zum Hauptinhalt
In diesem Canyon unterhalb der Bergoase Tamerza lässt sich die spannende Erdgeschichte an den Felswänden ablesen.

© Uli Schulte Döinghaus

Tunesien: Im Rhythmus der Hexe

Drei Jahre nach dem Sturz Ben Alis blickt Tunesien vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Und bastelt an Konzepten, damit die Touristen wiederkommen.

Man zupfe ein Blatt vom Kapernstrauch, beiße so lange darauf herum, bis Flüssigkeit austritt. Diese verteile man mit dem Zeigefinger anschließend über die Vorderseite des Blattes, und zwar sehr sorgfältig. Mit dem Ergebnis wird die eigene Stirn bedeckt, die Flüssigkeit wirkt sofort – erstens haftet sie auf der Haut, zweitens brennt und zwiebelt sie ein wenig, drittens vertreibt sie Kopfschmerzen und trübe Gedanken. Das behauptet jedenfalls Mohammed, und er grinst dabei so ansteckend wie einer, der nicht weiß, was Kopfschmerzen und Trübsinn sind, jedenfalls so lange nicht, wie Kapernblätter in erreichbarer Nähe sind.

Mohammed führt Fremde durch die Wüstenlandschaften und Canyons rund um die Bergoase Tamerza nahe der algerischen Grenze. Mohammed zuzuhören ist, als belege man parallel Vorlesungen in Botanik, Naturheilkunde, Mineralogie und Paläontologie. Die Wüste – sie lebt. Hier hebt der Guide ein versteinertes Schneckengehäuse aus dem Wüstensand, dort bröselt er an einem unscheinbaren Brocken herum und bricht ihn zu wunderbaren Amethysthälften auf, dort deutet er auf ein perfekt getarntes Fröschlein im Schatten eines Steins, hier folgt er der Spur eines Wüstenfuchses, drüben wiederum zeigt er auf eine Blüte, die, als Tee gebrüht, ein ausgezeichnetes Heilmittel sei, besonders hilfreich bei nachlassender Manneskraft – eine wahre Obsession in der nordafrikanisch-arabischen Männerkultur.

Manchmal ist der Raum zwischen den Felswänden so schmal, dass der Weg nur im Passgang weiterführt. Die Beine keilen sich spagatartig zwischen dem Marmor, durch den sich seit Jahrhunderttausenden das Wasser mal als Rinnsal schlängelt, mal als reißender Schwall bricht, je nachdem wie heftig die seltenen Regengüsse in den Ausläufern des Atlasgebirges niedergehen.

Wahre Canyons haben sich zu Füßen der Bergoase Tamerza gebildet, an deren Wänden, funkturmhoch, das Echo bricht und das Flüstern verstärkt. Jenseits des Canyons rücken Gebirgszüge in den Himmel, die Bergkämme fallen leicht ab und sind – gegen die Sonne betrachtet – gezackt wie der Rücken eines kampfbereiten Dinosauriers. Die Magie der Landschaft (und natürlich die spottbilligen Statistenhonorare) hat in der Vergangenheit immer mal wieder Locationmanager und Filmproduzenten angelockt: Viele Einstellungen des Oscar-gekrönten „Englischen Patienten“ wurden hier gedreht. In jüngster Zeit, so war neulich zu lesen, sei es um die tunesische Filmwirtschaft nicht zum Besten bestellt, man wolle das Marketing ankurbeln.

Faszination Wüste

Die touristischen Märkte im Süden und der Mitte Tunesiens zu entwickeln – das ist auch das erklärte Ziel des amtierenden Ministers Jamel Gamra. Er wünsche sich einen gemeinsamen Tourismusetat, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel, an dem sich die Provinzen des Südens und der Mitte mit verschiedenen Ressortministerien beteiligen sollen. So könnte eine eindrucksvolle Dachmarke entstehen. Die Wüstenregionen sollen ihr eher unübersichtliches Image abstreifen, das bisher von vereinzelten Grenzscharmützeln, Entführungen und Überfällen geprägt war, und sie sollen (wieder) zu einem Reiseziel werden, in dem sich die Faszination des Wüstenerlebnisses auf den Spuren nomadischer, arabischer, römischer und phönizischer Traditionen mit Geschichts- und Naturtourismus verbindet.

