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Namib

© Markus Poch

Abenteuer Natur: Kleine Riesen in der Wüste

Die großen Sanddünen zwischen Swakopmund und Walvis Bay bieten Touristen ein weltweit einmaliges Biotop. Die täglichen Tropfen des Küstennebels lassen Flora und Fauna am Leben.

Chris legt den Kopf auf den Sand. Außer Sand gibt es am steilen Hang dieser Düne in der Wüste Namib scheinbar nichts. Allerdings, Chris weiß mehr: Er kniet dicht über dem kleinen Loch. Mit den Fingern gräbt er darin – eifrig, doch vorsichtig und konzentriert. Die Luft ist knochentrocken und angenehm warm. Am Fuße der Düne, neben den beiden Landrovern, stehen gespannt die Gäste des Naturführers. Die kleine Gruppe sind normale Reisende, die nur eine ungefähre Vorstellung von dem haben, was sie in diesem Teil Namibias erwartet.

Auf keinen Fall werden sie hier die Tiere zu Gesicht bekommen, wie sie weiter im Norden Namibias Millionen Reisende in den Etoscha-Nationalpark locken. Nein, so etwas wie die „Big Five“ (Löwe, Leopard, Elefant, Büffel, Nashorn), mit denen Safari-Veranstalter im südlichen Afrika um Touristen buhlen, gibt es nicht in der kargen Küstenregion bei Swakopmund. Chris gräbt zuversichtlich weiter. Zwischendurch war er aufgesprungen, hatte die Sandoberfläche eingehend studiert, um sechs Meter weiter in Richtung des Dünenkammes zielstrebig erneut ein Löchlein zu buddeln. Plötzlich hält er inne, wischt den Schweiß von der Stirn: „Ich habe ihn“, sagt der „Sandmann“ in gebrochenem Deutsch und strahlt seine Gäste an. „Wollt ihr ihn sehen?“ Natürlich. Neugierig arbeiten sich die Jungen und die Älteren durch den tiefen, immer wieder nachsackenden Sand die Düne hinauf. Was sie dort auf der Hand des Naturführers sitzen sehen, verschlägt zunächst allen die Sprache: „Das ist ein Netzfuß-Gecko“, erklärt Chris stolz das zerbrechlich wirkende Tier. „Er gehört zu meinen persönlichen ,Little Five‘.“

Der Gecko, eine etwa zwölf Zentimeter lange, nachtaktive Echse, blickt mit seinen überdimensionalen, schwarzen Knopfaugen in die staunende Runde. Sein kleiner, rötlicher, sehr transparenter Körper steht hochbeinig auf vier Grabfüßchen, die aussehen wie winzige Schaufeln. Rückenpartie und Schwanz sind goldgelb gefärbt. „Dieses Wunderwerk der Natur gibt es nur hier“, erklärt Chris, während er das seltene Tier schützend in seinen Körperschatten zieht. „Ihr solltet schnell ein Foto machen, sonst überhitzt der kleine Kamerad.“ Im nächsten Augenblick wird der Gecko unruhig. Er deutet damit unmissverständlich an, dass er sich bei Tageslicht nicht wohlfühlt. Chris bugsiert ihn behutsam zurück in die Erdhöhle und verschließt wieder das Loch.

Die großen Sanddünen zwischen Swakopmund und Walvis Bay – „mein Arbeitsplatz“ wie der Naturführer Nel es nennt – sind die westlichsten Ausläufer der Wüste Namib. Sie enden direkt am Atlantik. Wegen der extremen klimatischen Verhältnisse (hohe Temperaturschwankungen, niemals Regen) ist hier ein sehr sensibler Naturraum entstanden. Sämtliche Feuchtigkeit, die die stark spezialisierte Flora und Fauna am Leben erhält, entstammt den Küstennebeln, die sich alle paar Tage an Pflanzen und Tieren niederschlagen. Einige Tropfen reichen aus, um eine Nahrungskette aufzubauen, in der auch der Netzfuß-Gecko sein Plätzchen hat. Chris Nel erklärt die Zusammenhänge mit so viel Witz und biologischem Sachverstand, dass selbst Menschen ihm begeistert zuhören, die sich sonst weniger für Reptilien, Insekten und Spinnentiere oder Botanik interessieren.

„Hier zum Beispiel haben wir den Toyota-Busch“, betont er und deutet auf ein recht armselig erscheinendes Gestrüpp. Ein Teilnehmer, ein Lehrer, will sofort wissen, woher der seltsame Name stammt. „Wenn du davon ein paar Blätter in der Hand zerquetscht, dann fließt daraus wertvolles Trinkwasser. Das brauchst du, wenn dein Toyota in der Wüste verreckt“, erklärt Chris. Besserwisserisch meint der Lehrer, dass der Busch dann ja genau so gut Landrover-Busch heißen könnte. „Nein“, sagt Offroad-Fan Chris schmunzelnd: „Der Landrover verreckt ja nicht…“ Als die Lacher verklungen sind, greift der Naturführer zu einem kleinen Knäuel aus Fasern, Blattresten und Partikeln, das ihm neben dem Busch am Fuße der Düne aufgefallen war. „Was ihr seht, ist Käfer-Müsli“, sagt er. „Davon ernähren sich in der Namib die Termiten, Silberfische und Klopfkäfer. Von denen wiederum leben die größeren Tiere.“ Zu besagten „größeren Tieren“ zählen auch Christophers „Little Five“, die kleinen Riesen der Wüste. Sie auf den weiten, vom Wind geformten, ständig veränderten und optisch doch nahezu identischen Sandhängen zu finden, hat er sich zur Aufgabe gemacht. Um immer auf dem neuesten Stand zu sein, liest er aufmerksam die „Buschmann-Zeitung“. So nennt Chris die von feinsten Abdrücken durchsetzte Oberfläche der Dünen. Unsichtbar für jedes ungeschulte Auge, verraten ihm diese Spuren, welche Tiere wann wohin gelaufen sind. Und dann hat der Sandmann sie plötzlich in der Hand – aufgegriffen scheinbar aus dem Nichts.

Neben dem Netzfuß-Gecko spürt der 37-Jährige so auch die Schaufelnasen-Echse auf, die wie ein Fisch durch den Sand taucht. Oder den Sidewinder, eine kleine Schlange, die sowohl den Gecko gerne verzehrt, als auch die Schaufelnasen-Echse. Im selben Biotop lebt die „Weiße Dame“: Das ist eine Spinne, die bei Gefahr ihre Beine anzieht und als Kugel blitzschnell die Düne hinab rollen kann. Wenn Sie Pech hat, wartet unten das hungrige Wüstenchamäleon. Doch das sitzt am liebsten getarnt im Toyota-Busch und wartet auf saftige Klopfkäfer, die „wandelnden Wasserflaschen“ der Wüste. Oft hat Chris davon einige als Lebendfutter dabei und führt seinen Gästen vor, wie das Chamäleon die Insekten per Schleuderzunge „abschießt“.

Mit seinen „Living desert adventures“ (www.living-desert-adventures.com) will Chris die eigene Existenz sichern, aber gleichzeitig eine Lobby aufbauen für den weltweit einmaligen Biotop. Das ist dringend erforderlich, denn die Dünen sind bedroht – von Industrieansiedlungen, Straßenbau, Zivilisationsmüll von „Abenteuer-Veranstaltern“, die mit Geländewagen, Motorrädern oder Sportgeräten aus Spaß an der Freude und wenig zimperlich durch die Wüste donnern – ohne Rücksicht auf die zerbrechliche Wunderwelt der „Little Five“.

Markus Poch

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