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Prozess: Todespillen per Internet

Mit einem Geständnis des Angeklagten hat in Wuppertal ein bundesweit einmaliger Prozess um den Internet-Verkauf von tödlichen Arzneimitteln an Selbstmordgefährdete begonnen. Sechs Menschen waren nach der Einnahme der Pillen gestorben.

Wuppertal - Der 23-jährige Kejdi S. gab vor der Strafkammer den Verkauf todbringender Arznei zu, nach deren Einnahme sechs Menschen gestorben und sieben weitere ins Koma gefallen waren. "Ich will ganz ausdrücklich sagen, dass ich heute mein Verhalten sehr bereue", ließ S. über seinen Anwalt erklären. Er habe aber niemanden in den Selbstmord getrieben. Die Anklage legte S. zum Prozessauftakt besonders schwere Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz zur Last; dagegen ist Beihilfe zum Selbstmord in Deutschland nicht strafbar.

Falls das Gericht die Auffassung der Staatsanwaltschaft teilt, drohen dem Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft. Die Verteidiger machten zu Prozessbeginn geltend, dass der 23-Jährige nach ihrer Auffassung keine besonders schweren Gesetzesverstöße begangen habe. S. könne daher auch nur zu einer Geld- oder einer Haftstrafe von höchstens drei Jahren verurteilt werden. Mit Blick auf die Anklageschrift äußerten die Verteidiger zudem den Verdacht, dass die Staatsanwaltschaft gleichsam "durch die Hintertür" ein Strafbarkeit der gesetzlich nicht sanktionierten Beihilfe zum Selbstmord einführen wolle. Zugleich hoben sie am Rande des Verfahrens hervor, bei der juristischen Aufarbeitung des Falls gehe es nicht um eine moralische Bewertung der Handlungen von S. "Die Moral ist hier nicht angeklagt."

Spitzname "Buddha"

Staatsanwältin Liane Brosch legte dem Event-Manager bei der Verlesung der Anklage zur Last, insgesamt 18 potenziellen Selbstmördern im Alter von 19 bis 46 Jahren zwischen November 2004 und Mai 2005 verschreibungspflichtige Medikamente verkauft zu haben - mindestens 1550 Tabletten des Antiepileptikums Luminal und 118 Tabletten des Antipsychotikums Truxal. Für die Arzneien soll der Angeklagte von seinen Kunden 7880 Euro erhalten haben, außerdem zwei Laptops und eine Digitalkamera.

Die Staatsanwältin betonte, S. habe sich durch den Verkauf der Arzneimittel eine Einnahmequelle erschließen und damit zumindest teilweise seinen Lebensunterhalt bestreiten wollen. Dazu habe er von seinem heimischen PC aus auf der damaligen Internet-Seite www.selbstmord.com unter dem Spitznamen "Buddha" Kontakt mit Selbstmordgefährdeten aufgenommen. Dabei habe er sich in einigen Fällen als Medizinstudent ausgegeben; in anderen Fällen habe er vorgetäuscht, selbst Suizid begehen zu wollen. Zu den sieben Abnehmern, die nach Einnahme der Arzneien tagelang im Koma lagen, zählt nach Angaben der Staatsanwältin auch ein 21-Jähriger aus dem brandenburgischen Eberswalde. Der junge Mann soll bereits Leichenflecken aufgewiesen haben; das Fleisch an den Beinen war demnach teilweise abgestorben.

Im Bann des Internets

Der Angeklagte ließ über seinen Anwalt erklären, er habe als regelmäßiger Teilnehmer des Internetforums "in einer Art geschlossener Gesellschaft gelebt". Auf die Internet-Seite, auf der sich Suizidgefährdete über Selbstmord-Methoden ausgetauscht hätten, sei er durch eine frühere Freundin aufmerksam geworden. Die junge Frau habe 2004 selbst einen Suizidversuch unternommen, sei jedoch durch sein rechtzeitiges Eingreifen gerettet worden. In der Folgezeit habe ihn das Internet-Forum "in einen eigentümlichen Bann gezogen"; er habe sich damals "in einer eher irrealen Welt befunden". S. gab zu, dass er um die Strafbarkeit seiner Handlungen gewusst habe. Zugleich bestritt er aber eine Bereicherungsabsicht.

Für das Verfahren hat das Wuppertaler Landgericht zunächst weitere sieben Verhandlungstage bis Ende Januar anberaumt. 31 Zeugen und Sachverständige sollen vernommen werden. (tso/AFP)

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