Wie im Fokus eines Brennglases können Besucher diese Anstrengungen betrachten, wenn sie Festivals besuchen, die das ganze Jahr über in Tunesien gefeiert werden. Den Reigen eröffnen, immer um die Jahreswende, die Festivals in Tozeur und Douz.

Jetzt, im Winter, fegen manchmal Wüstenwinde über die Schauplätze, die sich bisweilen zur Sturmstärke hocharbeiten und alles und jeden mit feinem Sand belegen. Umso wirkungsmächtiger ist der Eindruck – wie Schemen vor graugelbem Schleier führen vermummte Beduinen ihre Dromedare durch die Szenerie; die Zuschauer am Randes des Festplatzes nehmen sie wie Schattenrisse wahr, die vor dem Horizont paradieren, an Zelten vorbei, deren Bahnen sich lösen und im Wind aufflattern.

Von Zeit zu Zeit preschen Reiter durchs Bild, steigen aus dem Sattel und grüßen, ganz stolze Stuntmen und Cascadeure, huldvoll ins geneigte Publikum. Dazu trommeln und pfeifen Musiker in weißen Traditionsgewändern, Flaggen aus allen Ländern des Maghreb werden hochgezogen, während sich die Gäste aus Libyen, Algerien und Marokko präsentieren. Junge Frauen tanzen dazu und halten Tücher gegen die Sonne und in die Sandböen, dass sie im Aufbauschen der Laken schier verschwinden.

Die Wüste lebt

Der Guide Mohammed kennt die Geheimnisse der faszinierenden Steinlandschaft - und weiß, was eventuell gegen den Kater hilft.
Der Guide Mohammed kennt die Geheimnisse der faszinierenden Steinlandschaft - und weiß, was eventuell gegen den Kater hilft.

© Uli Schulte Döinghaus

Der groß angekündigte Schaukampf zweier Dromedarmännchen verkümmert zu einem routinierten Getändel, die Kerle haben keinen Bock auf Zoff. Eine grau geschleierte Mannschaft tritt gegen weiß gewandete Gegner in einer Art Wüstenhockey an, wo es gilt, ein Lappenknäuel mittels eines Hirtenstocks siegreich zu einer Stelle zu knüppeln, die im Sandgestöber nicht auszumachen ist. Macht nichts. Zwei Windhunde werden auf die Jagd nach einem Kaninchen gehetzt, das verzweifelt um sein Leben rennt und dabei Haken um Haken schlägt – vergeblich. Das Publikum – ansonsten sparsamst mit Applaus – rast schier vor Beifall.

Staatliche und zivilgesellschaftliche Repräsentanten – fast durchweg Männer – nehmen in Ehrenlogen Platz und schauen wichtig drein. Der beleibte Regierungsfotograf knipst Honoratioren in Serie. Einige ältere Herren scheinen etwas indigniert zu sein, während sie einem Breakdancer zuschauen, der das Festival in Tozeur mit einer Art Schlangentanz beschließt, in dem sich westliche und arabische Stilelemente verbünden.

Abends, in den geschäftigen Medinas, den Altstädten, finden die Festivals ihre Fortsetzung; auf den Tuch- und Gemüsemärkten wird offensichtlich gut ge- und verkauft, Touristen feilschen an Kram- und Andenkenständen – Tunesien rappelt sich auf, kommt im dritten Jahr nach der Revolution allem Anschein nach wirtschaftlich wieder in Fahrt.

