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Museum

© dpa

Arichitekturmuseum: Alle Kunst unter einem Dach

Frankreich ist stolz auf seine Bauschätze - und zeigt sie an der Place du Trocadero in Paris. Dort steht das größte Architekturmuseum der Welt.

Die Straßenhändler, die zu Hunderten gefälschte Luxusartikel und Schmuck aus ihrer afrikanischen Heimat feilbieten, sind untrügliches Indiz: Die Gegend um den Eiffelturm – ohnehin viel besucht – hat auch als Museumsstandort an Anziehungskraft gewonnen. Jüngster Superlativ am Place du Trocadero ist die „Cité de l’architecture & du patrimoine“ im östlichen Flügel des Palais de Chaillot. Gut ein Dutzend internationale Stararchitekten feierte unlängst mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Eröffnung des weltgrößten Architekturmuseums.

Zu den angestammten Häusern „Museum für moderne Kunst“ im Palais de Tokyo sowie dem Filmmuseum und dem Musée de l’homme (mit dem Dresdner Hygienemuseum vergleichbar) im Palais de Chaillot gesellte sich im vergangenen Jahr das großartige ethnologische Musée du quai Branly am linken Seine-Ufer hinzu. Schon die vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel entworfene extravagante Architektur macht Staunen, doch viel mehr noch die kongeniale Inszenierung der Kunst und Zivilisation außereuropäischer Länder im Inneren.

Das Palais de Chaillot, das mit zwei ausladenden, gebogenen Flügeln den Eiffelturm umarmen zu wollen scheint, war 1937 aus Anlass der damaligen Weltausstellung errichtet worden, in einem monumentalen neoklassizistischen Stil, der zu jener Zeit nicht nur in Deutschland opportun war.

Dem Pariser Architekten Jean-François Bodin war nun aufgetragen, den verstaubten Ostflügel mit der Sammlung französischer Monumente aufzufrischen und um weitere Schauräume zu ergänzen. 82 Millionen Euro standen ihm dafür zur Verfügung. Auf 22 000 Quadratmetern in sechs Geschossen sind nun drei Hauptabteilungen untergebracht, die Galerie der französischen Baudenkmale, die Galerie der Moderne und die Galerie der Fresken und Glasmalereien. Hinzu kommen Säle für Wechselausstellungen, eine Bibliothek mit 45 000 Bänden, eine Architekturschule, Archive und weitere Nebenfunktionen. Star der „Architekturstadt“ ist zweifellos das Museum der französischen Monumente, die „Galerie des Moulages“, der Gipsabgüsse. Was zunächst recht bildungsbürgerlich-dröge klingt, entpuppt sich beim Besuch als Attraktion erster Güte. Victor Hugo, der gotikbegeisterte Autor des Notre-Dame-Romans, wäre hier wohl Dauergast gewesen.

Der legendäre Architekt und staatliche Denkmalverwalter Eugèn Emmanuel Viollet-le-Duc, der mit seinen beherzt neuschöpferischen Rekonstruktionen von Carcassonne und vielen Kathedralen ein verklärendes Idealbild der mittelalterlichen Baukunst zeichnete, das bis heute nachwirkt, war von dem zwölf Jahre älteren Victor Hugo zu seinen Forschungen inspiriert worden. Viollet-le-Duc gründete zunächst eine Sammlung von Abgüssen mittelalterlicher Plastiken, um sie im Vergleich präsentieren zu können, deren Eröffnung 1882 er allerdings nicht mehr erlebte. Vielleicht hat sie ja Victor Hugo noch gesehen, der drei Jahre später starb.

Doch die „gypsomania“, die Mode, antike und mittelalterliche Kunstwerke zu Studienzwecken in Gips zu reproduzieren, die damals die Kunsthistoriker vieler Länder erfasst hatte, kam in Paris zum Höhepunkt. Nun ging es nicht mehr nur um die Plastiken zum Studieren und Abzeichnen, alles, was von der Dimension her zu bewältigen war, wollte man im Saale haben. Sarkophage, Schmucksäulen, kunstvoll verzierte Wendeltreppen, ja, ganze Portale samt Stufengewänden und Tympanon wurden im ganzen Land abgeformt und in der Hauptstadt zusammengetragen.

