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© Stoppel

Puff-Portal: Gesteigerte Lüste per Internet

800 Euro hat ein Freier geboten. Vielleicht werden es noch mehr, die Auktion läuft. Nicole bietet ihre Dienste in einem Internetportal für käufliche Liebe an. Der Geschäftsführer sagt, sein Kundenservice sei eine „Art Mutter Teresa“.

Bratwürste mit Kartoffelsalat. Das könnte passen, überlegt sich Nicole (Name geändert). Das hat es früher zu Hause gegeben, an Heiligabend vor der Bescherung, und das war immer schön. Warum also den Brauch nicht beibehalten, auch wenn es diesmal ein ganz anderes Weihnachten werden soll? Nicht im Kreis der Familie, sondern mit einem Mann, den sie noch nicht kennt. Im Moment ist ein Herr, der sich Valvaris nennt, der Favorit. Er bietet 800 Euro für eine „stürmische und leidenschaftliche“ Nacht, aber weil noch ein paar Tage bis zum Fest vergehen, kann der Preis weiter steigen. Vor zwei Wochen hat Nicole noch 123 Euro gekostet, ohne die Bratwürste, die sie jetzt in ihr Angebot aufnehmen will. Sie könne auch kochen, betont das Kind aus gutem Hause.

Nicole ist das „Studiergirl 85“, was dreierlei bedeutet. Zum einen ist sie Studentin, zum andern 24 Jahre jung, zum dritten über diesen Markennamen bei der Stuttgarter Firma gesext.de zu ersteigern. Das ist eine Art Auktionshaus wie Ebay, nur eben für Sex, und, nach eigenen Angaben, der Marktführer in Deutschland. Dort bieten gegenwärtig tausend Frauen ihre Dienste an, die sie neben ihrer bürgerlichen Existenz als Hausfrau, Studentin, Sekretärin oder Architektin ausüben. Professionelle aus dem Rotlichtmilieu sind eher rar, die Klickzahlen enorm. Gesext.de registriert täglich 60 000 Surfer, Spitzenreiter sind die Berliner (49 000 monatlich), dahinter folgen die Münchner (42 000) und die Stuttgarter mit 29 000 Besuchen. Eine besonders auffällige Ballung gibt es auch noch rund um den Bodensee.

Nicole ist gefragt. Die junge Frau mit den knallroten Haaren und den strahlend blauen Augen studiert Sozialarbeit, Schwerpunkt Jugend und Familie, und vermittelt offenbar jenen Eindruck von Normalität und Kitzel, der das Abenteuer kalkulierbar macht. „Ich könnte die Nachbarin sein, ein echtes Mädel“, sagt sie und lacht über die Freier, die sie Bieter nennt, weil sie oft fragen, ob sie gerade ein Praktikum fürs Studium absolviert. Es sind häufig Herren darunter, aus Banken und Botschaften, die auch reden wollen. Sie seien nett zu ihr, erzählt sie, bringen Rosen mit, und sie verspricht als Gegenleistung Verständnis für Eheprobleme, wilden oder zärtlichen Sex und absolute Diskretion. Das macht sie seit zwei Jahren so, und man hat nicht das Gefühl, sie sei darüber ein Fall für die Couch geworden. Probleme hätte sie nur, glaubt sie, wenn plötzlich der Unirektor mit Blumen vor der Tür stünde.

Das klingt alles ganz normal, unbelastet von moralischen Bedenken, eingepasst in die Warenwelt, in der alles seinen Preis hat. Lediglich die Anonymität, das Schweigen gegenüber Eltern und Freunden fällt aus dem Rahmen und zeigt, dass auch die weiche Form der Prostitution anders bewertet wird als ein Job als Verkäuferin. Das Doppelleben ist schwierig, die Angst vor dem Entdecktwerden groß, und sie wird nur ein wenig kleiner dadurch, dass die Dienstleistung freiwillig und gut bezahlt ist.

Und das wiederum findet sie notwendig. Nicole kriegt ein bisschen Bafög, zahlt pro Semester 500 Euro Studiengebühren und 170 Euro an den Verkehrsverbund Stuttgart. Aushilfsjobs in der Kneipe oder an der Kasse sind selten, wenn überhaupt im Angebot, der Stress im Studium ist hoch.

Die Zahl der sich versteigernden Studentinnen, behauptet der Auktionator gesext.de, sei seit Einführung der Studiengebühren um 400 Prozent gestiegen. Zwischen September 2007 und April 2008 sind 5955 Studentinnenverkäufe notiert.

Das Geschäftsmodell der Firma, die im Stuttgarter Fasanenhof in einer sauberen Büroflucht residiert, ist schlicht. Die Frauen lassen sich registrieren, stellen ihre Anzeigen unter Decknamen ins Netz, beschreiben sich und ihr Repertoire, legen einen Einstiegspreis fest und warten auf Gebote. Die männlichen Mitglieder des „Lifestyle-Marktplatzes für aufgeschlossene Erwachsene“, wie es in der Firmenwerbung heißt, können mit den Anbieterinnen per Internet verhandeln und den Deal abschließen, wenn die Vorstellungen von Preis und Person in Deckung zu bringen sind. In diesem Fall kassiert gesext.de 15 Prozent der Auktionssumme.

