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Archaische Bewohner des „Rhino Camps“. Wie viele der Tiere es dort gibt, wird geheim gehalten – wegen der Wilderer.

©  D. Allen

Dem Nashorn auf der Spur: Wer schleicht, hat Chancen

Fünfmal so groß wie Berlin ist die Palmwag Concession, ein Nashorn-Schutzgebiet in Namibia. Besucher können die seltenen Tiere dort in freier Wildbahn erleben.

Es ist 8.37 Uhr, und der Jeep bremst abrupt. Johann, namibischer Guide, deutscher Vorname, afrikanischer Nachname, hat zwei graue Rundrücken ausgemacht. Sie lugen hinter einem blassgrünen Strauch hervor. Die Mitreisenden begreifen, dass diese bebenden Hügel zu zwei Nashörnern gehören. Bei genauerem Hinsehen wird klar: Es sind ein Weibchen und sein Kalb.

Johann legt den Finger an die Lippen. Nicht reden, wenn ein Nashorn in der Nähe ist! Keine hektischen Bewegungen! Keine Parfüms! Denn die Dickhäuter haben zwar ein schlechtes Sehvermögen, aber einen fantastischen Geruchssinn.

Johann bewegt sich wie in Zeitlupe, steigt aus dem Jeep, schleicht hinter das Auto und stellt sein Funkgerät an. Er kommuniziert mit den „Rhino Trackern“, die in einem anderen Teil der namibischen Steinwüste Nashörner aufspüren, und flüstert schließlich: „Wir müssen gehen.“ Die Kuh ist den Wildhütern bekannt. Sie hat vor einigen Monaten ein Jungtier verloren, als sie panisch vor Menschen floh und der Stress ihre Muttermilch nährstoffarm machte.

Die Population nahe dem Camp ist einzigartig

Mit einem Ruck stehen die Tiere auf. Wo eigentlich das Horn sein sollte, hat die Mutter nur einen Stumpf. Sie wendet den Kopf in Richtung des Jeeps, der 80 Meter entfernt auf der Schotterpiste steht, schürzt die fleischigen Lippen und nimmt Witterung auf. Das Kalb drängt sich dicht an sie. Plötzlich rennen beide weg. Johann wirbelt mit seinen Schuhen den Boden auf. Ein Test. Der Staub fliegt von ihm weg. „Der Wind hat gedreht“, sagt er. Deshalb haben die Nashörner die Menschen gerochen.

Johann hat die Tiere zufällig entdeckt. Auf dem Hochplateau im Nordwesten Namibias, am Fuße der Etendeka-Berge, Spitzmaulnashörner anzutreffen, dafür brauchen Reisende Glück und Geduld.

In vielen Nationalparks und privaten Wildreservaten Afrikas besteht die Möglichkeit, einer der beiden dort heimischen Nashornarten zu begegnen. Doch die Population nahe dem Camp ist einzigartig. Erstens sind die Tiere an das Wüstenklima angepasst. Zweitens leben sie komplett frei; kein Zaun hält sie in einem – wie großzügig auch immer bemessenen – Park.

Hier leben kaum Menschen, dafür umso mehr Nashörner

Sie gehören damit zur größten frei umherziehenden Population des Kontinents. Die Nashörner wandern zwischen der Skelettküste am Atlantik und dem Etosha-Nationalpark im Landesinneren auf tausend Kilometern hin und her. Allein 4500 Quadratkilometer groß – die fünffache Fläche Berlins – ist die Palmwag Concession Area mit dem „Rhino Camp“.

Dass die gefährdeten Säugetiere hier so ungestört umherziehen können, liegt am unwirtlichen Gelände. Namibia ist mit 2,56 Einwohnern pro Quadratkilometer eines der am dünnsten besiedelten Länder Afrikas. In der trockenen Region Kunene leben besonders wenige Menschen. Hinzu kommt, dass eine Naturschützerin vor 20 Jahren alle Farmen der Palmwag Concession aufkaufte, die Zäune niederreißen ließ, sich mit der Nashornstiftung verbündete und ein riesiges Schutzareal schuf. Nur eine Straße führt hinein und hinaus. Am Tor müssen Besucher ihr Auto abstellen; ein Jeep bringt sie ins zwei Stunden entfernte Cam.

Der Zugang zur Unterkunft ist einem ausgesuchten Kreis erlaubt. Entweder ist man Gast in der Lodge mit ihren acht Hütten – oder Wissenschaftler des „Save the Rhino Trust“. So unterstützt der Tourismus die Forschung und den Kampf gegen die Wilderei. Diese bedroht die Dickhäuter nach wie vor. Die Wildhüter der Palmwag Concession halten die Zahl der Nashörner geheim, um den Wilderern ihr tödliches Handwerk zu erschweren. Man kann nur vermuten, dass es sich um einen Bestand in dreistelliger Höhe handelt.

Wer als Tourist ein Spitzmaulnashorn erleben will, muss früh aufstehen. Jeden Morgen um 6.30 Uhr macht sich eine kleine Gruppe aus dem Camp auf den Weg. Tagsüber erreicht das Thermometer 30 Grad, kurz nach Sonnenaufgang sind es lausige zehn. Zum Glück hat Johann Wolldecken dabei, in die sich die Gäste einwickeln wie in einen Kokon.

