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Panorama: Reise nach Jerusalem

Eine streng christliche Familie aus Süddeutschland irrt durch Syrien Richtung Israel und lässt ihre Kinder betteln

Über Nacht waren sie verschwunden: Vater, Mutter, sechs Kinder. Ihre Spur verliert sich an der türkisch-syrischen Grenze. Die deutschen Behörden lassen nach der Familie aus Ringsheim (Ortenaukreis) per Interpol fahnden. Und die Öffentlichkeit schüttelt den Kopf: Was sind das nur für Eltern?

Das Ehepaar gilt in dem badischen Dorf als sonderlich. Eigenbrötler, aber ordentlich, die Kinder gepflegt, immer ein anständiges Pausenbrot für die Schulpause, der Vater ziemlich verschlossen. Und sehr, sehr religiös. Sie gehören zur Freien Christengemeinde. Und der Mann ist besessen von einer Idee: nach Jerusalem zu gehen. Dorthin ist er auf dem Weg, mit der gesamten Familie. Per Bahn sind sie unterwegs, wollen über Syrien nach Israel, so die Informationen der Polizei. In der südtürkischen Stadt Adana sind sie aufgefallen, als sie in einem Hotel vor der Innenstadt bettelten. Die Kinder sollen im Müll gewühlt haben. Die türkische Polizei verhörte die Eltern, fuhr sie danach zum Bahnhof, damit sie dort ihr Gepäch abholen konnten. Von dort ging es per Bus weiter nach Hatay zur syrischen Grenze. Jetzt sucht Interpol nach ihnen. Die Eltern hätten nämlich gar nicht mit den Kindern wegfahren dürfen. Sie haben kein Sorgerecht mehr. Das wurde ihnen vom Jugendamt in Offenburg entzogen.

Weiße Kinder, bettelnd in Afrika

Ein halbes Jahr ist es her, seit die Familie das erste Mal für Schlagzeilen sollte. Als „Reise nach Jerusalem" ging die eigentümliche Pilgerfahrt per Fiat Panda durch Presse und Rundfunk. Zu siebt waren sie in Ringsheim in ihrem kleinen Auto gestartet, beseelt von dem Gedanken an Jerusalem und ausgestattet mit nur geringen Kenntnissen der Weltkarte. So verirrten sie sich. Monatelang waren sie in Afrika unterwegs, weitab vom gelobten Land, die Kinder in einem verwahrlosten Zustand, sie trugen Lumpen und bettelten. Ein seltenes Bild: Weiße Kinder betteln in Afrika auf der Straße. Die Frau war hochschwanger, gebahr in Afrika ein Baby. Der Mann verkaufte den Fiat Panda. In Mali wurden sie schließlich von Mitarbeitern der deutschen Botschaft aufgegriffen. Die organisierte die Heimfahrt. „Gott gibt alles, was wir brauchen" sei ihr Lebensmotto gewesen, teilte die Polizei anschließend mit.

Seit ihrer Rückkehr ermittelt die Staatsanwaltschaft in Freiburg wegen Verletzung der Fürsorgepflicht der Eltern. Kein leichtes Unterfangen, gilt es doch gerichtsverwertbar nachzuweisen, dass die Kinder bei der Auslandsreise gesundheitlichen oder psychischen Schaden erlitten haben. Indirekte Rückendeckung gab es für die Eltern vor einem halben Jahr vom Jugendamt: Das entzog Vater und Mutter zwar das Sorgerecht, beließ die Kinder aber bei den Eltern. Mehrmals pro Woche bekamen sie von nun an Besuch von Vertretern des Amtes, Mitarbeiter der Familienhilfe kümmerten sich um die Jungen und Mädchen. Als „Nacht- und Nebelaktion" bezeichnete der Sozialdezernent des Ortenaukreises, Georg Benz, das erneute Verschwinden der Familie.

Das war erst einige Tage nach dem Ende der Herbstferien aufgefallen, weil die Kinder nicht mehr die Schule besuchten. Allzu viele Sorgen machte man sich im Jugendamt indes nicht. Man glaubte, die Familie halte sich im benachbarten Elsass auf. Da waren die acht Ringsheimer schon mehr als tausend Kilometer weit entfernt. Als der TV-Sender RTL anfragte, schreckte man im Landratsamt hoch. Die Fernsehjournalisten hatten einen Bericht der türkischen Tageszeitung „Hürriyet" aufgegriffen, in dem über die seltsamen Deutschen in Adana berichtet wurde. Wie seinerzeit in Afrika bettelten die Kinder auf der Straße.

Wo die Familie derzeit ist, wissen die Behörden nicht. Bei der Polizeidirektion Offenburg hat man Informationen, dass der Vater Asyl in Israel beantragen will. Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden lässt über Interpol nach den zwei Erwachsenen und sechs Kindern fahnden, Suchmeldungen gingen an die internationalen Polizeipartner in Tel Aviv, Damaskus und Algier. An einen Fall wie diesen kann sich Dirk Büchner, stellvertretender Pressesprecher des BKA, nicht erinnern. Betrüger, Mörder, Bankräuber werden international gesucht, oft auch Väter, die sich von ihrer Frau getrennt haben und die Kinder ins Ausland entführen. Aber ein Elternpaar, das mit den eigenen sechs Jungen und Mädchen unterwegs ist? „Die Sache ist hier etwas verwickelt," meint Büchner. Was mit der Familie geschieht, wenn man sie findet, ist unklar. Interpol soll lediglich den Aufenthaltsort bestimmen, nicht die Eltern verhaften. Spielen die mit, könnte die deutsche Botschaft im jeweiligen Land die Rückfahrt organisieren.

Was geschieht danach? Zunächst einmal dürfte sich, wie nach der ersten Reise der Familie, ein gewaltiger Medienrummel in Ringsheim breit machen. Vielleicht zwei, drei Tage lang. Dann beginnt die Suche nach einem geregelten, normalen Leben. Zumindest im Jugendamt wird man sich darüber Gedanken machen. Welche Freiheit darf, welche Freiheit muss man einem streng Religiösen einräumen, der seine sechs Kinder monatelang verwahrlosen lässt? Ob die Kinder weiterhin bei ihren Eltern bleiben dürfen? „Wir werden unsere Entscheidung auf jeden Fall überprüfen", sagt Christian Eggersglueß, Pressesprecher des Landratsamtes. Nach der ersten gescheiterten Israel-Fahrt hatte man es für besser befunden, wenn die Familie nicht getrennt wird – zum Wohl der Kinder. Dem Vater schient dieses indes nicht das wichtigste zu sein. Er träumt lieber seinen Traum von Jerusalem.

Peter Bomans[Offenburg]

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