Auf diese Idee ist Herbert Krauleidis stolz. Er ist der Chef des fünf Jahre alten Unternehmens. Der 54-jährige Stuttgarter hat als Techniker bei SEL angefangen, danach als IT-Experte bei Daimler gearbeitet und fährt heute ein Produkt des Hauses: einen dicken Mercedes mit dem Kennzeichen S-EX 660. Dem schwäbischen Geschäftsmann würde man auch einen Immobilienfonds abkaufen, so seriös schaut er aus dem gedeckten Anzug, den stets eine orangefarbene Krawatte schmückt. Zwölf davon hat er, damit die Firmenfarbe knitterfrei zum Tragen kommt. Der „Playboy“ auf dem Schreibtisch ist einerseits eine Referenz an sein Geschäft, andererseits private Pflichtlektüre.

„Der Mann ist ein Jäger“, sagt Krauleidis, während er die neuesten „Traffic-Zahlen“ an seinem 63-Zoll-Bildschirm kontrolliert. Die Stuttgarter überspringen gerade die 30 000er-Marke, was nichts anderes heißt, als dass sie, proportional zur Population, Spitzenreiter in Deutschland sind. So viel zum Klischee des sparsamen Schwaben. Wenn er sich dann zwischen die gelben Smilekissen auf seinem schwarzen Sofa sinken lässt, das Siegerlächeln aufsetzt und die Gewissheit im Gesicht hat, dass der Verkehr monatlich um 32 Prozent zunimmt, dann ist Herbert Krauleidis mit sich und seiner Welt zufrieden.

Aber wie auf der A 8, die hinter seinem Büro vorbeiführt, kracht’s auch bei ihm gelegentlich im vierten Stock. Eine Dame aus Jena etwa klagte auf die Herausgabe der Daten von sechs Männern, die sie ersteigert hatten, damit sie klären konnte, wer von ihnen der Vater ihres noch ungeborenen Kindes sei. Krauleidis musste sie herausrücken, mit Schmerzen, weil eigentlich der Datenschutz sein Betriebskapital ist. Er durfte sich aber über einen Persilschein freuen, der seinem Gewerbe einen legalen Boden bereitete. Die Auktionsverträge, befand das Landgericht Stuttgart (Aktenzeichen 8 O 357/07), könnten unter Berücksichtigung der liberalisierten Auffassungen, die sich heute allgemein durchgesetzt hätten, „nicht als sittenwidrig bewertet werden“.

Weniger schwerwiegende Fälle werden in den hinteren Zimmern, die für die 19 Mitarbeiter etwas klein ausgefallen sind, behandelt. Dort ist der Kundenservice untergebracht, den der Chef für eine „Art Mutter Teresa“ hält. Die Mitarbeiterin, die auch für die Presse zuständig ist, kümmert sich insbesondere um junge Frauen, die ihre Jungfernschaft anpreisen – gegen Höchstgebot versteht sich. Sie sagt, sie sollten sich das gut überlegen, nicht vorschnell handeln, nur weil ein hoher Preis lockt. Aber bei 6650 Euro gehen sie dann doch weg. Die gerichtlich festgestellten „liberalisierten Auffassungen“ schließen auch diesen Warentausch ein.

Die 31-jährige Veronica (Name geändert) denkt, preislich gesehen, nicht in solchen Dimensionen. Sie ist die Frau für den schnellen Sex, was auch damit zusammenhängt, dass sie alleinerziehende Mutter zweier kleiner Kinder ist. Sie nennt sich „Wicked 79“, weil es ihr die Hexen angetan haben. Das Wilde an ihr sind wahrscheinlich die Zungen- und Brustpiercings, mit denen sie lockt, und die fixen Zugriffe im Auto, die sie bevorzugt. Eine Stunde für 119 Euro auf dem Parkplatz, danach muss sie zurück, die Kinderfrau entlohnen, die zwei Stunden auf die Kleinen aufgepasst hat.

Veronica sagt, das mache ihr Spaß, sei sicher und bequem und bisher habe sie nur höfliche und zuvorkommende Männer gehabt. Und das waren immerhin 15 in den vergangenen vier Monaten. „Ich bin Hausfrau, keine Hobbyhure“, betont die strenge Frau, die aus dem „medizinischen Bereich“ kommt, und erzählt, wie es sie angeödet hat, nach One-Night-Stands ständig mit Liebesschwüren und Heiratsangeboten belästigt worden zu sein. So sei alles geregelt: Angebot – Nachfrage – Zeit – Zahlen. Und dass sie den Kindern die Schuhe nicht bei Lidl kaufen müsse, sei auch ein Vorteil.

Nicole liebt, wie beschrieben, die längeren Treffen. Die künftige Sozialarbeiterin ist nach dem Gespräch sofort in die Stadt gefahren, um sich ein rotes Negligé fürs Fest zuzulegen, mit weißen Bommeln an Busen und Bein. Wenn sie damit die Bratwürste und den Kartoffelsalat serviert, kann der Weihnachtsmann kommen.

Josef-Otto Freudenreich[Stuttgart]

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