"Every tree is a leopard tree" - auf jedem Baum könnte ein Leopard lauern

Nicht ganz so selten, aber auch ein sehr besonderer Anblick in Afrikas Wildbahn.
Nicht ganz so selten, aber auch ein sehr besonderer Anblick in Afrikas Wildbahn.

© Philipp Laage/dpa

Auf der Buckelpiste geht es langsam vorwärts. Ringsum erheben sich die Etendeka-Berge, die wie abgeschnittene Kegel aussehen. Das Millionen Jahre alte Lavagestein glänzt in der Morgensonne. Karg ist diese Landschaft. Hier soll man Tiere entdecken können?

Johann hat Luchsaugen. „Da, schwarze Punkte am Horizont“, sagt er – Strauße! Dort, sandfarbene Striche, die sich wie Schiffe bei Wellengang heben und senken – Giraffen! Plötzlich ein schwarz-weißer Fleck am Wegesrand – eine Oryx-Antilope! Innerhalb von zwei Stunden, in denen sich der Wagen allmählich dem nordwestlichen Teil des Schutzgebietes nähert, sehen die Gäste Große Kudus mit Hörnern wie Schraubgewinde, kleine Springböcke, wachsame Schakale und sogar eine kleine Gruppe Wüstenelefanten.

Johann zeigt auf einen buschigen Strauch, der hier überall wächst. Milchbusch nennen ihn die Einheimischen. „Hochgiftig“, sagt Johann. Er bricht einen der Zweige auf – ein weißer klebriger Saft tropft heraus, der für Menschen tödlich sein kann – und erzählt von einer Gruppe Reisender, die mit solchen Zweigen ein Barbecue befeuerten. Über den Rauch sei das Gift ins Fleisch gelangt. „Alle sind gestorben“, sagt Johann. Dann bittet er die Touristen, sich lieber hinter einem Milchbusch zu erleichtern als unter einem der wenigen Akazienbäume. „Every tree is a leopard tree“, gilt in Namibia: Auf jedem Baum könnte ein Leopard lauern.

Ein Wildhüter taucht wie aus dem Nichts auf

Dann liegen plötzlich die beiden Nashörner vor uns, die Kuh mit ihrem Kalb. Als sie sich erheben und wegrennen, sehen alle das abgesägte Horn. Eine Vorsichtsmaßnahme. Damit wollen die Wildhüter die Tiere vor dem Abschuss bewahren. Ohne Horn sind sie wertlos für Jäger.

Eine Stunde später. Der Wagen parkt nun in einer Senke, ein Wildhüter in tarngrüner Kleidung taucht wie aus dem Nichts auf. Es ist Jason, einer der „Rhino Tracker“. Er redet leise mit Johann, beide flüstern den Urlaubern kurze Kommandos zu. „Zwei Nashörner. Höchstens einen Kilometer entfernt. „Ruhig hintereinander gehen. Mam, den weißen Hut absetzen.“ Was war das eben für ein Geräusch? Hinter einem Hügel warten zwei weitere „Tracker“. Walter und Denzel, ein alter und junger Mann; zusammen mit Jason sind sie seit fünf Uhr morgens unterwegs. Stunden später haben sie eine andere Mutter und ihr Jungtier aufgespürt.

Jason und Walter sind vom Stamm der Himba. Sie leben im Nordwesten des Landes. Wenn die beiden Männer miteinander reden, klingen einige Laute wie das Klicken von Lichtschaltern. Schon als Kinder haben sie von ihren Eltern und Großeltern gelernt, wie man sich von Nashörnern fernhält – oder sich an sie heranpirscht. Was als Überlebens- und Jagdstrategie gelehrt wurde, nutzen die jungen Männer heute, um die Tiere zu beobachten und zu beschützen.

Das Klicken einer Spiegelreflexkamera. Sofort sind die Tiere alarmiert

Nach 800 Metern durch das hügelige Gelände erreicht die Gruppe ihr Ziel – eine Anhöhe, von der aus man auf eine gut 100 Meter entfernte Senke schauen kann. Zwei silbergraue Körper drücken das Buschgras platt. Zwei Urgeschöpfe der Evolution, gehetzte Kolosse, ständig auf der Flucht vor feindlichen Zweibeinern.

Zuerst stellt das Muttertier die Ohren auf. Da war doch was? Sie wuchtet ihren tonnenschweren Körper hoch, schaut in Richtung Wildhüter, riecht nichts; der Wind steht günstig für die Beobachter. Keiner wagt sich zu bewegen. Das Klicken einer Spiegelreflexkamera. Sofort sind die Tiere alarmiert. Sie rennen davon. Am höchsten Punkt auf dem gegenüberliegenden Hügel bleiben sie stehen.

Menschen und Tiere beäugen sich. Nach knapp 20 Minuten gibt Jason ein Zeichen: Rückzug. Die Nashörner sollen nicht das Gefühl bekommen, verfolgt zu werden. Vier Exemplare eines der seltensten Säugetiere der Welt gesehen, was für ein Morgen!

Namibia auf der ITB in Halle 20 zu finden.

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