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Ein Bild aus einer glücklichen Zeit: Brittany Maynard Ende 2013 zusammen mit ihrem Hund Charlie.

© dpa

Recht auf Selbsttötung?: Das öffentliche Sterben der Brittany M.

Eine 29-jährige unheilbar kranke Amerikanerin plant ihren Tod – voraussichtlich für den 1. November Sie hat damit die Sterbehilfe-Debatte in den USA angefacht und bekommt viel Lob. Aber auch viel Kritik. Von der religiösen Rechten.

Brittany Maynard will nicht sterben. Sie muss sterben. Sie will lediglich entscheiden, wann und wo sie die letzte Reise antreten wird. Am nächsten Samstag soll es soweit sein, zu Hause in dem großen Himmelbett, das sie mit ihrem Ehemann Dan teilt, im Dachgeschoss, unter dem Fenster zum Garten . Eigentlich ist es gar nicht ihr Garten, eher eine Behelfslösung. Denn um in Frieden sterben zu können, musste Brittany von San Francisco nach Portland in Oregon ziehen, in einen von fünf amerikanischen Bundesstaaten, die todgeweihten Patienten ein solches Sterben ermöglichen. In Oregon fand sie einen Arzt, der ihr das Betäubungsmittel Secobarbital verschrieb. In einem orangefarbenen Pillendöschen lagern 100 Tabletten, die sie in Wasser auflösen und trinken will – dann wird sie die Augen schließen. Für immer. Mehr als 700 Menschen haben in Oregon ihr Leben selbstbestimmt beendet, seit der Westküstenstaat 1997 das „Death with Dignity“-Gesetz verabschiedet hat.

„Ich liebe das Leben“, sagt Brittany. Sie hat sich ihr Schicksal nicht ausgesucht. Noch vor einem Jahr war die 29-Jährige glücklich, frisch verheiratet, wollte eine Familie gründen. „Wir waren in den Weinbergen Kaliforniens, um auf das neue Jahr anzustoßen.“ Wieder zu Hause ging sie wegen schwerer Kopfschmerzen zum Arzt und bekam die schreckliche Diagnose: ein Gehirntumor. Experten gaben ihr drei bis fünf Jahre zu leben. Brittany erinnert sich an ein ohnmächtiges Gefühl: „Wenn man so jung ist und erfährt, dass man nur noch so wenig Zeit hat, fühlt es sich an, als müsste man morgen sterben.“

Fast so schlimm sollte es kommen: Wenige Wochen später machten die Ärzte eine neue Tomografie und sahen, dass der Tumor gewachsen war. Brittany war im Endstadium und hatte noch sechs Monate. Rettende Behandlungsmethoden gab es keine, das stand fest. Und noch etwas: Brittanys Tod würde qualvoll sein, Persönlichkeitsstörungen und höllische Schmerzen bringen, die sich auch mit starken Morphinen nicht vollständig behandeln ließen. Um dem zu entgehen, beschloss Brittany, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, das Beste zu machen aus der kurzen Zeit, die ihr noch blieb.

„Ich wollte so viel wie möglich erleben, viel Zeit draußen zubringen“, sagt Brittany in einem Online-Video. Draußen, damit meint sie die große, weite Welt. Sie reiste nach Yellowstone und nach Alaska, sie sah die Gletscher am Kenai-Fjord, sie ging eisklettern in Ecuador, paddelte im Kajak vor Patagonien und sah den Gipfel des Kilimandscharo.