So kommt es, dass man in Paris eine Exkursion zu den Spitzenwerken der Romanik und der Gotik ganz Frankreichs unternehmen kann, ohne den Fuß vor die Tür zu setzen. Eine komplette romanische Apsis mit allen Fresken, die Chapelle des Moines aus Berzé-la-ville ist zu sehen, man schreitet durch das berühmte romanische Narthex-Portal aus der Maleine in Vézelay und sieht die Gräber von Béatrix de Bourgogne aus Souvigny, Philippe le Hardy aus Dijon, Charles d’Anjou aus Le Mans und vieler anderer Hoheiten vereint.

Durch das Portal von Saint-Étienne in Bourges erreicht man den Saal der hochgotischen Plastiken mit der berühmten Engelssäule aus Straßburg im Zentrum, gefolgt vom Hauptportal der Kathedrale Notre Dame in Rouen.

Die Perfektion der bemalten Abgüsse ist verblüffend, die Illusion vollkommen, und wer zuvor nicht aufgeklärt wurde, wähnt sich inmitten einer Sammlung von Originalen. Der Raum, lang gestreckt und gebogen entsprechend dem Flügel des Palais, steigert die Wirkung der Exponate und überhöht sie als Artefakte durch die intensive bordeauxrote Farbe der Wände. Die offene Eisenkonstruktion der Lichtdecke zeigt selbst kathedralhafte Wirkung. Man taucht ein in die sakrale Welt des Mittelalters. Die fast körperlich spürbare künstlerische Dichte und spirituelle Atmosphäre dieser Schauräume übertrifft viele der Originalschauplätze.

Mit einigen Exponaten aus späteren Epochen, Renaissance, Barock und Klassizismus, mündet die Ausstellung ins historienverliebte 19. Jahrhundert.

Für jene Besucher, für die die Baukunst nicht mit dem historischen Stilreigen abgeschlossen ist, wird ein Geschoss höher die Geschichte der modernen Architektur bis heute erzählt. Hundert Modelle, Pläne und Videos belehren den Besucher. Was plante der Visionär Tony Garnier Jahre vor Le Corbusier in Lyon: eine komplette Stadt der Moderne; wie baute Ricardo Bofill in Montpellier: den Bürgertraum vom Adelsschloss, sozialen Wohnungsbau in der Manier von Ludwig XIV.; wie konstruierte Jean Prouvé, der begnadete Hightech-Pionier der fünfziger Jahre? – derlei Fragen werden beantwortet.

Höhepunkt des Parforceritts durch die Moderne ist eine zweigeschossige Wohneinheit Le Corbusiers aus der „Cité Radieuse“, ein Nachbau in Originalgröße in Beton und anderen Originalmaterialien, der natürlich einen nicht zu übertreffenden Originaleindruck vermittelt. Der massive Bau auf der oberen Ebene des Museums stellte übrigens die Statiker vor ein delikates Problem, für das es besonderer Unterkonstruktionen bedarf.

Hat sich der unbefangene Besucher staunenden Auges sattgesehen, sollte er sich jedoch daran erinnern, dass er sich in Frankreich befindet. Und daran, dass dies ein französisches Architekturmuseum ist. Den Eindruck, dass sich die Geschichte der Baukunst von 1100 bis in die Moderne im Wesentlichen in Frankreich abgespielt hat, muss er selbst abschütteln.

Nur einmal, 1851 in London, hat offenbar ein Nichtfranzose, ein gewisser Joseph Paxton, mit seinem Kristallpalast der Weltausstellung einen wesentlichen Beitrag geliefert, an dem selbst die Kuratoren nicht ganz vorbeikamen.

Ansonsten versucht auch die aktuelle Wechselausstellung „La peau entre la texture et ossature“, die sich mit den neuen Tendenzen der ornamentierten Fassaden befasst, zu beweisen, dass auch die Fassadenbaukunst der gegenwärtigen Avantgarde der Architekten durchweg eine französische Erfindung ist. Man wird mit einem Schmunzeln gerne darüber hinwegsehen, versprechen doch künftige Wechselausstellungen in den noch in Vorbereitung befindlichen Sälen auch die Erkenntnisse weitende Blicke über die Grenzen das Landes hinaus.  

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