind bisher nicht bekannt geworden. Die westlichen Ermittler gehen derzeit vor allem von zwei Überlegungen aus: Die mutmaßlichen islamistischen Entführer handeln aus einem innenpolitischen Motiv heraus, wollen also durch ihre Aktion die algerische und westlich gesinnte Regierung schwächen. Oder es geht um einen Erpressungsversuch des Westens, etwa um algerische Terroristen in europäischen Gefängnissen auszutauschen.

Zu den möglicherweise der berüchtigten algerisch-arabischen Terrorgruppe GSPC angehörenden Kidnappern könnten beide Motive passen: Die GSPC hat sowohl Algerien als auch den „ungläubigen" europäischen Staaten den „heiligen Krieg" erklärt und Aktionen zur Befreiung von in Nordafrika wie auf dem Kontinent verurteilten Gesinnungsgenossen angedroht.

Ralph Schulze[Algier]

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