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Panorama: Reemtsma-Prozess: Die Entführung ist noch nicht zu Ende

"Ich habe den Angeklagten in seinem Verhalten sehr genau wiedererkannt, mit seinem Grandiositätsphatasien und seinem Gekränktsein, dass sich der Lauf der Welt ihm nicht fügt," sagte der Hamburger Wissenschaftler Jan-Philipp Reemtsma am Donnerstag. Es war der Auftakt seiner Zeugenvernehmung im Prozess gegen seinen Entführer Thomas Drach.

"Ich habe den Angeklagten in seinem Verhalten sehr genau wiedererkannt, mit seinem Grandiositätsphatasien und seinem Gekränktsein, dass sich der Lauf der Welt ihm nicht fügt," sagte der Hamburger Wissenschaftler Jan-Philipp Reemtsma am Donnerstag. Es war der Auftakt seiner Zeugenvernehmung im Prozess gegen seinen Entführer Thomas Drach. Drach ist nach Ansicht der Ankläger und nach Aussagen seiner Mittäter der Kopf der Bande, die ihn im Frühjahr 1996 vor seiner Villa in Hamburg-Blankenese entführt haben. Erst nach 33 Tagen wurde Reemtsma freigelassen, nachdem die Familie 30 Millionen Mark Lösegeld gezahlt hatte. Der Zeugenaussage Reemtsmas machte deutlich, dass die Geiselnahme ihn noch immer erheblich belastet. "Ich leide nach wie vor unter den Folgen der Entführung," sagte Reemtsma.

Das Gleiche gelte für seine Frau und seinen Sohn, der zum Zeitpunkt der Tat 13 Jahre alt war. Alles habe seine Selbstverständlichkeit verloren, als könne die Welt täglich an einer anderen Stelle wieder einbrechen. Das gelte in besonderem Maße jetzt während gegen Drach, den Reemtsma immer nur den "Angeklagten" nennt: "Dann sind die schlimmen Träume wieder da." Vieles sei durch das damalige Geschehen vergiftet worden. Das betreffe einzelne Worte wie "Keller", denn Reemtsma war die 33 Tage lang in einem Kellerverlies angekettet. Aber es gilt genauso etwa auch für das Singen der Vögel im Frühling, der Jahreszeit, in der er entführt worden war.

Reemtsma schilderte noch einmal genau den Ablauf der Entführung von dem Überfall auf seinem Grundstück, bei dem seiner Ansicht nach nicht nur zwei sondern drei Personen beteiligt waren, bis zu seiner Freilassung in einem Waldgebiet südlich von Hamburg. Er hatte in dieser Zeit von keinem seiner Entführer das Gesicht sehen können, sich aber zahlreiche Einzelheiten gemerkt. So hat es nach seiner Kenntnis eine klare Hierarchie unter den Entführern gegeben. Sein einziger Gesprächtpartner sei der Angeklagte gewesen, den er "Engländer" nannte, weil er nur Englisch mit ihm gesprochen habe. Verblüfft war Reemtsma, wenn sich dieser Mann nach einer gescheiterten Geldübergabe darüber beschwerte, die Polizei, Reemtsmas Anwalt oder Familie sei nicht verlässlich: "Ich fand das eine bemerkenswerte Äußerung von einem Menschen, der Familien terrorisiert und Menschen verschleppt."

Die Angst vor dem Tod sei nicht das Schlimmste in der Geiselhaft gewesen, sagte Reemtsma weiter. Auf den Tod könne man sich vorbereiten. "Am Schlimmsten war die Ungewissheit, wann und auf welche Weise der Tod eintreten wird, die Tatsache, Menschen ausgesetzt zu sein, die sich qua Macht anmaßten, darüber bestimmen zu können." Das Leben in dieser Unsicherheit sei "zur vorherrschenden Qual" geworden. So habe er befürchtet, von den Geiselnehmern gefesselt zurückgelassen zu werden und dann zu verdursten. Als ihm angedroht wurde, man werde ihm einen Daumen abschneiden, habe er weniger Angst vor dem Abschneiden des Fingers gehabt und sich viel mehr Sorgen gemacht, die Wunde könnte sich hinterher entzünden. Er habe deshalb um Schmerztabletten und Antibiotika gebeten.

Erst in der letzten Phase hatte er davon erfahren, dass die Täter eine Handgranate am Ort der Entführung hinterlassen hatten, um ihren Drohungen Nachdruck zu verleihen. Da hatte sich Reemtsma gefragt, ob seine Frau vielleicht bereits tot sei und sein Sohn Halbwaise. Da wollte er unbedingt am Leben bleiben und entwickelte den Plan, nach den gescheiterten Geldübergaben das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" einzuschalten. Doch die letzte Geldübergabe durch den Kieler Sozialogen Lars Clausen und den Hamburger Pastor Christian Arndt klappte. Reemtsma kam frei.

Drach hat inzwischen seine Beteiligung zugegeben, sich zur Tat bisher aber nicht geäußert. Der 40-Jährige hat Angaben über den Verbleib der 30 Millionen Mark Lösegeld angekündigt. Bei einer Verurteilung muss er mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen. Wegen ihrer Beteiligung an der Entführung sind bereits drei Männer verurteilt worden. K.  erhielt zehneinhalb Jahre Haft, Peter Richter fünf und der Pole Piotr Laskowski sechs.

Karsten Plog

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