Hier spielt die Musik

Douz, das seinen Namen der Banalität zu verdanken hat, dass hier mal das 12. Regiment („La Douzième“) der französischen Kolonialarmee stationiert war, ist auch für einheimische Urlauber aus dem Norden ein beliebtes Ziel. Wer sich, vielleicht auf den Spuren der eigenen Familie, für eine Auszeit zurückziehen will, landet nicht selten im Wüstencamp Mehari Zafraane, etwa 25 Kilometer von Douz entfernt. Hier wird ein einfaches Essen, wenngleich stilvoll, serviert.

Danach spielen Musiker zum individuell gehopsten Tanzvergnügen auf, bevor sich die Gäste in ihre Zelte zurückziehen und der Kälte unter Schichten von Kamelhaardecken trotzen. Zum Sonnenaufgang klettern sie die Dünen hinauf, trampeln ein wenig die Kälte aus den Knochen, starren dann aber nur noch und verharren, als wollten sie mit dem facettenreichen Gleichmaß der Wüste eins werden. Diese Weite! Sand scheinbar ohne Ende und in einer Formenfülle, die einem Sprache, Hören und Schauen verschlägt! Aber die Wüste, sie lebt – wie grüne Kleckse wirken vereinzelte Büsche, und dort hinten, bevor sich der Horizont aus dem Blickfeld krümmt, ist sogar eine Ansammlung von Palmen zu sehen.

Das Festival von Tozeur ist erst am übernächsten Tag zu Ende. Bis dahin drängen sich manchmal Fahnenträger in Fantasiefarben um die Straßenecken, gefolgt von ernsthaften alten Männern im blendend weißen Burnus, die Köpfe fezbedeckt. Ihr Altmännergang durch die Straßen der Stadt wird rhythmisch getaktet durch Trommler und Schellenschläger; eine schwarz gekleidete Gestalt mit riesiger Spitzhaube fällt mit ihren Klappern in den Rhythmus ein. „La mégère“, raunt einer ehrfürchtig vom Straßenrand, „die Hexe“. Der Rest seines Kommentars geht im Knattern eines Motorrollers unter, auf dem zwei Halbwüchsige die Kurve Richtung Altstadt kratzen.

Engagierte Bewohner erhalten Tradition am Leben

Das historische Viertel von Tozeur könnte als Labyrinth gebaut worden sein, in dem sich Feinde, sollten sie die Stadt erobert haben, erst einmal gehörig verirren. Erst bei gründlicher Anschauung scheint es, als ob die Stadtplaner einem Masterplan gefolgt wären. Gänge, Höfe, Ein- und Durchfahrten gewähren ein Minimum an Sonnen-, Hitze- und Sturmschäden und ein Maximum an Licht, Schatten und Kühle. Dafür sorgt die Bauweise aus gelblich- bis rötlichbraunen Lehmziegeln, die in Tozeur vorherrscht und in Nordafrika sehr selten ist. Das Ziegelwerk spendet Schatten und Kühlung für das Hausinnere.

Es arbeitet, formt sich im Kraftwerk der Natur, krümmt sich hier und biegt sich da. Wohlhabende Bürger haben sich Rauten, Dreiecke oder Kreise an ihre Hausfassaden mauern lassen, manche Konstruktionen sollen sogar die Anfangswörter von Suren darstellen.

In Tozeur gibt es engagierte Bewohner, meist Einzelhändler, Ladeninhaber oder Handwerker, die sich für den Erhalt des ursprünglichen historischen Quartiers einsetzen. Zu ihnen gehört auch die Allroundkünstlerin Suad Khchim, die in ihrer Atelierwohnung töpfert, modelliert, Gewänder fertigt, Gedichte schreibt und Besuchern von traditionssatten Hochzeiten, Festen und Festivals erzählt, die bis heute vor und hinter den Gemäuern von Tozeur gefeiert werden.

Man muss, zumal im krisengeplagten Tunesien, die Feten feiern, wie sie fallen. Gegen eine eventuelle Katerstimmung wird – wie wir nun wissen – ein zerbissenes Kapernblatt helfen, das in der Wüste gezupft und auf die Stirn gepappt wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false