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Ursprüngliche Wildnis im Norden Ugandas. Weite Savanne, Grasland in Grün- und Gelbtönen breiten sich im Kidepo Valley Nationalpark vor den Morungule-Bergen aus.

© imago

Uganda: Der Löwe brüllt nur in der Nacht

Der Kidepo-Valley-Nationalpark liegt abgeschieden im Norden von Uganda. Man kommt schwer hin. Wer dort ist, erlebt Wildnis und Tiere hautnah.

Von Johannes Nedo

Naboth Ochen legt seine Kalaschnikow ab, hockt sich auf einen Stein und schaut sich um. Nach einem kurzen steilen Aufstieg den Hügel hinauf ist der drahtige Ranger im dunkelgrünen Overall sicher: keine Löwen in der Nähe. Oft klettern die Raubkatzen auf die Granitfelsen, weil es hier kühler ist und weil sie von oben eine bessere Sicht auf ihre zukünftige Beute haben. Nicht an diesem Abend, alles ruhig in Ugandas Kidepo-Valley-Nationalpark.

So kann jetzt auch Naboth Ochen den Ausblick genießen. Denn was sich rings um den Hügel auftut, verleiht uns allen ein erhabenes Abenteurergefühl: Im Norden, Osten und Süden erstreckt sich weite Savanne, grünes und gelbes Grasland, das in der Ferne von den dunklen Spitzen der Morungule-Berge begrenzt wird.

Im Westen gleitet die Sonne hinab und taucht dabei das gesamte Tal in rotbraune Töne. Am Fuße des Hügels grasen Antilopen, Wasserböcke, ein einsamer Büffel – auch zwei Warzenschweine wuseln umher. Naboth Ochen schaut in unsere begeisterten Gesichter und lächelt zufrieden. Er führt die meisten Besucher immer zuerst auf diesen Hügel, der Amapwas genannt wird. Spätestens hier oben erkennen sie, wie sehr es sich gelohnt hat, in dieses abgelegene Gebiet im äußersten Nordosten Ugandas zu reisen.

Pro Tag kommen sieben Gäste

Der Kidepo-Valley-Nationalpark befindet sich direkt an der Grenze zum Südsudan, wo sich das zum gleichen Ökosystem gehörende Kidepo-Reservat anschließt. Rund zwölf Autostunden ist der Park von der ugandischen Hauptstadt Kampala entfern. Der Großteil der Strecke besteht aus staubigen Pisten.

Weil der Park, mit 1440 Quadratkilometern fast doppelt so groß wie Berlin, von den unwirtlichen, kaum bevölkerten Weiten des Karamojalands umgeben wird, ist er vollkommen isoliert. Zudem galt die Region lange als unsicher. Bewaffnete Gruppen des Karamojong-Stammes lieferten sich untereinander Gefechte, meist weil sie voneinander Kuhherden stahlen. 2011 gelang es der Armee, die Karamojong-Kämpfer zu entwaffnen.

Wachsam. Ranger Naboth
Wachsam. Ranger Naboth

© Johannes Nedo

Wer den beschwerlichen, nicht ganz ungefährlichen Weg gen Kidepo von Kampala aus mit dem Auto auf sich nimmt, wird reich belohnt. Bereits die letzten 60 Kilometer bis zum Park durch schroffes Gebirge lassen die 500 Kilometer Buckelpiste zuvor vergessen. Das Schönste ist die Gewissheit, dass man diese ursprüngliche ostafrikanische Wildnis nahezu für sich allein hat. Lediglich 2500 Besucher kamen im vergangenen Jahr in den Nationalpark, das sind pro Tag nicht einmal sieben Gäste.

Während Reisende in den Hauptsafarigebieten Ostafrikas, der Serengeti in Tansania und der Masai Mara in Kenia, die Nähe zu einem Löwen meist mit Dutzenden anderen Beobachtern in Jeeps teilen müssen, bekommt man im Kidepo-Valley-Nationalpark den Eindruck: Auf solch unberührte Landschaften wie hier müssen auch die Entdecker David Livingstone und Henry Stanley im 19. Jahrhundert gestoßen sein. Große Herden von Elefanten, Büffeln und Zebras durchstreifen die Täler des Nationalparks, das Narus- und das Kidepo-Tal. Auch Löwen, Leoparden, Geparden, Giraffen, Schakale und Hyänen leben hier sowie fast 500 Vogelarten.

