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Schon wenige Wochen alte Säuglinge erhalten die Polio-Schluckimpfung, wie hier in Indien.

© Arindam Dey/AFP

Polioausbreitung in Pakistan: Impfen oder Knast

Weil die Taliban in Pakistan immer mehr Impfhelfer töten, steigen die Poliofälle rapide an. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt schon vor einem weltweiten Comeback der Kinderlähmung. Nun lässt die pakistanische Regierung rigoros Impfverweigerer festnehmen

Zu ihrem Schutz gehe sie nur noch mit Pistole los, sagt Rubina Bibi. „Die Taliban werden uns nicht von unserer Mission abhalten.” Die 57-jährige ist eine von Zehntausenden Helfern in Pakistan, die von Haus zu Haus gehen, um Kindern unter fünf Jahren die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung zu verabreichen. Eigentlich sei sie zu alt für den Job, meint sie. Doch sie wolle den jungen Frauen ein Vorbild sein.

70 Helfer sind bereits ermordet worden

Freiwillige wie Rubina Bibi sind Pakistans stille Helden. Sie riskieren ihr Leben, um Kinder vor Polio zu schützen. Die Taliban haben die Impfungen mit einem Bann belegt – und die Helfer zum Abschuss freigegeben. Fast 70 Impfmitarbeiter haben die Extremisten in den vergangenen vier Jahren getötet, noch viel mehr wurden verletzt und bedroht. Vielerorts sind die Teams nur noch mit Polizeischutz unterwegs, doch auch das hilft wenig. Besonders in den umkämpfen Provinzen an der Grenze zu Afghanistan und Unruhestädten wie Karatschi, Quetta oder Peschawar werden immer wieder Helfer ermordet. Erst am 13. Februar verschwand der Impfhelfer Abdul Hameed in der Provinz Belutschistan mit zwei Polizisten und seinem Fahrer. Vier Tage später man fand ihre Leichen in einer einsamen Hügelgegend.

2014 stieg in Pakistan die Zahl der Poliofälle um 93 Prozent

Die Attentatswelle gefährdet inzwischen den weltweiten Kampf gegen Polio. Noch in den achtziger Jahren verkrüppelte Polio jedes Jahr weltweit 350.000 Menschen. 1988 begann, angeführt von der WHO, UNICEF, Rotary International und anderen, eine weltweite Impfkampagne. Die Zahl der Poliofälle sank bis 2013 auf 416, heute ist Polio in den meisten Ländern ausgerottet.
Auch Pakistan schien zunächst auf gutem Wege. Das Land begann 1993 mit Massenimpfungen. Doch seit die Taliban mit Waffengewalt die Kampagnen aufhalten, kehrt die alte Krankheit mit neuer Macht zurück. 2014 wurden 306 neue Fälle gemeldet – das war ein Anstieg von 93 Prozent gegenüber dem Vorjahr und die höchste Zahl seit 14 Jahren. Damit entfielen 85 Prozent aller weltweiten Poliofälle auf das südasiatische Land, die restlichen wurden vor allem aus Afghanistan und Nigeria gemeldet.
Pakistan sei zum „Epizentrum“ des Poliovirus geworden, schreibt die Zeitung Express Tribune. Der Erfolg der globalen Kampagne hängt nun daran, ob Pakistan den Virus eindämmen kann. Andernfalls drohe ein weltweites Comeback der Kinderlähmung, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits. „Misslingt es, Polio in den verbleibenden Regionen zu stoppen, könnte dies in zehn Jahren zu 200.000 neuen Fällen weltweit führen“. Aus Angst vor einer Ausbreitung hat die WHO bereits im vergangenen Jahr eine Impfpflicht für alle Pakistaner erlassen, die ins Ausland reisen.

Die CIA hat den Taliban in die Hände gespielt

2007 geriet die Impfkampagnen ins Visier der Taliban gerieten. Religiöse Hardliner behaupteten, die Impfungen seien eine Verschwörung des Westens, um muslimische Männer unfruchtbar und Kinder krank zu machen. Andere setzten das Gerücht in Umlauf, die Impfung verursache AIDS oder enthalte Schweineprodukte, die für Muslime tabu sind.
Vollends zum westlichen Teufelswerk gerieten die Impfungen, als der US-Geheimdienst CIA verbreitete, er habe eine gefälschte Impfkampagne genutzt, um Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in Abbottabad auf die Spur zu kommen. Die Taliban verdächtigen Impfhelfern, Informationen für die US-Drohnenschläge zu sammeln und erließen eine Fatwa gegen die Kampagnen. Seitdem gelten Frauen wie Rubina Bibi und Männer wie Abdul Hameed den Taliban als Verräter und als Spione des Westens.

Kampf den Impfverweigerern

Um den alarmierenden Anstieg der Poliofälle zu stoppen, greift die Regierung nun zu ebenso drastischen wie verzweifelten Maßnahmen. Sie droht Impfverweigerern rigoros mit Gefängnis. In den letzten Tagen wurden in der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa fast 500 Eltern festgenommen, die sich weigerten, ihre Kinder impfen zu lassen. Gegen weitere 1000 Eltern seien Haftbefehle erlassen worden, berichteten pakistanische Medien. „Jeder, der sich weigert, wird ins Gefängnis geworfen“, zitierte die Nachrichtenagentur AFP den Stellvertretenden Polizeichef von Peschawar, Riaz Khan Mehsud. „Es gibt kein Pardon, wir werden mit eiserner Hand durchgreifen.“ Man werde die Eltern erst wieder freilassen, wenn sie schriftlich zusicherten, ihre Kinder impfen zu lassen. Regierungschef Nawaz Sharif rief zum landesweiten „Kampf gegen Polio“ auf.

Bereits in der Vergangenheit hatten Behörden immer mal wieder vereinzelt Impfverweigerer festgenommen. Doch noch nie hat es eine Verhaftungswelle von solchem Ausmaß gegeben. Gesundheitsexperten fürchten allerdings, dass solch hartes Vorgehen nach hinten losgehen und noch mehr Widerstand gegen die Impfungen schüren könnte. Zuletzt sollten im Januar landesweit 35 Millionen Kinder geimpft werden. Ob dieses Ziel erreicht wurde, lässt sich mangels Daten noch nicht sagen.

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