In den letzten Monaten hat Brittany Maynard ihr Leben und Sterben im Internet dokumentiert. „Ich tat das nicht, um im Rampenlicht zu stehen“, beteuert sie, auch wenn ihr die millionenfache Zuneigung von Menschen aus aller Welt gutgetan und Kraft gegeben hat. Das „People“- Magazin hat ihr eine Titelstory gewidmet – Auflage: 3,5 Millionen, und doch ist das nur ein Nebenaspekt. Das eigentliche Ziel ihrer Kampagne war eine Kulturrevolution. Brittany will, dass Amerika das Recht auf einen würdigen Tod gesetzlich garantiert. Künftig sollen nicht nur Washington, Montana, New Mexico, Vermont und eben Oregon unheilbar Erkrankten ein selbst festgelegtes Ende erlauben, sondern alle 50 Bundesstaaten. Die Organisation „Compassion and Choices“ tritt seit vielen Jahren für Sterbehilfe ein, die in den USA vor allem am Widerstand der religiös Konservativen scheitert. Die haben kein Problem damit, Kriminelle hinzurichten, halten aber sonst das Leben für das allerhöchste Gut und für unantastbar.

Die Konservativen stellen einen großen Teil der amerikanischen Bevölkerung. Entsprechend bekam Brittany nicht nur Unterstützung, sondern sah sich auch mit heftigem Widerstand konfrontiert. „Was Sie da machen, ist Selbstmord, und das ist verboten“, wetterte ein Kommentator im Internet. „Ich hoffe, Sie werden ewig in der Hölle schmoren.“ Auch von fachlicher Seite gab es Kritik. Der Palliativmediziner Ira Byock, der sich in Büchern und Seminaren medizinischen und ethischen Fragen widmet, der aber gleichzeitig eine streng konservative, politische Agenda verfolgt, trat in mehreren Talkshows auf – immer mit der gleichen Meinung: Die junge Frau solle ihren Tod nicht selbst wählen, sondern sich bis ans Ende behandeln lassen. Moderne Hospizpflege könnte die Patientin schmerzfrei halten. Er warf sogar „Compassion and Choices“ vor, die junge Patientin auszunutzen. In einem offenen Brief wetterte Maynard nun gegen die Aussagen des Mediziners, mit dem sie nie Kontakt hatte und dessen Meinung nicht auf einer persönlichen Untersuchung beruht. „Ich habe meine Entscheidung getroffen, und ich habe sie freiwillig getroffen“, sagt Maynard. „Ich bin nicht depressiv, ich will keinen Selbstmord begehen.“ Es gehe ihr allein um Selbstbestimmung, um die Chance, ihr Schicksal selbst zu lenken und sich nicht einer furchtbaren Diagnose hilflos auszuliefern.

Den religiösen Teil Amerikas beeindruckt das nicht. Maynard hat unzählige Briefe erhalten, die sie überschwänglich bitten, die tödlichen Tabletten nicht zu nehmen und sich lieber dem Gebet zu widmen. Die Patientin blendet solchen Widerspruch aus und kämpft weiter für ihre Entscheidung. Mit Erfolg: Zwei Bundesstaaten, New Jersey und Connecticut, haben neue Gesetzinitiativen vorgelegt und wollen die medizinisch betreute Sterbehilfe schon bald erlauben. „Ich werde den Erfolg dieser Kampagne nicht mehr erleben“, schrieb Brittany auf ihrer Webseite. „Ich hoffe, dass ihr weiterhin dafür kämpft.“

Während die Online-Gemeinde ihre Zeilen las, erfüllte sich Brittany den letzten Traum: Am Freitag flog sie mit ihrer Familie in den Grand Canyon. The last Hurrah! „Es war atemberaubend schön“, schrieb sie über ihren Ausflug. Kaum zurück im Hotel, erlitt sie ihren bisher schlimmsten Anfall, der ihr für Stunden das Sprechvermögen raubte. „Das war eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass die Krankheit eben ihren Lauf nimmt.“ Ob Brittany Maynard letztlich an ihrem festgelegten Termin festhält oder sich selbst noch ein wenig Aufschub gewährt, lässt die junge Frau offen. Wenn es aber soweit ist, wird sie ihre Lieblingsmusik einschalten, ihren Mann Dan, ihre beste Freundin, Mutter und Stiefvater zu sich bitten, und den erlösenden Cocktail trinken.

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