Nachts werden die Tiere aktiv

Unser Camp haben wir in der Nähe des Amapwas-Hügels aufgeschlagen, im Narus-Tal, auf einem der beiden Zeltplätze des Nationalparks. Schakale schleichen durch das hohe Gras rings um unsere Zelte. Eine kleine Büffelherde umkreist die Anhöhe, auf der wir sitzen. Je dunkler es wird, desto mehr ist zu spüren, wie die Tiere aktiver werden. Plötzlich schrecken wir auf. Ein mächtiges Brüllen ertönt. Löwen? Wir bekommen Gänsehaut, spitzen erneut die Ohren. Ja, Löwen. Doch deren imposantes Gebrüll wird von den Elefanten noch lauter erwidert.

Wir lauschen weiter, doch weil wir in der Finsternis nichts erkennen können, schauen wir gen Himmel. Myriaden von Sternen leuchten über unseren Köpfen. Es scheint, als müssten wir nur die Hand ausstrecken, um sie vom nachtblauen Firmament zu pflücken. Abrupt stoppt das Brüllkonzert. „Keine Panik. Die sind weit weg“, beruhigt Raphael Ojok. Der 37-Jährige ist unser Fahrer und gehört wie der zehn Jahre jüngere Ranger Naboth Ochen dem Stamm der Karamojong an. Über unser Schlottern können beide nur lachen.

Mit Tanz danken sie für die Ernte

Die Karamojong sind ein hartes Leben gewöhnt. In der trockenen roten Erde wächst kaum etwas. So haben sie sich neben dem Anbau von Hirse vor allem auf das Halten von Kühen spezialisiert. Lange schafften sie es, an ihrem traditionellen Lebensstil festzuhalten. Bis vor 50 Jahren liefen viele von ihnen noch unbekleidet herum, bis sie Diktator Idi Amin in den 1970ern unter Androhung von Gewalt zwang, Röcke zu tragen. Doch manche alte Traditionen pflegen sie weiterhin, keineswegs nur für Touristen.

In einem winzigen Dorf am Rande des Nationalparks können wir es später beobachten: Männer und Frauen haben sich in einem großen Kreis aufgestellt. Sie singen, klatschten rhythmisch, und in der Mitte springen je zwei Männer und Frauen auf und ab. Die Männer haben Hüte aufgesetzt, an denen jeweils eine große Straußenfeder prangt. Die Frauen tragen Röcke aus Ziegenfell. Mit ihrem Tanz danken sie für die Ernte. Es war ein gutes Jahr.

Das Tal hat immer Menschen angezogen

Nach einer Pirschfahrt wird auf dem Rückweg zum Camp unser Weg blockiert. Von Vierbeinern, die noch stärker sind als die Büffel – und die wir in der Nacht schon gehört hatten: Elefanten. Etwa 30 Tiere stampfen auf der Suche nach Wasser ganz nah an uns vorbei. Als sie nach einer Weile in einer Senke verschwunden sind, erzählt der Fahrer Raphael Ojok vom bekanntesten Elefanten des Nationalparks: Bul-Bul. Einmal sei er in das Lagerhaus der Ranger eingebrochen und habe zwei Fässer Bier geleert. „Danach lag Bul-Bul schnarchend zwischen den Hütten“, sagt Raphael Ojok und lacht.

Unsere letzte Runde durch den Nationalpark führt uns ins Kidepo-Tal. Wir stoppen in einem 50 Meter breiten trockenen Flussbett. Nur während der Regenzeit (von April bis September) bildet sich oft für wenige Stunden am Tag ein reißender Strom. Wir schleichen durch den gelben Sand, die Sonne brennt.

Auf beiden Seiten des Ufers erheben sich 30 Meter hohe Borassus-Palmen mit Früchten, die der Kokosnuss gleichen. Während großer Hungersnöte kamen die Karamojong hierher, denn diese Bäume tragen immer Früchte, die in der Sprache der Karamojong „akidep“ – aufheben – heißen.

Das Tal hat die Menschen also schon immer angezogen. Auch wenn die Attraktion nun eine andere ist. Aber es ist unmöglich, sich der Faszination dieser ursprünglichen Wildnis zu entziehen.

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